Die Olympischen Spiele in Paris sind Geschichte – zumindest aus Sicht des Reitsports. Soenke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), äußert sich im Interview zum Erfolg der deutschen Reiterinnen und Reiter bei Olympia 2024 und zu den Hintergründen der Förderung des Spitzensports.
Einzelgold in allen drei Disziplinen, darunter das historische dritte Gold für Michael Jung und das erste Einzelgold seit 28 Jahren im Springen, dazu Einzelsilber und Mannschaftsgold in der Dressur. Das ist die Bilanz der deutschen Reiterinnen und Reiter bei Olympia 2024. Für das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) waren die Spiele in Paris die erfolgreichsten seit 88 Jahren. FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach spricht in einem Interview mit der hauseigenen Medienabteilung über die Erfolge von Paris.
FN-aktuell: Herr Lauterbach, das war ein riesiger Erfolg für den Pferdesport. War das zu erwarten?
Soenke Lauterbach: Dass wir das geschafft haben, macht uns alle sehr froh und stolz auf die Leistungen der Mannschaften und der Teams im Hintergrund. Als erfolgreichste Pferdesportnation und als erfolgreichster olympischer Sport Deutschlands wird von uns natürlich immer ein gutes Abschneiden erwartet. Und unsere Mannschaften haben auch selbst hohe Erwartungen an ihre Leistungen. Doch Erfolg ist eben nur bedingt planbar und längst nicht selbstverständlich. Die Weltspitze ist in den letzten 20 bis 30 Jahren extrem zusammengerückt und immer mehr Nationen haben heute das Potenzial, Titel zu gewinnen. Das macht die Spiele sehr, sehr spannend und ist gut und wichtig für den Sport.
Dabei haben Frederic Wandres, Jessica von Bredow-Werndl und Isabell Werth in der Dressur Nervenstärke gezeigt und Doppelgold und Einzelsilber geholt. In Vielseitigkeit und Springen haben wir erlebt, dass ein Wimpernschlag zwischen einem möglichen Triumph und einem Tiefschlag liegen kann. Doch davon hat sich niemand beirren lassen. Die Aktiven und Teamführung blieben immer fokussiert und haben zum Beispiel im abschließenden Springen der Vielseitigkeit tolle Runden gezeigt. Christoph Wahler ging null und Julia Krajewski hat mit dem noch so jungen Nickel ein Ergebnis in den Top Elf erzielt. Michael Jung hat sich endgültig die Krone als bester Vielseitigkeitsreiter der Welt aufgesetzt. Richard Vogel, Philipp Weishaupt und Christian Kukuk ritten eine lupenreine Qualifikationsrunde vor dem Mannschaftsfinale, auch wenn ihnen dort das Glück dann nicht mehr hold war. Dafür hat Christian Kukuk, ein Kind Warendorfs, die olympischen Reiterspiele fulminant mit seinem Einzelgold abgeschlossen.
Und Isabell Werth wurde zur erfolgreichsten deutschen Olympionikin überhaupt. Auch im internationalen Pferdesport sucht das, was sie in ihrer jahrzehntelangen Karriere erreicht hat, seinesgleichen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass irgendein Reitsportler jemals wieder so viele Erfolge mit so vielen Pferden erzielen wird.
Persönlich bin ich tief bewegt von den Leistungen aller unserer Reiterinnen und Reiter und gratuliere ihnen allen, inklusive den Reservereitern sowie ihren Teams, den Besitzern und Förderern von ganzem Herzen. Ganz besonders gratuliere ich dem Trainerteam. Es hat sich ausgezahlt, drei verdiente Persönlichkeiten, die als Aktive selbst Olympiagold feiern durften, zum Cheftrainer beziehungsweise zur Cheftrainerin zu machen. Um sie herum haben wir ein hervorragendes Trainerteam in allen Altersklassen. Und ich hoffe, diese Erfolge stärken auch den Gemeinsinn. Das wäre uns zu wünschen.
Auch wenn Erfolg nicht planbar ist, gibt es einen Grund, aus dem die deutschen Reiter und Pferde über Jahrzehnte vorne mitmischen?
Die faszinierenden Bilder von sportlicher Höchstleistung, die wir gesehen haben, waren Ergebnis größter Harmonie von Reitern und Pferden, von pferdegerechtem Umgang und Reiten. Zum Erfolg gehören aber auch Trainer, Pfleger und nicht zuletzt auch die Pferdebesitzer, die es möglich machen, die Toppferde für die deutschen Reiter zu halten. Dazu gehört auch unser System der Förderung vom Nachwuchsleistungs- bis zum Spitzensport, das weltweit als Vorbild genommen wird. Und dieses System setzt an ganz vielen Stellen an und bildet eine wichtige Grundlage für die Erfolge. Leistungsaufbau, der die Basis für Medaillen bietet, ist damit sehr wohl planbar und fußt auf hervorragende Strukturen, die wir haben und auf die wir stolz sind.
Wie muss man sich dieses System vorstellen?
Es beginnt mit der richtigen Basis. Wir haben in Deutschland ein systematisches Ausbildungs- und Turniersystem für Pferde und Reiter, um das uns die Welt beneidet. Das fängt damit an, dass wir in Deutschland die weltweit anerkannte Reitlehre haben. Unsere Richtlinien für Reiten und Fahren sind Vorbild für Nationen auf der ganzen Welt und werden auch vom Weltverband FEI vielfach in den Regelwerken zitiert. Diese Reitlehre orientiert sich an der Physiologie der Pferde und vor allem auch daran, Pferde gemäß ihren Möglichkeiten gesund und schonend auszubilden und im Sport einzusetzen.
Unsere Ausbilder sind ein großes Pfund. Dazu trägt bei, dass wir in Deutschland das Berufsbild des Pferdewirtes und Pferdewirtschaftsmeisters haben. Menschen, die im Rahmen ihrer beruflichen Laufbahn jeden Tag daran arbeiten, ihre Schüler und Pferde entsprechend der Reitlehre auszubilden.
Und dann haben wir in Deutschland das vielleicht engmaschigste Turniersportsystem der Welt. Es orientiert sich daran, Reiter und Pferde systematisch aufzubauen – vom Leichten zum Schweren. Über dieses System können Nachwuchsleistungssportler und -pferde nachhaltig aufgebaut werden. Viele unserer Olympiateilnehmer haben den Weg in den Spitzensport bereits in ihrer Jugend gefunden, über Nachwuchschampionate und die Meisterschaften in bis zu fünf Altersklassen. Diese einzelnen Phasen halfen ihnen, Wettkampferfahrungen auf langsam ansteigendem Niveau zu sammeln und in den Topsport hineinzuwachsen. Unsere Selektionsprozesse beruhen auf transparenten Standards, an denen sich andere Nationen gern orientieren.
Dieses ganze System führt dank eines gefestigten, bewährten Verbandsgefüges und kompetenter und erfahrener Persönlichkeiten, die auf allen Ebenen eingesetzt werden, zum Erfolg. Wir haben das System in den letzten 15 Jahren an entscheidenden Stellen nachhaltig weiterentwickelt und immer ein bisschen besser gemacht. Das hilft uns, im Weltpferdesport weiterhin ganz vorn zu bleiben und Team D, die olympische Mannschaft des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), erfolgreich zu vertreten.
Dabei ist mir eines ganz wichtig zu betonen: Der Schutz des Sportpartners Pferd spielt bei allem, was wir tun, die übergeordnete Rolle.
Und wie sieht die Spitzensportförderung konkret aus?
Ich will hier nur drei Aspekte herausgreifen: Da sind zunächst die Trainer und weiteres Leistungssportpersonal, die ich eben schon erwähnt habe. Sie betreuen die Aktiven nicht nur während der Championate, sondern das ganze Jahr über und tragen zu deren perspektivischer Entwicklung bei. Das gilt besonders auch für den Nachwuchsbereich. Jugendliche Talente werden von Beginn an gesichtet, gefördert und auf dem Weg in den Seniorensport begleitet. Übrigens auch mit Fortbildungen in Sachen Management oder Medienarbeit.
Wir haben in Warendorf einen modernen Bundesstützpunkt mit besten Trainingsbedingungen, den sowohl Nachwuchskader als auch die Seniorenkader gern für Trainingsmaßnahmen und Lehrgänge nutzen können. Vor allem in der Vielseitigkeit sind einige aktuelle Olympiateilnehmer wie Julia Krajewski und Calvin Böckmann permanent auf unserem Bundesstützpunkt zuhause. Auch Christoph Wahler hat als Mitglied der Perspektivgruppe Vielseitigkeit einige Jahre bei uns auf der Anlage verbracht. Diese Perspektivgruppe ist ein weiteres wichtiges Instrument für uns, um Talente für den Spitzensport zu entwickeln. Ich möchte auch die hervorragende Verbindung zur Sportschule der Bundeswehr und dem Olympiastützpunkt in Warendorf erwähnen. Das schafft hervorragende Bedingungen für die Aktiven. Der Erfolg dieser Reiterinnen und Reiter gibt uns Recht. Daraus hervorgegangen sind zum Beispiel die Olympiasieger Frank Ostholt, Dirk Schrade, Sandra Auffarth und Julia Krajewski.
Ein weiterer Beitrag, insbesondere in der Disziplin Vielseitigkeit, ist die Leistungsdiagnostik für die Pferde. Ein Team spezialisierter Veterinäre arbeitet mit Aktiven daran, die Fitness der Pferde und Trainingseffekte zu optimieren. Sowohl Jessica von Bredow-Werndl als auch Julia Krajewski hatten bereits nach den Spielen von Tokio dazu gesagt, dass dies für sie ein wichtiger Mosaikstein auf dem Weg zu Olympischem Gold war.
Wie sieht die Betreuung bei Europa- und Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen aus?
Dazu gehört, dass wir hoch qualifizierte Bundestrainer, Ärzte und Physiotherapeuten für Mensch und Pferd, Sportpsychologen, Schmiede und weiteres Unterstützungspersonal einsetzen, die die Mannschaften begleiten. Wir beginnen schon Jahre vor den Spielen mit der Organisation und bereiten Anreise und Aufenthalt vor Ort bestmöglich vor. Damit nehmen wir den Reitern organisatorische Aufgaben so weit es geht ab, so dass sie sich rein auf den Sport fokussieren können und helfen ihnen, die letzten Prozente besser zu werden, die es braucht. Unser Geschäftsführer des Bereichs Sport und des DOKR, Dr. Dennis Peiler, leistet hier mit seinem Team jedes Jahr herausragende Arbeit, dafür bin ich all den Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar.
Wie geht es in die Zukunft?
Nach den Spielen ist vor den Spielen. Ganz wichtig ist eine gute finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand. Alle Trainerverträge laufen aus und wir sind darauf angewiesen, dass genügend Mittel zu Verfügung stehen, um die besten Trainer für Deutschland zu halten. Wir reden hier über 26 Trainerverträge in den olympischen und nicht olympischen Disziplinen, die Dr. Peiler im Herbst verhandelt. Unsere Trainer sind im Ausland begehrt und wir benötigen deshalb zwingend die BMI-Mittel, um die besten Trainer für Deutschland zu halten. Mit den sensationellen Erfolgen in Paris haben wir hoffentlich eine wichtige Voraussetzung für diese Förderung geschaffen.
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