Kevin Staut und Ex-Freundin Marie Valdar Longem vor Gericht – Aussage gegen Aussage

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Kevin Staut (© www.toffi-images.de)

Vor knapp einem Jahr wurde bekannt, dass die norwegische Springreiterin Marie Valdar Longem ihren damaligen Freund Kevin Staut wegen häuslicher Gewalt angezeigt hat. Nun fand in Lisieux in der Normandie die erste Gerichtsverhandlung statt, bei der unter anderem Steve Guerdat als Zeuge gehört wurde.

Es geht um die Nacht vom 2. auf den 3. Februar 2023. Es war das Wochenende der Weltcup-Etappe in Bordeaux. Kevin Staut war dort am Start. In jener Nacht kam es zwischen ihm und seiner damaligen Freundin, der norwegischen Springreiterin Marie Valdar Longem zu einem Streit im Hotelzimmer. Das bestreitet keiner der beiden. Marie Valdar Longem sagt, Kevin Staut sei handgreiflich geworden. Sie habe Nasenbluten gehabt und eine Gehirnerschütterung davongetragen. Sie hat den Springreiter wegen Körperverletzung angezeigt. Kevin Staut sagt allerdings seinerseits ebenfalls, er habe durch den Streit Verletzungen davongetragen und ebenfalls Anzeige erstattet.

Am 18. Januar haben die Parteien sich in Lisieux vor Gericht getroffen. Das französische Magazin „Grand Prix“ war vor Ort und hat den Verlauf der Verhandlung genau dargestellt. Demnach hat der zuständige Staatsanwalt zunächst klargestellt, dass „unabhängig von den beruflichen Qualitäten von Kevin Staut und Marie Longem sie wie jeder andere vor Gericht gestellt werden“. Die sportlichen Meriten dürften also keine Rolle spielen. Die Anwältin von Kevin Staut, Fanny Collin, erklärte derweil vor Beginn der Anhörungen: „Kevin Staut, das ist ein dreißigjähriges Leben voller Opfer, mit den Olympischen Spielen als Ziel.“

Über den Ablauf des Abends waren die Parteien sich einig. Die Richterin fasste zusammen: „Nach einem Abend auf einem Weingut kam es auf der Fahrt zu einem Streit zwischen Herrn Staut und Frau Longem. Sie kamen gegen 22.45 Uhr im Hotel an. Frau Longem nutzte den Schlaf von Herrn Staut, um in seinem Telefon zu wühlen.“ Marie Valdar Longem gab auch zu, dass sie Stauts Handy entwendet hatte, da sie vermutete, dass dieser Beziehungen zu anderen Frauen hat.

Aussage Kevin Staut

Kevin Staut erklärte, er bleibe bei seiner „Version“ der Geschichte. Demnach habe er geschlafen, als Marie Longem ihn angriff und sich auf seine Beine setzte. Er sei jäh von einem heftigen Schmerz in seinem linken Knie geweckt worden, könne aber nicht sagen, ob Longem es absichtlich darauf angelegt hatte. Zum Hintergrund: Laut Grand Prix laboriert Staut schon länger an Knieproblemen und Marie Longem wusste davon.

Staut habe dann gesehen, dass sie sein Handy in der Hand hielt. Er habe sein Zimmer verlassen wollen, da ihm dieser Streit „aussichtslos erschien“. Er habe seine Sachen zusammengepackt und Marie Longem nach dem Handy gefragt. Sie habe sich geweigert, es ihm zurückzugeben. Daraufhin habe er ihre Handgelenke gepackt, um an das Telefon zu kommen. Sie habe ihn daraufhin an die Wand und ihre Nase gegen ihn gedrückt. Sie seien mit den Köpfen zusammengestoßen, woraufhin Marie Longem Nasenbluten bekam. Bewusstlos sei sie aber nicht gewesen, betonte Staut. Aber „immer noch verärgert“. Darum habe er das Zimmer verlassen. Den Stinkefinger habe er ihr nicht gezeigt, wie behauptet würde. Im Hotel war kein Zimmer mehr frei, darum habe er sich in einen der Flure gelegt. Er habe jedoch nicht einschlafen können, also sei er zurück in sein Zimmer gegangen. Marie Longem sei nicht mehr da gewesen.

Am 8. Februar soll der Arzt von Kevin Staut Prellungen und Kratzer am Rücken des Reiters fest sowie eine Knieverletzung. Er habe ihn für 15 Tage arbeitsunfähig geschrieben und weitere Untersuchungen angeordnet. Kevin Staut selbst sagt, er habe am 3. Februar, also dem Tag nach besagter Nacht, gehumpelt.

Aussage Marie Valdar Longem

Ehe sie Marie Valdar Longem befragte, fasste die Richterin ihre Schilderung der Ereignisse zusammen. Demnach habe Marie Longem in besagter Nacht Stauts Telefon genommen, während er schlief. Sie habe ihn geweckt, indem sie ihm den Finger auf die Brust legte und ihm das Telefon zeigte. Er habe sie daraufhin an den Handgelenken festgehalten und ihr einen Kopfstoß versetzt. Staut habe sie „bewusstlos liegen gelassen“, so dir Richterin, und das Zimmer „mit einem Stinkefinger verlassen“.

Longem habe ein Foto ihres blutverschmierten Gesichts an mehrere Personen geschickt und dazu geschrieben „Kevin hit me“ („Kevin hat mich geschlagen“, Anm. d. Red.). Anschließend sei sie weinend in das Zimmer einer Freundin, der schwedischen Springreiterin Wilma Hellström, gegangen. Sie habe noch am selben Abend Anzeige erstatten wollen, doch davon habe man ihr abgeraten. Das hat sie jedoch nachgeholt. Am 4. Februar hat sie in Norwegen Anzeige wegen Gewalt und Verleumdung erstattet, am 7. Februar bei der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) und am 20. Februar in Frankreich.

Am selben Abend habe Marie Longem keine Anzeige erstatten können, weil die Polizisten der Wache in Bordeaux, auf der sie ihr Anliegen vorbringen wollte, über kein „kompetentes Personal“ verfügt habe oder über „Personal, das in der Lage ist, vom Englischen ins Französische zu übersetzen“, so der Anwalt Marie Longem, Antonin Lévy.

Version von Staut stimmt nicht

„Die Version von Kevin Staut ist nicht korrekt“, sagte Marie Longem. Wie Grand Prix berichtet, sei sie hier von mehreren Reitern und Freunden unterstützt worden, die bei dem Prozess zugegen waren. Dazu gehörten auch die Springreiter Grégory Wathelet, Katharina Offel und Julia Hargreaves Lynch. Longem weiter: „Ich habe ihn nie angegriffen. Ich bin nie auf ihn gesprungen oder habe mich auf seinen Schoß gesetzt. Als er schlief, habe ich tatsächlich sein Handy genommen. Dann habe ich ihn geweckt. Er stand verärgert auf, griff aggressiv nach dem Telefon und packte mich an den Armen. Ich habe ihn nicht geschubst, sondern ihn weggestoßen, nachdem er mich angegriffen hatte. Dann versetzte er mir einen Kopfstoß. Sein Gesichtsausdruck sagte alles. Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Ich hatte große Angst. Ich verlor für einen kurzen Moment das Bewusstsein. Ich war schockiert, ich hatte Angst und ich war in einem fremden Land, dessen Sprache ich nicht sprach, also rief ich nicht die Polizei. Außerdem hatte ich noch nie zuvor Probleme mit der Polizei gehabt, also hatte ich Angst. Ich habe es vorgezogen, selbst zur Polizeiwache zu gehen“.

Auch Marie Longem wurde von einem Arzt untersucht. Der habe ihr eine zweitägige vorübergehende Arbeitsunfähigkeit verordnet und „ein Schädel-Hirn-Trauma sowie einen akuten Stresszustand, Essstörungen sowie depressive Anzeichen“ festgestellt.

Zeugenaussagen

Zu den Zeugen, die im Zuge der Ermittlungen befragt wurden, gehörte auch die Direktorin des Hotels in Bordeaux, in dem sich die Vorfälle ereignet hatten. Diese habe der Polizei berichtet, sie habe „einen Anruf von jemandem erhalten, der sagte, dass ihre Freundin Opfer eines Übergriffs geworden sei. Eine Frau sei dann weinend zur Rezeption hinuntergegangen und habe erzählt, dass sie von ihrem Partner misshandelt worden sei. Sie habe keine Blutspuren gehabt, berichtet die Richterin. Dass diese Aussagen der Wahrheit entsprachen, konnte man anhand von Tonbändern feststellen, die der Polizei zugänglich gemacht wurden.

Vor Ort anwesend war Steve Guerdat, der in den Zeugenstand gebeten wurde. Nach der Vereidigung berichtete er von den Ereignissen in Bordeaux, wie er sie erlebt hatte. Er habe Staut am Turnierplatz getroffen und sie hätten sich unterhalten. Guerdat wörtlich: „Wir standen uns nicht besonders nahe, aber über den Internationalen Springreiterclub (IJRC, dessen Präsident Kevin Staut bis Dezember 2023 war, Anm. d. Red.), dessen Mitglied ich bin (im Vorstand, Anm. d. Red.), in Kontakt.“

Sie hätten über die Party am Vortag gesprochen, bei der Guerdat selbst nicht zugegen war. Staut habe gesagt, er habe „viel Spaß gehabt und es gab guten Gin“. Fünfundzwanzig Minuten später sei eine schwedische Reiterin zu ihm in den Stall gekommen. Der Grund dafür sei gewesen, dass sie wusste, dass Guerdat Mitglied des IJRC war. Die Reiterin habe ihm erzählt, dass es am Vortag eine Schlägerei gegeben hatte und Kevin Marie verprügelt hatte. Er habe ihr daraufhin gesagt, dass es das Beste sei, wenn Marie ihn anrufen würde. Das habe sie noch am selben Abend getan und ihm erzählt, dass Kevin ihr einen Kopfstoß versetzt und sie beleidigt habe.

Am selben Tag habe er auch mit Henk Nooren gesprochen, dem Trainer der französischen Kaderspringreiter. Der habe die Versionen beider Beteiligten gehört und gegenüber Guerdat gesagt, die Versionen würden zu 85 bis 90 Prozent übereinstimmen. Guerdat: „Ich selbst bin weder Richter noch Anwalt, also konnte ich nicht viel tun. Aber seit dieser Geschichte habe ich mich immer geweigert, mich mit ihm an einen Tisch zu setzen.“ Tatsächlich war Guerdat laut Grand Prix bei der Generalversammlung des IJRC Anfang Dezember in Genf nicht zugegen, obwohl er bei dem Turnier am Start war.

Guerdat: „Als ich hörte, dass er sich als das Opfer ausgab, fand ich, dass er die Welt zum Narren hielt… Deshalb bin ich heute hier. Ich finde das nicht normal und war schockiert. Seine Freundin kommt extra aus den USA, um ihn zu sehen, es endet in einer Schlägerei und er verlässt das Zimmer, während sie Nasenbluten hat … Er hat sich nicht einmal Sorgen gemacht! Und dann hatte ich gerade Kevin gesehen, dessen Boxen neben meinen lagen, und er schien einen ganz normalen Tag zu haben! Er humpelte nicht.“ Allerdings sagte die Anwältin, er habe unter der Hose eine Bandage getragen.

Statement Staatsanwalt

Der zuständige Staatsanwalt sagte, dass dieser Fall es ermögliche, „an die Bedeutung von häuslicher Gewalt zu erinnern und daran, dass sie alle Menschen betrifft, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund, ihrem Alter oder ihrem Geschlecht“. Er sei „immer wieder überrascht“, dass diese Taten auch von gebildeten Menschen verübt werden und erklärte weiter: „Ich plädiere für ein Sensibilisierungstraining für häusliche Gewalt, insbesondere weil keiner der Angeklagten verstanden zu haben scheint, was häusliche Gewalt ist. Es gibt mehr als genug Beweise zwischen den festgestellten Verletzungen und ihren eigenen Aussagen. Tatsache ist, dass beide sich als in Notwehr befindlich betrachten.“ Noch einmal ging er darauf ein, dass die anstehenden Olympischen Spiele in diesem Fall keine Rolle spielen dürften. Er forderte eine pädagogische Strafe und ein Sensibilisierungstraining für häusliche Gewalt für beide.

Statement der Rechtsbeistände der Angeklagten

Antonin Lévy, der Anwalt von Marie Longem, sagte in seinem Schlussplädoyer unter anderem, seiner Meinung nach sei das Trauma am Knie, das Herr Staut erwähnt, ein Scheinargument, das der Angeklagte vorgebracht habe, nachdem er von seinem Teamchef erfahren hatte, dass Marie Longem eine Anzeige erstatten wollte. Er hätte den Chefarzt eines Krankenhauses in Paris befragt und der hätte ausgesagt, dass es möglich sei, dass der Schmerz schon vorher bestanden habe und dass die Rückkehr möglicherweise gar nichts mit dem Vorfall zu tun habe. Der Wunsch seiner Mandantin, den Vorfall zur Anzeige zu bringen, sei darauf zurückzuführen, dass sie „das Tabu der Gewalt gegen Frauen in der Welt des Pferdesports brechen wollte“.

Später erklärte Lévy, es sei für Marie sehr schwierig zu ertragen gewesen zu hören, dass es sich um gegenseitige Gewalt handeln solle. Das entspreche weder „der Realität dieses Falles noch dem, was die Prävention gegen Gewalt gegen Frauen sein sollte“. Er könne sich „nicht einmal vorstellen, dass Marie verurteilt wird. Daher denke er auch nicht darüber nach, Berufung einzulegen. „Wir sehen der Urteilsfindung mit Gelassenheit entgegen“, so Lévy.

Fanny Colin sagte aus: „Tatsache ist, dass mein Mandant durch einen Schlag von Frau Longem Schmerzen im Knie erlitten hat. Da ich nun mehr über ihre Persönlichkeit weiß, bin ich mir sicher, dass sie glaubt, was sie sagt, weil sie so selbstbezogen ist. Sie kann es nicht ertragen, wenn jemand nein zu ihr sagt. Ich fordere natürlich, dass Kevin Staut freigesprochen wird.“

Ihr Mandant sei froh, dass diese Anhörung stattgefunden hat, kommentierte sie später. Es sei alles gesagt worden und sie hätten das Gefühl, dass die Wahrheit  reagierte sie auf den Ausgang. Ihrer Meinung nach sei die Wahrheit wieder hergestellt und bewiesen worden, dass Kevin Staut Marie Longem „zu keinem Zeitpunkt Gewalt angetan hat, was auch umgekehrt nicht der Fall war“. Auch sie betont, dass sie dem Urteil gelassen entgegen sehen. Sollte Staut verurteilt werden, würden sie „natürlich Berufung einlegen, da es sich um einen Justizirrtum handeln würde“.

Die Entscheidung soll am 22. Februar fallen.

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Dominique WehrmannRedakteurin

Studierte Politologin, seit 2006 bei St.GEORG. Als Jugendliche Dressurtraining bei Hans-Georg Gerlach, Michael Settertobulte und Reitmeister Hubertus Schmidt und das auf einem selbstgezüchteten Pferd. Verantwortet die Bereiche Spitzensport und Pferdezucht. Im Presseteam des CHIO Aachen und der Pferdemesse Equitana, hat für den NDR im Fernsehen kommentiert.

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