Man kannte ihn als Dr. Willi Büsing, offiziell hieß er Wilhelm Büsing. Der Tierarzt und Olympiareiter in der Vielseitigkeit, berühmt auch, weil er es war, der Hans Günter Winkler das Morphium verabreichte, das den zum berühmten „Halla Ritt“ befähigte, lebt nicht mehr. Der Oldenburger Pferdezüchter (Don Davidoff) wurde 102 Jahre alt.
Dr. Willi Büsing wurde am 2. März 1921 als Sohn eines Pferdehändlers in Jade in der Wesermarsch geboren. 1937 verzeichnete er erste internationale Turniererfolge. 1945 promovierte er mit einer Arbeit über die Oldenburger Pferdezucht zum Dr. vet. med. Der Tierarzt war einer der erfolgreichsten Sportreiter als der deutsche Reitsport nach dem Zweiten Weltkrieg langsam wieder aufblühte.
Dr. Willi Büsing – ein Herz für den Busch
1952 gewann er die Bronzemedaille in der Olympischen Vielseitigkeit, damals noch Military. Das deutsche Team mit Büsing, Klaus Wagner und Otto Rothe, gewann darüberhinaus die Silbermedaille. Seit Januar 2023 war der Oldenburger Tierarzt der älteste noch lebende Olympiateilnehmer weltweit.
1954 errang er mit der deutschen Equipe Teamsilber. Anschließend hängte er die Turnierstiefel an den Nagel und begleitete als Mannschaftstierarzt die deutschen Pferde auf Championaten in den Jahren von 1956 bis 1964.
Neben seiner Arztpraxis in Jade, unterstützt von seiner Ehefrau und den beiden Töchtern, züchtete Dr. Willi Büsing auch erfolgreiche Pferde, u. a. die Oldenburger Siegestute 1986, Toga M v. Manstein, und den Siegerhengst, Bundeschampion und Weltmeister der jungen Dressurpferde 2002 Don Davidoff E v. Don Gregory. Im März 2021 hatte er in seinem Geburtshaus in Jade seinen 100. Geburtstag gefeiert.
Damals hatte St.GEORG Chefredakteur Jan Tönjes, der als Junge das Glück hatte, Dr. Willi Büsing als Tierarzt zu erleben, den folgenden Text für die St.GEORG-Ausgabe 4/21 verfasst:
Dr. Willi Büsing zum 100. Geburtstag, 2. März 2021
Als ich ein Junge war, ein Teenager, da gab es ein paar Konstanten in meinem Leben. Morgens Schule, danach Stall. Und wenn mit den Pferden etwas war, kam „Dr. Büsing“. In der Stallgasse sprachen wir auch von „Doc Willi“, aber das hätten wir uns nie in seiner Anwesenheit getraut. Dr. Büsing kam auf den Hof, hochaufgewachsen, grüner Kittel, beige Cordhose mit Bügelfalte, wache dunkle Augen. Die Haltung gerade, jedes Wort gesetzt, mit feiner Ironie und „über den spitzen Stein stolperndem“ S.
Ich wusste damals nicht, dass Doc Willi einer der ersten deutschen Sportler war, die nach dem Horror von Naziherrschaft und Weltkrieg an Olympischen Spielen teilnehmen konnte. Entsprechend war mir auch nichts davon bekannt, dass er 1952 in Helsinki im Sattel von Hubertus in der Vielseitigkeit die Bronzemedaille in der Einzelwertung gewonnen hatte. Als bester in der deutschen Equipe, die Teamsilber erringen konnte. Kein Wort von einem Empfang im Viererzug nach der Rückkehr aus Helsinki. Von Menschen am Straßenrand, die winkten und Willi Büsing feierten. Dass er bei den Europameisterschaften 1954 wieder erfolgreich war, später dann als Tierarzt alle Olympiapferde nach Stockholm (1956) Rom (1960) und Tokio (1964) begleitete, davon wusste ich nicht.
„Doc Willi“
Dass er Richter war, selten, weil als Tierarzt viel beschäftigt, das wusste ich. Und ich hörte es einmal inmitten einer M-Dressur einer lokalen Größe aus ihm herausbrechen: „Sch…, Sch…, Sch…!“ Nur um sich dann sofort zurückzunehmen und zu seiner Protokollantin gewohnt nüchtern zu sagen, „das schreiben Sie aber bitte nicht!“ In München hätte er 1972 auch als Richter bei den Olympischen Spielen tätig sein sollen, reiste aber nach dem Attentat auf die israelische Mannschaft ab.
Als Tierarzt war er immer auch Reiter. Ich bin damit großgeworden, dass das so sein muss. Erst viel später habe ich gelernt, dass es – leider – keine Selbstverständlichkeit ist. Einmal hatte eine Frau im Stall wegen Headshaking Dr. Büsing konsultiert. „Headshaking, wenn mein Englisch reicht also Kopfwackeln? So, so…“ Er betrachtete den Patienten, fühlte in die Ohren, ließ ihn sich vorreiten. Das Pferd schaute buchstäblich in die Wolken und schlug mit dem Kopf hin und her. Der Tierarzt: „Haben Sie hier einen Geländerundkurs und wie lange dauert es, einmal außen herum zu galoppieren?“. Die Reiterin: „Ungefähr zwölf Minuten.“ Der Tierarzt: „Sie haben zehn, ab jetzt“. Nachdem das Paar pustend zurückkam, gab es dann Reitunterricht – „Sitz aufrechter“, „an die Hand herantreiben“. Der Headshaker ging anschließend zufrieden kauend. „Sie wissen schon, dass der tierärztliche Stundensatz höher ist als der vieler Reitlehrer“, schloss Dr. Büsing die Behandlung ab.
Der HGW-Goldmacher von Stockholm
Auch zu diesem Zeitpunkt, wusste ich nicht, dass Doc Willi an einem der historisch bedeutendsten Momente des deutschen Springsports seine Hände mit im Spiel hatte. Er war es, der sich für den nach einer Leistenverletzung im ersten Umlauf des Olympischen Nationenpreises von Stockholm 1956 schmerzgeplagten Hans Günter Winkler die Therapie Morphium in den Allerwertesten plus starken Kaffee gegen die geistige Beneblung hatte einfallen lassen. Ohne Doc Willi nicht die berühmte Radioreportage über HGW und Halla in der Entscheidungsrunde: „Sie hat eine Ahnung, worum es sich hier handelt. Halla sagt: Nun kommt das Gatter, viel Fehler kann er nicht mehr machen. Lass mich in Ruh, da geh ich drüber hinweg! Der letzte Sprung – und Gooold!“
Das war eine Bullendröhung!
Dr. Willi Büsing über die Dosis Schmerzmittel, die er Hans Günter Winkler vorm Olympiasieg 1956 verabreicht hat.
Der Züchter
Gezüchtet wurde im Hause Büsing immer. In den 1970er Jahren gerne mit Vollblütern, vor allem Vollkorn xx. Dessen berühmtester Sohn Volturno, Vize-Weltmeister 1978 unter Otto Ammermann, hatte Vollbrüder. Die gingen mit Willi Büsings Töchtern ebenfalls Vielseitigkeit. Doc Willi und seine drei Frauen, Ehefrau Dorle und die Töchter Heike und Sabine – ein tolles Team. In der Praxis, aber auch im Sport und in der Zucht. Aus dem bei der Familie gepflegten Stutenstamm ist die Oldenburger Siegerstute Toga M hervorgegangen, vor allem aber der Siegerhengst, Bundeschampion und Weltmeister der jungen Dressurpferde, Don Davidoff E.
100 Jahre Dr. Willi Büsing – man müsste ein Buch schreiben. Verdient hätte es „Doc Willi“, herzlichen Glückwunsch!
Am 25. Juni 2023 ist „Doc Willi“ friedlich in seinem Elternhaus in Jade in seinem Bett eingeschlafen.
Man wünschte sich, dass Menschen seines Formats auch zukünftig den Beruf des Tierarztes trotz all der damit verbundenen Unannehmlichkeiten auf sich nehmen. Menschen, die wissen, wie oft das Problem auf dem Pferd sitzt und die dieses Thema klar benennen. Ein unbeirrbarer Advokat für die Kreatur, ein Verfechter guten Reitens als bester Weg, dem Pferd sportlich und fair zu begegnen, hat für immer seine Augen geschlossen.
Seinem Credo im Umgang mit dem Pferd werden alle, die ihn kannten, sich in seinem Sinne verpflichtet fühlen.
Danke, „Doc Willi“!
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