Am 26. November 2024 wurde Martin Richenhagen zum neuen Präsidenten der Deutschen
Reiterlichen Vereinigung (FN) gewählt. Ein Gespräch über Ärmel aufkrempeln, die Chancen des Pferdesports und Expertise von außerhalb.
St.GEORG: Der Weg vom Religionslehrer über den Landwirtschaftsmaschinenverkäufer, den CEO, zum Präsidenten der FN – wie wird man vom Religionslehrer auf einmal zu einem Wirtschaftsmogul?
Martin Richenhagen: Ich habe ganz normal Theologie, Romanistik und Philosophie studiert und war schließlich verbeamteter Studienrat, Beamter auf Lebenszeit, habe aber während meines Studiums bereits einen Reitstall betrieben, um mein Studium zu finanzieren. Und in diesem Reitstall war auch Jürgen Thumann (Industrieller und langjähriger Vorsitzender des Bundesverband der deutschen Industrie, BDI). Der hat mich die ganze Zeit lang beobachtet, war mein Sponsor, und hat mir dann vorgeschlagen, bei ihm anzufangen. Ich hab ein Traineeprogramm gemacht, ein Fernstudium Betriebswirtschaft. Dann war ich nach sieben Jahren Geschäftsführer in seiner Firma. Und schließlich bin ich von da aus über Schindler zu Claas gekommen und von Class zu AGCO.
Irgendwann sind Sie, auch berufsbedingt, in die USA ausgewandert. Ist das eine Auswanderung gewesen?
Ja, kann man so sagen. 2004 bin ich mit meiner ganzen Familie, also meiner Frau und drei Kindern, umgezogen nach Atlanta.
Da hatten Sie aber weiter noch Zeit für Pferde?
Ja, wir betreiben einen kleinen Reitstall, aber wirklich nur für uns. Und darüber hinaus habe ich auch weiter immer Dressur gerichtet.
Sogar bis zum höchsten Niveau. Was war für Sie so das Spannendste in der Karriereecke Dressurrichter, was ja immer ein Hobby war parallel zu Ihrem Job. Was nimmt man da am meisten mit?
Beruflich war das natürlich eine spannende Aufgabe. Als ich zu dieser Firma kam, ging es der ja auch nicht so besonders gut. Das war ein Zusammenschluss von vielen Aktivitäten, die mein Vorgänger gemacht hatte, die aber nicht wirklich konsolidiert waren. Die erste Aufgabe war, daraus dann ein vernünftiges Unternehmen zu machen. Als ich dort anfing, machte die Firma etwa drei Milliarden Dollar Umsatz. Der Börsenkurs lag bei acht Dollar und das Ergebnis war, ich sag mal, gerade so positiv. Und als ich von dort wegging, lag der Umsatz bei zehn Milliarden Dollar. Das war ein richtig solides Unternehmen geworden.
Managementqualitäten als Ausweg
Das sind die Managementqualitäten, von denen viele hoffen, dass Sie mit diesem Knowhow die FN so ein bisschen wieder auf den Erfolgsweg bringen. Im Vorfeld war einmal das Wort Sanierungsfall gefallen. Sie haben – schon einmal danach gefragt – geantwortet, das sei Wahlkampf gewesen. Wenn wir in diesen Politikvokabeln bleiben wollen, kommt nach dem Wahlkampf die Wahl. Was haben Sie als allererstes nach der Wahl gemacht?
Also, die Situation Sanierungsfall hört sich immer so dramatisch an, aber es ist natürlich schon so, dass die FN so nicht hätte weitermachen können. Wenn so ein kleines Unternehmen so große Verluste macht, dann führt das natürlich irgendwann dazu, dass das Unternehmen nicht mehr existiert. Von daher war es an der Zeit oder ist es an der Zeit, dass man jetzt etwas unternimmt und das Unternehmen vernünftig aufstellt.
Damit haben wir bereits begonnen. Wichtig ist, dass man jetzt eine vernünftige konservative Schätzung macht. Wie sieht die Lage eigentlich in den nächsten fünf Jahren aus? Und die Trends sind ja alle nicht so wahnsinnig positiv: weniger Turniere, weniger Reiter, weniger Pferde, weniger Züchter, weniger Eintragungen. Da muss man überlegen, wie kann ich das Unternehmen oder wie kann ich die Strukturen so anpassen, dass ein ordentliches Ergebnis erwirtschaftet wird. Also meine Daumenpeilungsnummer ist, wir müssten eigentlich etwa 500.000 Euro Gewinn machen jedes Jahr und wir müssen wieder eine Rücklage haben, die irgendwo zwischen zwei und drei Millionen liegt, damit wir – falls nochmal sowas ähnliches passiert wie Covid – auch stabil und überlebensfähig sind.
Die FN ist ein eingetragener Verein. Sie, mit Ihrem Hintergrund, sprechen von einem Unternehmen und das muss ja auch unternehmerisch geführt werden. Kann ein eingetragener auch gemeinnütziger Verein überhaupt große Gewinne erzielen?
Auch ein eingetragener Verein kann ordentliche Gewinne realisieren, wobei es bei der FN natürlich nicht so ist, dass wir da große Geldreserven anlegen sollen. Das Geld soll immer wieder dem Sport und vor allem auch dem Nachwuchs zugutekommen. Von daher ist es ein bisschen anders als in der in der freien Wirtschaft, aber doch ähnlich
Das ist ein Ehrenamt, das sie bekleiden, und es gibt auch das Hauptamt und das ist, wie wir wissen, zu recht ein großes demokratisches Geflecht, die Landesverbände, die einzelnen Unterabteilungen… Wie sind die Abstimmungsprozesse, wenn Sie sagen wir krempeln jetzt die Ärmel hoch? Geht das so einfach?
Ich bin eigentlich optimistisch, weil die sogenannten Gremien, also die Ehrenamtler, das sind ja alles verdiente Leute, die alle eigentlich das Beste für den Reitsport im Sinn haben. Und ich bin optimistisch, dass wir gemeinsam da auch entsprechende strukturelle Anpassungen machen.
Olympische Zukunft des Reitsports
Ein Kopf musste rollen beziehungsweise eine sicherlich auch kostenintensive Idee, die sich als nicht so erfolgsträchtig herausgestellt hat, sprich das Berliner Büro der Deutschen Reiterlichen Vereinigung wird geschlossen?
Das war vor meiner Zeit bereits entschieden worden, was richtig ist. Ich habe dann ja gesagt, ich brauche das auch nicht, weil ich ganz gut vernetzt bin in der Politik. Und dann wurde gesagt, Richenhagen prahlt. Also muss ich da ein bisschen vorsichtig sein. Aber es ist tatsächlich so, dass ich gut vernetzt bin. Und Lobby und Government Relations, also die Verbindung zur Politik, ist meiner Meinung nach Chefsache.
Social Media ist ein Thema, dort wird sehr vieles sehr kritisch gesehen und es herrscht eine gewisse Aufgeregtheit auch natürlich, weil es immer um die olympische Zukunft des Reitsports geht. Wie wichtig ist das für den Reitsport, und zwar auch für die kleinen Kinder, die irgendwann anfangen zu reiten, dass Reitsport weiterhin olympisch stattfindet?
Für die kleinen Kinder vielleicht weniger, obwohl das natürlich für die auch spannend ist, wenn sie sich mit Pferden und mit dem Reitsport identifizieren, wie bei anderen Sportarten auch. Aber man sieht ja, dass es auch Sportarten gibt, die erfolgreich sind ohne olympische Präsenz. Ich glaube, die Zukunft des Reitsports bei den Olympischen Spielen ist erstmal sicher. Man muss aber daran arbeiten. Der Reitsport ist natürlich etwas aufwendig und man muss dafür sorgen, dass wir uns möglichst skandalfrei und ordentlich verhalten.
Pferde sind ein ganz, ganz bedeutendes Kulturgut und die vielen Reiter und Pferdeleute. Wir haben hier in Deutschland etwa 700.000, die bei der FN registriert sind, und darüber hinaus noch mal mindestens zwei Millionen nichtorganisierte Pferdeleute. Die verwenden viel Zeit und viel Geld, um die Pferde gesund und glücklich zu halten. Das ist natürlich eine Aufgabe, die die Reiter für die Gesellschaft wahrnehmen und von daher ist es natürlich schön, dass der Reitsport auch olympisch ist und er bei der Olympiade präsentiert wird. Ich bin da ganz optimistisch, dass das so bleiben kann.
Lieblingspferde und Prognosen
Hatten oder haben Sie eigentlich ein Lieblingspferd?
Zurzeit ist mein Lieblingspferd eine selbst gezogene Stute. Wir züchten immer so ein bisschen und diesmal haben wir eine fünfjährige Stute, die richtig spitze ist. Sonst war mein Lieblingspferd mein erfolgreiches Pferd, eine westfälische Lucius-Stute. Bei den großen Dressurpferden, die mir immer ganz besonders gut gefallen haben, war es Satchmo. So ein erfolgreiches Schlitzohr. Der brauchte schon eine geniale Reiterin, überhaupt auf solchem Niveau reiten zu können.
Den haben Sie auch hautnah unter anderem als Equipe der Olympischen Spiele 2008 in Hongkong miterlebt. Sie haben es gesagt, die Zahlen sehen nicht so gut aus, also die Prognosen: weniger Reiter, in der Zucht hört man nicht so viel optimistische Stimmen, weil die Kosten viele Züchter überlegen lassen, ob das überhaupt noch realistisch ist weiter zu züchten. Wie kriegen wir denn da wieder Optimismus rein?
Ich bin nicht ganz so pessimistisch. Gestern war ich mit Herrn Miesner (dem Geschäftsführer Zucht bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung) bei der westfälischen Körung. Dort habe ich erstens viele sehr gute Pferde gesehen und zweitens auch sehr viele optimistische Züchter. Das ist natürlich eine Leidenschaft und da gehört so ein bisschen Begeisterung dazu. Nicht alles ist dann wirklich finanziell attraktiv und lukrativ, aber ich glaube, wenn man das vernünftig organisiert, dann kann die FN zumindest auch in diesem Bereich weiter ordentlich wirtschaften.
Das ist immer nur mittelbar, weil letztendlich die Zuchtverbände agieren müssen und die stehen teilweise vor großen, auch sehr individuellen Problemen. Da hat jeder so sein eigenes Thema momentan. Der eine mehr, der andere weniger. Wenn Sie sich einen Zeitplan setzen für eigene Erfolge: Ab wann erhoffen Sie sich erste Wirkungen von neuen Maßnahmen? Haben Sie da so einen internen Zeitplan, dass Sie sagen, in einem Jahr möchte ich da sein, in anderthalb Jahren müssen wir da sein, in drei Jahren sollten wir oder so…?
Noch nicht. Das wäre ja auch erstaunlich, wenn ich das nach einer Woche bereits machen könnte. Ich glaube, dass es das Ziel ist, in diesem Jahr erstmal ein ausgeglichenes Ergebnis abzuliefern. Das sieht auch ganz positiv aus bis jetzt. Und dann im nächsten Jahr einen kleinen Gewinn. Im ersten Halbjahr nächsten Jahres wird es dann einen detaillierten Fahrplan geben und dann treffen wir uns dazu auch nochmal.
Die Faszination Pferd, die glaube ich jeder kennt, der sich mit der Kreatur jeden Tag auseinandersetzt und beschäftigt, ist die noch etwas, mit dem man in der Wirtschaft – Stichwort Akquise – Sponsoren findet? Neue Gelder, ich sage mal salopp, locker machen kann?
Also das ist ja auch jetzt im Augenblick ein bisschen so ein deutsches Problem. Wir sind da in Deutschland etwas in ein negatives Licht geraten. Ich kann Ihnen sagen, dass in Amerika das Interesse am Pferd immer stärker wächst, in vielen anderen Ländern auch. Deutschland ist traditionell eine erfolgreiche Nation. Ich bin da einfach optimistisch.
Hohe Erwartungen
Was in Amerika, oder auch im angelsächsischen Raum ja viel weiter verbreitet ist, nicht nur aber auch im Pferdesport, sind Stiftungen, sind Charities also Wohltätigkeitsaktionen, die ganz gezielt den Pferdesport unterstützen. Da gibt es in Deutschland die Stiftung Pferdesport, in der waren Sie ja auch lange.
Als Präsident von der FN bin ich automatisch wieder mit im Haus. Von daher kenn ich das ja ganz gut und das ist auch eine erfolgreiche Institution.
Da werden teilweise auch gezielt einzelne Nachwuchsreiter unterstützt von honorigen Personen aus dem Kreis der Stiftung. Sehen Sie da noch Möglichkeiten, die Arbeit der Stiftung noch ein bisschen deutlicher in den Vordergrund zu stellen, um damit vielleicht auch wieder Menschen zu erreichen, die pferdeaffin sind, aber noch nicht auf die Idee gekommen sind, sich dort vielleicht finanziell zu engagieren?
Ja genau, das ist der Punkt. Da müssen wir ran und da kann ich auch, glaube ich, helfen.
Ich bin gespannt, wie es weitergeht…
Das läuft jetzt unter der Überschrift für „Wind of Change“. Die Mitarbeiter bei der FN sind ziemlich begeistert, ist mein Eindruck, man muss da vorsichtig sein. Die Erwartungen sind hoch und das funktioniert ja nicht einfach nur, wenn man so kluge Sprüche macht, sondern man muss dann auch liefern. Und da soll es nicht an mir liegen. Ich werde mir Mühe geben, um es mal so zu sagen, bin aber moderat optimistisch.
Feiern Sie denn Weihnachten in Deutschland oder in Amerika?
Ich fliege am 18. nach Amerika zu meiner Familie und komme dann aber im Januar wieder zurück.
Das Gespräch führte Jan Tönjes
Zur Person
Martin Richenhagen
Geboren 1952 in Köln als Sohn eines Volksschullehrers. Studium Theologie, Philosophie und Romanistik in Bonn. Nach Abschluss des Lehramtsstudiums und kurzer Tätigkeit als Lehrer wechselte Richenhagen in die Wirtschaft. Der Höhepunkt seiner erfolgreichen Karriere war die Position als CEO des weltweit drittgrößten Landmaschinenherstellers AGCO (u.a. Fendt) von 2004 bis 2020. Parallel bekleidete er u.a. Positionen bei der US-Handelskammer. 2008 wurde Richenhagen zum Honorarprofessor für Management in der Agrartechnik an der TU Dresden berufen. Noch heute bekleidet er diverse Aufsichts- und Beiratsposten (Linde, Daimler Truck, Stihl).
Der Geschäftsmann ist verheiratet und hat drei Kinder. Er spricht Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch fließend. 2017 bekam er das Bundesverdienstkreuz
1. Klasse verliehen. Er lebt in Duluth (Georgia, USA). Seit 2011 besitzt er auch die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten.
Richenhagen war im Dressursport bis zur schweren Klasse erfolgreich, 2008 Equipechef der Deutschen Dressurreiter in Aachen und bei den Olympischen Spielen in Hongkong. Bis 2014 internationaler Richter auf Vier-Sterne-Niveau. Er war außerdem aktiv in der Studentenreiterei. Für seine Verdienste um den deutschen Pferdesport wurde dem neuen FN-Präsidenten das Reiterkreuz in Silber verliehen.
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