Das Thema Tierschutz ist in aller Munde, im realen Leben und auf Social Media. Werden wir in zehn Jahren noch reiten? Wir haben mit der FN-Tierschutzbeauftragten Dr. Christiane Müller gesprochen.
St.GEORG: Geschieht genug in Sachen Tierschutz?
Dr. Christiane Müller: Zu wenig geschieht nicht, würde ich sagen, genug aber auch noch nicht. Es ist erstaunlich, wie sehr das Thema an Fahrt aufgenommen hat. Vielen ist auch noch nicht bewusst, dass auch der Pferdehalter die Verantwortung für die Haltung hat und der Reiter oder Besitzer die Verantwortung für die Nutzung hat. Das Tierschutzgesetz spricht immer von dem einzelnen Pferd. Alle Pferde haben einen Schutzstatus. Diesen Schutzstatus muss jeder Halter und Nutzer wahrnehmen. Das war nicht immer jedem bewusst. Wenn man sich die ersten drei Paragrafen des Tierschutzgesetzes durchliest, weiß man, welchen Auftrag man hat. Wohlbefinden (Tierwohl) heißt immer, dass das Tier seiner Art und seiner Biologie entsprechend sein Verhalten ausüben kann und gesund ist. Dafür braucht es den Menschen.
Man kann sicherlich immer mehr machen. Die Vorgaben des Tierschutzgesetzes und der Leitlinien, die ja die ersten 15 Jahre im Dornröschenschlaf waren und erst seit der Überarbeitung in aller Munde sind, müssen noch weitergetragen und verstanden werden, auf allen Aus- und Fortbildungsebenen. Das Interesse am Sachkundenachweis, den man braucht um Pferde halten zu dürfen, ist beispielsweise in Schleswig-Holstein stetig gestiegen, das Kursangebot ist von einmal auf viermal jährlich angestiegen. Das ist positiv. Denn Wissen ist der beste Tierschutz.
Kritik an der Pferdehaltung oder dem Reitsport allgemein kommt ja ganz oft von Leuten mit wenig Sachkenntnis. Pferde sind Sympathieträger, zu denen man eine enge soziale Bindung aufbauen kann. Daraus resultiert viel Gutes, aber auch vieles, das nichts mit Tierliebe zu tun hat. Ein Tierhalter muss erklären können, wie er eine gute Haltung bietet.
Die Schlachtung eines Tieres hat auch etwas mit Tierschutz zu tun, alte Pferde kann sich nicht jeder leisten und nicht jeder Gnadenbrothof ist pferdegerecht. Ich weiß, der Gedanke ist ganz furchtbar und abschreckend. Aber zumindest sollte man ihn einmal zulassen. Diese Verantwortung hat man als Tierbesitzer und das würde dem Pferd in manchen Fällen gerechter werden als eine unzureichende Haltung auf unbestimmte Zeit.
Was ist wichtiger – minutengenaue Paddockzeiten oder ordentliches Reiten?
Man kann nicht sagen, dass davon etwas wichtiger ist. Nur: Die Haltung ist die Grundlage. Jedes Pferd muss eine ordentliche Haltung haben, die den Mindestanforderungen entspricht. Haltung muss jeden Tag pferdegerecht sein, reiten muss ich nicht jeden Tag. Aber natürlich muss Reiten auch immer pferdegerecht sein.
Ein zufriedenes, entspanntes Pferd mit täglicher freier Bewegung ist im Training und auf Turnieren entspannter – zumindest zu Beginn des Reitens.
Eine Box mit Paddock wird dem Erkundungsverhalten und dem Komfortverhalten des Pferdes gerecht, es hat soziale Kontakte und kann sich drinnen oder draußen aufhalten. Mit einer Innenbox wird das alles dem Pferd vorenthalten. Man erkennt gute Ställe mittlerweile nicht an Anhängerplätzen, sondern daran, dass Pferde draußen sind.
2019 gab es in Baden-Württemberg einen Erlass, der den Pferdetransport bei über 30 Grad untersagt – wie ist der Stand der Dinge bei dieser Thematik?
Dieser Erlass berücksichtigt nicht die Besonderheiten des Transports von Pferden, die an das Verladen und den Transport gewöhnt wurden und deshalb stressfrei transportiert werden können. Es gibt eine Stellungnahme der FN zum Transport, in der auf die pferdetypischen Besonderheiten eingegangen wird, wie die sehr gute Thermoregulation von Pferden und dass sie unter Einhaltung der guten fachlichen Praxis auch bei 30 Grad und mehr transportiert werden können. Man möchte nach dem Transport das Pferd ja nutzen.
Aber auch hier gilt: Wissen und Erfahrung sind durch nichts zu ersetzen. Auch auf Transporten müssen wir uns etwas einfallen lassen, dass Pferde sich über viele Stunden mit Futter beschäftigen können. Alles was wir einschränken am Pferd (Futter, Bewegung), führt zu Langeweile und kann es krank machen.
Der Graben zwischen Sport- und Freizeitreitern scheint zumindest an einigen Stellen immer tiefer zu werden. Dem Reitsport, sei er nun turniersportlich organisiert oder nicht, ist das wenig dienlich. Was tun?
Wir wissen, dass die wenigsten Reiter Profis sind, die meisten sind Amateure und damit auch Freizeitreiter. Für einen Profi bedeuten Pferde wirtschaftlich, aber auch partnerschaftlich sehr viel. Und ich finde, ein Freizeitreiter kann nicht grundsätzlich verurteilen, was ein Profi macht. Viele kennen den Aufwand gar nicht, der mit diesen Pferden betrieben wird. Der Leistungssport mit Pferden, ganz besonders in der Vielseitigkeit, geht mit der Leistungsdiagnostik einher. Eine ganz klare Transparenz und Beratung durch Tierärzte, die das begleiten mit dem Ziel, das Training so gut wie möglich zu gestalten, um die Pferde optimal auf ihre Aufgaben vorzubereiten. So können die Pferde langfristig gesund, fit und motiviert erhalten werden. Das ist für mich Tierschutz. Gekoppelt mit der Fitness, die die Reiter selbst mit in den Sattel bringen.
In manchen Ställen frage ich mich, wie viel Wissen da vorhanden ist. Das sind Ställe ohne Ausbilder, Reiter ohne Unterricht, da gibt es viele Schabracken und Halfter und Reiter, die das Pferd fragen, ob es mitkommt, ohne dass es versteht, was es machen soll. Aber ob das die eine belastbare tiergerechte Kombination darstellt? Profis stehen im Rampenlicht und bekommen ihre Lernzielkontrolle jedes Wochenende auf den Turnieren. Den Freizeitreiter oder Amateur reguliert im Zweifel niemand. Manche reiten jeden Tag dieselbe Lektion, weil sie meinen, dass sie die dann irgendwann können. Reiten ist immer anspruchsvoll. Jeder, der am Pferd ist, ist das Aushängeschild für den Pferdesport – egal ob in der Freizeit oder im Beruf. Man muss das Individuum Pferd immer als Maßstab nehmen.
Der Graben wird oft betitelt, aber wenn man es auf die einzelnen Akteure herunterbricht, ist es nicht der Graben, sondern die Anforderung, die man erfüllen muss resultierend aus dem Tierschutzgesetz und den Leitlinien. Die gelten für alle, egal, wer was mit dem Pferd macht.
Das Pferd trägt den Reiter, der Reiter die Verantwortung.
Es kommt immer auf Abwechslung und Rücksichtnahme an, ein Gefühl des Miteinanders, eine feine Hilfengebung – all das, was man lernt, wenn man sich mit Ausbildungsthemen beschäftigt.
Es gibt viel Aufmerksamkeit und Interesse innerhalb der Szene. Am häufigsten sind Nachfragen zur artgerechten Haltung, aber der Bedarf nach Unterstützung im Umgang und der Nutzung kommt gleich danach. Man darf sich nur nicht von jeder esoterischen Philosophie blenden lassen, und sollte sich immer wieder auf die Grundlagen der Leitlinien beziehen und für detailliertere Erklärungen die Richtlinien der FN zu Haltung und Ausbildung von Pferd und Reiter heranziehen.
Reiten heißt fühlen. Das gilt für jeden. Es reicht nicht aus, wenn man nur sich sieht, man muss das Pferd verstehen wollen. Das Pferd trägt den Reiter, der Reiter die Verantwortung.
In Social Media wird der Begriff „FN-Reiterei” verwendet, um schlechtes, nicht pferdegerechtes Reiten bis hin zur Tierquälerei zu beschreiben – lässt das in Warendorf die Alarmglocken schrillen?
Ich denke, der Bundesfachverband ist gut aufgestellt. In der Ausbildungskommission werden zum Beispiel alle Ausbildungsmethoden und Ausrüstungen besprochen. Das heißt nicht, dass alles gut ist. Aber der Verband vertritt seine Position in der theoretischen guten fachlichen Praxis und versucht mit Kontrolle und Sanktionen, dem Tierschutzgedanken gerecht zu werden. Er ist aber nicht für alle schlechten Bilder verantwortlich. Wenn es Vorfälle gibt, wird denen nachgegangen, geprüft und ggf. sanktioniert mit Verwarnungen, zeitlich begrenztem oder lebenslänglichem Entzug der Jahresturnierlizenz. Der Verband übernimmt die fachliche Beurteilung auch mit seinen Disziplinargremien und spricht Ordnungsmaßnahmen aus. Das Regelwerk der FN (LPO und APO) ist gut, umfangreich und belastbar, deswegen habe ich mich da auch zugestellt, es ist ein interessanter Auftrag. Der Tierschutzpreis, der seit sechs Jahren auf dem Bundeschampionat vergeben wird, hat sich deutlich etabliert, auch in der Akzeptanz aller Beteiligten. Auch die Kontrolle auf den Abreiteplätzen ist ein Fortschritt, dadurch wird das Thema verdeutlicht und klargemacht, dass sich der Verband einsetzt. Aber deswegen kann man nicht immer verhindern, dass jemand etwas falsch macht.
Wie umgehen mit schwarzen Schafen?
Man muss sich auf jeden Fall distanzieren! Das muss auch aus der eigenen Branche kommen. Jeder Fall ist ist negativ für unseren Sport. Das muss man ansprechen. Solch eine Ansprache ist populärer geworden, auch beim Bundeschampionat. Dort werden die Reiter zum Beispiel schon darauf hingewiesen, wenn sie am Limit ihrer Abreitezeit sind.
Kontrolle kann nervig sein, aber sie ist an erster Stelle immer für das Pferd.
Was sind die Ethischen Grundsätze in der Praxis wert?
Die Ethischen Grundsätze sind uralt – aber immer noch aktuell. Jeder bekommt sie in der Ausbildung mit. Und auch wenn Lesen nicht mehr unbedingt modern ist, vor allem auf Papier, bleiben sie aktuell. Die Leitlinien werden alle 15 Jahre überarbeitet, weil man mehr Wissen hat. Die Grundsätze sind unverändert. Sie sind die „Grundsätze des Pferdefreundes“, und darum geht es doch, um das Freund sein. Das hat heute mehr Öffentlichkeit, das ist gut. Es gibt immer mehr Tierschutzorganisationen, die mitreden wollen, aber nicht das Fachwissen haben. Das muss uns unterscheiden. Ich sage immer: Wir müssen uns mit Qualifikationen autorisieren. Und ganz zwingend kommunizieren.
Pferdebesitzer meckern, weil sie dieses oder jenes in ihrem Stall nicht gut finden. Warum wechseln sie dann nicht? Die beste Reaktion ist doch, die Defizite aufzuzeigen und ansonsten den Stall zu verlassen. Der Markt muss das regeln, gute Nachfrage bestimmt den Preis. Das ist hohes Anforderungspotenzial für den Pferdehalter, als Einsteller muss ich das erkennen können und entsprechend honorieren.
Zur Person
Dr. Christiane Müller
FN-Tierschutzbeauftragte und öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Pferdehaltung, -zucht und -sport aus Schleswig-Holstein. Sie bietet die Beurteilung und Entwicklung von Pferdebetrieben und die individuelle Beratung zur artgerechten Pferdehaltung auf Grundlage aktueller gesetzlicher Anforderungen und Tierschutzgesichtspunkten an. Auf Wunsch ist eine Zusammenarbeit mit Bausachverständigen und Fachplanern möglich.
www.sachverstaendige-pferd.de
0 Kommentare
Schreibe einen Kommentar