Olympia-Teilnehmer 2024 im Porträt – Vielseitigkeitsreiter Christoph Wahler haben wir im Dezember 2020 besucht. Damals stellten wir fest: „Beruf kommt von Berufung“, heißt es. Für Christoph Wahler ist sein Beruf nicht nur Berufung, sondern Bestimmung. Von einem, der angekommen ist.
Was haben die Olympia-Teilnehmer 2024 wie Christoph Wahler für eine Geschichte? Wir haben sie besucht, teilweise lange bevor sie gen Olympia Paris 2024 aufbrachen. In einer lockeren Serie stellen wir die vor, die hoffentlich aus Versailles als goldene Reiter zurückkommen.
Ein goldener Herbsttag auf dem Klosterhof Medingen. Die Sonne blitzt durch buntes Laub. In der Luft liegt der leichte Modergeruch nasser Blätter und feuchter Erde, durchsetzt mit dem wohlig-warmen Duft nach Pferdestall. Wenn diese mächtigen Eichen, Buchen, Linden reden könnten, sie würden hunderte Jahre Geschichte Revue passieren lassen. Wie im 17. Jahrhundert die Hofstelle als landwirtschaftlicher Betrieb zum Kloster nebenan entstand. Wie dann in den 1960er-Jahren Eugen Wahler mit seiner Familie Einzug hielt, eine der erfolgreichsten Trakehner Zuchten der Nachkriegsgeschichte aufbaute und die erste private Hengstprüfungsanstalt Deutschlands etablierte (die vor 22 Jahren geschlossen wurde, als die eigene Hengststation immer größer wurde); dass Burkhard und Ingrid Wahler hier ihre vier Kinder Caspar, Theresa, Isabell und Christoph großzogen, nachdem sie den Betrieb in den 1980er-Jahren übernommen hatten; dass der Hengst Caprimond, dessen Bronzestatue die Besucher des Klosterhofs empfängt, die nächste Generation Wahler in die höheren Weihen der Dressur führte und von Medingen aus nicht nur die Trakehner Zucht revolutionierte; wie sich nach und nach Hannoveraner, Westfalen und Oldenburger zu den Trakehner Hengsten gesellten und ein De Niro von hier aus zum besten Dressurvererber der Welt avancierte.
Die nächste Generation ist am Zug
Meilensteine gibt es viele auf dem Klosterhof. Der jüngste: 2020 hat Christoph Wahler den Betrieb von seinem Vater übernommen. Mehrere Jahre war das jüngste der Wahler-Kinder in Warendorf stationiert gewesen, zunächst an der Bundeswehrsportschule, dann als Mitglied der Perspektivgruppe Vielseitigkeit und Student der Agrarwissenschaften in Osnabrück. In dieser Zeit ließ Wahler sich zum Pferdewirt ausbilden. Aber sein Ziel war es von Anfang an, wieder heimzukehren, auf den Klosterhof. Den führt er nun in dritter Generation.
Olympia 2024 Teilnehmer Christoph Wahler
Seitdem diese Reportage in der Januar Ausgabe des St.GEORG 2021 erschienen ist, ist einiges geschehen. Christoph Wahler und Carjatan S haben die schwerste Vielseitigkeit der Welt in Badminton beendet. 2022 lieferte das Paar eine Nullrunde im Parcours und half damit, dass Deutschland als Mannschafts-Weltmeister das italienische Ratoni del Vivaro verließ. 2023 dann das nächste Highlight, auch wenn Olympia 2024 Teilnehmer Christoph Wahler sich über Platz vier, knapp an Bronze vorbeigeschrammt in der Einzelwertung, zunächst nicht so recht freuen konnte. Aber: Silbermedaille mit dem Team bei den Europameisterschaften! Bei den Deutschen Meisterschaften galoppierte er mit dem mächtigen D’accord FRH in die Medaillenränge. Im April 2o24 konnte er den Hannoveraner beim CCI5*-L in Lexington in die Platzierung reiten. Damit verfügt Christoph Wahler über zwei Fünf-Sterne-Pferde. Das gibt es nicht alle Tage!
Auch privat hat sich einiges verändert: Christoph Wahler hat zwei kleine Däumchen zusätzlich, die ihm in Paris die Daumen drücken, die seines Sohns!
Gerade führt Christoph Wahler allerdings nicht, sondern frühstückt. Wie jeden Morgen saß er um 6.45 Uhr auf dem ersten Pferd. Nun ist es zwei Pferde später, Schlag 8.30 Uhr. „Ich wusste schon mit elf oder zwölf Jahren, dass ich eigentlich nichts anderes machen will als Reiten“, sagt er. Da fügte es sich gut, dass seine Geschwister von Anfang an keine Ambitionen zeigten, in Papas große Fußstapfen zu treten. Der älteste des Quartetts, Caspar, lebt inzwischen in London und arbeitet in der Finanzbranche. Theresa, einst erfolgreich bis Grand Prix im Viereck, ist nun zweifache Mutter und unterstützt auf dem Klosterhof noch in Sachen Marketing und Strategie. Isabell ritt einst wie Christoph Vielseitigkeit, hat sich dann aber der Medizin verschrieben. So ist es nun der jüngste, der das Familienerbe antritt.
Viel mehr als „nur reiten“
Gedrängt worden sei er aber nie, betont Christoph Wahler. „Meine Eltern haben uns alle Freiheiten gegeben. Aber sie haben sich natürlich auch gefreut, dass ich weitermachen will.“ Der Herausforderungen, die nun auf ihn zukommen, ist Wahler sich bewusst, zumal Chef auf dem Klosterhof zu sein deutlich mehr ist als „nur zu reiten“, wie es ihm als Kind vorschwebte. Zwar sitzt er durchschnittlich auf 14 Pferden pro Tag. Aber jetzt trägt er auch die Verantwortung für die eigene Zucht, die Hengststation, das Management der Pferde vom Fohlenalter an, also Ausbildung, Verkauf usw. Daneben die Veranstaltungen – Hengstschauen im Frühjahr, die Fohlensaison, die Fohlenschauen, die Turniereinsätze, die Auktion im Herbst, Körungen usw.
Hatte er sich in Warendorf vor allem um seine Sportpferde zu kümmern und „nebenbei noch ein bisschen“ studiert, ist es jetzt ein ganzer Strauß an Aufgaben, die zu bewältigen sind. Ständig Entscheidungen, viel Verantwortung, alles auf seinen Schultern. Zu viel wird es ihm nicht. „Es ist eine große Vielfalt an Dingen, die zu bearbeiten sind. Aber es ist auch unglaublich belohnend.“ Das Landwirtschaftsstudium hatte Wahler übrigens einst in der Annahme begonnen, dann auch künftige Pferdewirte ausbilden zu dürfen. Doch die Gesetzeslage hat sich geändert. Der Pferdewirtschaftsmeister ist nun verpflichtend, um Pferdewirte heranziehen zu dürfen. Als das klar war, hat Wahler sein Studium vorerst auf Eis gelegt. „Ich bin einfach nicht der Typ, der hinter dem Schreibtisch sitzt.“ Eingeschrieben ist er aber noch. Und wenn es zeitlich passen sollte, will er auch zu Ende studieren. Auf jeden Fall aber wird er noch seinen Pferdewirtschaftsmeister machen.
Träumen erlaubt
Wichtig ist ihm bei aller Verantwortung für den Betrieb (und damit für 13 bis 14 Angestellte und 120 Pferde plus die Aufzuchttiere), dass seine Vielseitigkeitskarriere nicht zu kurz kommt. Da ist er erblich vorbelastet. Auch sein Vater Burkhard Wahler war einst im Busch hoch erfolgreich, wurde Deutscher Meister. Christoph Wahler gehört derzeit zum Perspektivkader des DOKR, also jenem Kreis, die Chancen auf einen Olympiastart haben. Er hat drei Pferde, die international gehen: den Holsteiner Carjatan S v. Clearway sowie die beiden Ibisco xx-Söhne Ikke und Ignatz. „Die Vielseitigkeitspferde reite ich zwischen 13 und 15 Uhr. Dann ist hier Mittagspause und ich habe die Ruhe“, so Wahler. Für sein Toppferd Carjatan S („der Clown“) müsse er sich schon eine Stunde Zeit nehmen. „Er ist eigen und braucht viel Beschäftigung. Die anderen sind unkomplizierter.“ Der zehnjährige Holsteiner Ikke gehört Wahler zusammen mit dem DOKR. Er hat dieses Jahr seine ersten Vier-Sterne-Einsätze gehabt. Der Oldenburger Ignatz ist schon ein Jahr älter und war bei zwei Vier-Sterne-Auftritten in 2019 einmal Zweiter und einmal Fünfter. Aber der Star im Stall ist Carjatan S.
Fünf-Sterne
Mit ihm gelang Wahler 2019 ein Doppelsieg beim Nationenpreisturnier in Houghton Hall und anschließend waren sie bei der EM in Luhmühlen dabei. Im kommenden Jahr steht der erste Fünf-Sterne-Start ins Haus. Der wäre eigentlich schon dieses Jahr geplant gewesen. Nach der Dressur in Pau Ende Oktober lagen die beiden unter den Top Ten. Doch am Morgen vor dem Gelände hatte Carjatan ein leicht warmes Bein. Er lahmte zwar nicht, aber Christoph Wahler wollte nichts riskieren. So fuhren sie unverrichteter Dinge wieder heim. Nein, verdaut habe er das noch nicht, gibt Wahler Junior zu und guckt so grimmig er es eben kann. Nun geht sein Blick in Richtung 2021. Kentucky oder Badminton – das sind seine ersten Saisonziele. Und Olympia? „Ist nicht vordergründig mein Ziel. Wir haben ja sehr viele gute Paare in Deutschland.“ Aber so viel lässt er sich dann doch entlocken: „Klar, wenn man das jetzt so lange als Leistungssport gemacht hat, wäre es Irrsinn zu sagen, ich träume da nicht von.“ (Anm. d. Red. Drei Jahre später gibt es den Olympia 2024 Teilnehmer Christoph Wahler).
Ausflüge ins Viereck vom Chef auf dem Klosterhof
Seit er Warendorf den Rücken gekehrt hat und wieder zuhause ist, gehört Wahlers Leidenschaft aber nicht mehr allein den Buschpferden. Das Hauptgeschäft des Betriebs sind die Dressurtalente. Und diese Saison sah man Christoph Wahler nicht nur bei Vielseitigkeiten im Dressurviereck. So stellte er den nun fünfjährigen Oldenburger Hengst Q-Sieben mehrfach erfolgreich in Dressurpferdeprüfungen vor und qualifizierte ihn zum Bundeschampionat. „Wenn die Qualität stimmt, habe ich großen Spaß daran, Dressurpferde zu reiten!“, betont der Chef auf dem Klosterhof.
Qualitätsvolle Pferde gibt es in seinem Betrieb ja genügend, etwa Q-Siebens Vater Quantensprung, 2015 Bronzemedaillengewinner bei den Weltmeisterschaften der jungen Dressurpferde und inzwischen mit elf Jahren auf dem Weg in Richtung S*** – wenn auch nicht turniermäßig wegen der vollen Deckliste. Dass er die Voraussetzungen für das große Viereck mitbrächte, demonstriert Christoph Wahler auf dem Dressurplatz hinter dem „Forsthaus“ (das eher eine Forstvilla ist), das gerade renoviert wird, damit dort demnächst Ingrid und Burkhard Wahler einziehen können. „Pi und Pa“ fallen dem Dunkelfuchs schon mal leicht.
Neben Quantensprung trabt, nein schwebt noch ein anderer Dunkelfuchs über den Platz: Damaschino, Reitpferdebundeschampion 2019, überlegener Leistungsprüfungssieger, Silbermedaillengewinner beim diesjährigen Bundeschampionat und ein echtes „Klosterhofgewächs“, der aus der von Eugen Wahler gepflegten Donau-Familie kommt (Trakehner Stamm der Donna) und in den ersten Generationen über Danone, Fidertanz, Caprimond und Morgenglanz ausschließlich Klosterhof-Hengste im Pedigree führt. Zusammen mit dem ein Jahr jüngeren Vitalis-Sohn Va’ Pensiero, der dieses Jahr Bundeschampion wurde, ist Damaschino eines der aktuellen Aushängeschilder der Hengststation. In seinem Sattel sitzt wie immer Hannah Laser. Hannah gehört neben Christoph Wahler selbst und seit neuestem auch Jacob Schenk sowie zwei Auszubildenden zum Kernteam der Ausbilder auf dem Klosterhof – „neben Chefbereiter Burkhard Wahler“, schiebt dessen Sohn noch schnell hinterher.
Zukunftsmusik – Olympia-Teilnehmer 2024 Christoph Wahler
Fragt man Christoph Wahler, wie er die Zukunft des Klosterhofs sieht, sagt er: „Ich hänge an dem Hof – aber nicht daran, dass er genauso bleibt, wie er jetzt ist.“ Was nicht etwa heißen soll, dass er sich nun auf die Zucht von Vielseitigkeitspferden verlegen würde („Die kauft man besser dreijährig.“). Und auch die Re-Spezialisierung auf eine Rasse ist kein Thema („Mir ist es egal, was das für ein Pferd ist, auf dem ich sitze. Hauptsache, es ist ein gutes.“). Ihm schwebt eher eine Art Qualitätsoptimierung vor. „Ich denke, wir haben alle Möglichkeiten, uns noch weiter zu entwickeln. Mein Ziel ist es, die bestmöglichen Pferde anzubieten. Dazu müssen wir streng sein mit uns selbst, was die Selektion angeht. Dass das möglich ist, dafür ist Damaschino ein gutes Beispiel.“
Und noch etwas ist ihm wichtig, auch im eigenen Interesse: „Wir haben hier nun ein junges Reiterteam auf dem Hof, die alle Ehrgeiz haben, sportlich voran zu kommen. Da muss man dann auch mal die Geduld haben, gute Pferde auch zu halten.“ Was mitunter schwerfallen dürfte. Die Siegerehrung des Bundeschampionats 2019 hatte noch gar nicht begonnen, da hatte Burkhard Wahler, der damals noch die Zügel als Chef auf dem Klosterhof in der Hand hielt, bereits einen Anruf auf seinem Telefon. Dänische Vorwahl, Andreas Helgstrand. Aber Damaschino war und ist unverkäuflich. So wie einst sein Opa De Niro, der ja ebenfalls selbst erfolgreich mit Dolf-Dietram Keller Grand Prix ging und ein Spitzenpferd nach dem anderen lieferte. Solche Pferde gibt man nicht weg. Sie sind die Zukunft des Betriebs, die Aushängeschilder. Erst recht, wenn sie wie ihre Vorfahren selbst gezogen sind.
Junge Talente
Wobei einige Klosterhof-Pferde auch zugekauft werden, vorzugsweise Nachkommen der eigenen Hengste, die Familie Wahler schon im Fohlenalter entdeckt. Die hauseigene Fohlenschau ist da die perfekte Gelegenheit. Wenn sie nicht im September über die Auktion verkauft werden, wachsen die Youngster im Herdenverband auf großen Weiden in Mecklenburg-Vorpommern auf, ehe sie zur Ausbildung auf den Klosterhof zurückkehren.
Eine weitere Fundgrube für Talente sind die Körungen. Caprimond, De Niro, Fidertanz, Herbstkönig und aktueller Borsalino oder auch der Spitzenspringer Karajan v. Kannan fanden über Deutschlands Hengstmärkte ihren Weg auf den Klosterhof. Dabei hatte es sich bewährt, Besitzergemeinschaften zu bilden. So gehörten De Niro und Fidertanz Burkhard Wahler zusammen mit seinem Studienfreund Tönne Böckmann. Mitbesitzer von Borsalino und Karajan ist Prof. Bernd Heicke vom Gestüt Fohlenhof.
Springkarriere?
Apropos Karajan – reizt es nicht auch, à la Michael Jung neben der Vielseitigkeitsreiterei den Fokus auch aufs Springen zu legen? „Doch sicher, bei einem Hengst wie Karajan würde man sich am liebsten selbst in den Sattel setzen“, gibt Christoph Wahler zu. Doch nun geht es nicht mehr allein darum, was er will. „Es ist unsere unsere Verantwortung gegenüber unserem Partner, das Pferd bestmöglich vorzustellen. Und Christian Temme, der Karajan ausbildet, hat jede Menge Erfahrungen mit jungen Springpferden.“ Wobei: „Es steht natürlich nicht zur Debatte, ob ich da Bock drauf hätte! Wenn mir heute einer ein Springpferd hinstellen würde …!“ Das Grinsen, das sich über sein Gesicht zieht, kann man nicht anders beschreiben als „lausbubenhaft“. In diesem Moment scheinen die Ausflüge mit seiner Schwester Isabell auf dem blanken Rücken ihrer Ponys nicht allzu weit weg zu sein. Doch das vergeht schnell. Viel Zeit hat Wahler heute nicht. Um zwölf Uhr haben sich Kunden angekündigt zum Pferde Ausprobieren und vorher stehen noch andere Kandidaten auf seiner Berittliste. So winkt er uns nur zu, als wir uns an der Reithallenbande verabschieden. Seine Konzentration gilt schon wieder dem Braunen unter ihm. Diesmal wieder einer Marke Viereck. Wenn nicht Michael Jung, dann vielleicht Ingrid Klimke?
Verfasst hat diesen Text über Olympia-Teilnehmer 2024 Christoph Wahler Dominique Wehrmann. Erschienen ist er im St.GEORG 1/2021
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