Ingrid Klimke ruft (korrekter müsste es eigentlich heißen, die Equitana ruft) und die Menschen pilgern nach Essen. Und wie sich das für eine richtige Pilgerfahrt gehört, werden sie dafür reich belohnt.
Wenn die Pilgerer aus dem Hier und Jetzt buchstäblich am Ende sind, am Ende des Jakobswegs angelangt sind, wenn sie Santiago de Campostela sehen, dann durchfährt sie ein ganz besonderes Gefühl. Eines das sich ganz fest verankert in diesen Menschen. Ein Gefühl, an das man sich gern zurückbesinnt, eines dass Kraft bringt. Insofern haben die Pilgerer auf dem Jakobsweg und die Besucher des Ingrid Klimke-Ausbildungsabends auf der Equitana etwas gemeinsam. Diesen einen, diesen besonderen Moment, von dem man noch lange zehren kann. Ein Unterschied aber ist da: Hape Kerkeling beschrieb seine Jakobswegerfahrung mit „Ich bin dann mal weg“: Diejenigen, die in Essen dabei sein durften, die waren „hin und weg“. Ein sicheres Indiz dafür war der Applaus, der erst nach ein paar Sekunden so richtig aufbrausen wollte. Die Menschen brauchten diese Sekunden, erstens um zu verstehen, dass der Abend nun schon vorbei war und zweitens um kurz das Erlebte zu verarbeiten. Zumindest im Ansatz. Erst dann konnten sie so richtig aus sich herausgehen, konnten stehend applaudieren. Eine Zwölf auf dem Applausometer – vorausgesetzt, dass er erstens ein solches Gerät gibt und dass es zweitens über eine Skala verfügt, die bei Zehn eigentlich aufhört.
Da stand sie nun, einen pinkfarbenen Helm auf dem Kopf, ein rosa Reitkleid am durchtrainierten Körper in der Mitte der Halle 6. Einfach nur Ingrid Klimke. Echt. Authentisch. So wie der gesamte Abend. Ein Abend, der allerdings nur ganz am Ende mit Pink und ganz etwas Bling Bling zu tun hatte. Im Sattel von „Franz“, Franziskus, dem Zweitplatzierten des Finals im Nürnberger Burg Pokal 2016 , war sie mutiert, von der Reitmeisterin mit Mikrofon zur Partymieze, die zu Andreas Gabaliers „Ulapalu“ auch gerne noch die dritte Diagonale Trabverstärkung ritt, begleitet von ekstatischen Schreien von den vollbesetzten Rängen. Ja, „Reite zu Deiner Freude“, Ingrid Klimkes Wahlspruch, neudeutsch ein „Hashtag“ und korrekt #reitezudeinerfreude geschrieben, hat eben auch diese Seite.
Wer einen Macho auf seine Seite bekommen hat, der darf dann auch mal auf dicke Hose machen.
Und siehe da: Das funktioniert dann auch, wenn die Grundausbildung stimmt. Und genau darum ging es. Um Ausbildung, um den Weg, den Reiter und Pferde, junge wie erfahrene, einschlagen sollen. Den richtigen Weg, an dessen Rand nicht Kapellen und Pilgerunterkünfte wie auf dem Jakobsweg liegen sondern die klassischen Maximen der Reitlehre: Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichten, Versammlung. Die Skala der Ausbildung, dargereicht in einem facettenreichen Kaleidoskop über dreieinhalb Stunden, die einem kaum mehr als eine Dreiviertelstunde erschienen: 16 Pferde, junge Reiterinnen und Reiter, Ponys, der vierjährige Firlefanz und der 20-jährige, unvergessene Vielseitigkeitsheroe „Braxxi“, offiziell FRH Butts Abraxxas v. Heraldik xx. Von Stallmanagerin Carmen Thiemann mit Halsring über Cavaletti – die durften als roter Faden selbstredend nicht fehlen an diesem Abend – geritten. Was für eine Freude, wenn ein mehrfacher Mannschaftsolympiasieger, ein Pferd das beim CCI4* in Burghley ganz weit vorn stand, in diesem Alter und nach dieser „Kilometerleistung“ sich noch so präsentiert. Gänsehaut!
Ein tolles Vielseitigkeitstraining zum Auftakt, mit Ecken und Hecken, schmalen Elementen und Distanzen. Cavaletti-Arbeit auf gebogenen Linien mit den Vier-Sterne-Siegern Hale Bob OLD v. Helikon xx und SAP Escada FRH v. Embassy.
Interessante Arbeit auf einer 19 Meter-Distanz, bei der unter anderem Greta Busacker, Ingrids Tochter, bewies, dass sie den Klimke Genpool in sich trägt und genauso ehrgeizig wie gefühlvoll damit umzugehen vermag. Great war es auch, die mit ihrer Schwester Philippa auf einem Pony als Handpferd noch eine rasante Runde drehte – die nächste Generation steht schon in der Startbox …
Jungpferdearbeit, Lösungsphase, das (erzieherische) Wunder der ganzen Parade, „mittelalterliche“ Pferde (nein, keine Ritter, aber so die Bezeichnung für die Siebenjährigen von Kommentator Christoph Hess) – selten hat die Reitlehre so bunt, so schön und so vollkommen gezeigt, warum sie ohne Konkurrenz ist. Alles andere als das, was das Publikum in Essen zu Gesicht bekam, ist Zirkus, ist etwas, das die Welt nicht braucht. Es wäre wünschenswert, dass viele, die sich in internationalen Richterhäuschen berufen fühlen, mittels ihrer Urteile Maßstäbe zu setzen, diesen Abend gesehen haben.
Diejenigen, die da waren, die haben sicherlich noch eines gesehen: Der Buschreiterin Ingrid Klimke erwächst eine große Konkurrenz im eigenen Stall in Gestalt der Dressurreiterin Ingrid Klimke. Was Ingrid und die neunjährige Rheinländer Stute Geraldine an Trainingsstudien aus dem Grand Prix-Sport zeigten, das war nicht nur gut, das war in einigen Momenten schon richtig gut. Das sah nicht nur nach Louisdor-Preis aus, da war noch mehr zu erkennen. Fazit: #ingridreitetzuunsererfreude oder noch einfacher. DANKE für einen besonderen Abend!
Jan Tönjes
Hier gehts zur Reportage über Ingrids Burgpokalfinale. air jordan 1 mid outlet | is factory outlet store legit
Plural von Pilger ist immer noch Pilger!
Ein sehr schöner Beitrag!