Pferdetierärztekongress: Reiterhand und Pferdemaul – empfindliches Gleichgewicht

Von
Professor Hilary Clayton

(© Birgit Popp)

Gebisslose Zäumung kann gnadenloser für ein Pferd sein als die herkömmliche Trense. Und der Druck, der auf dem Pferdemaul lastet, wenn der Reiter die Zügel aufnimmt, ist heftiger als gedacht. Diese und andere Erkenntnisse wurden jetzt bei einem Tierärztekongress in den Niederlanden vorgestellt.

 

Rund 300 Wissenschaftler aus 13 Nationen trafen sich zur 7. International Equitation Science Conference, um ihre Forschungsergebnisse auszutauschen. Die Tagung wurde im niederländischen Hooge Mierde in der Academy Bartels von der International Society for Equitation Science (ISES), ausgerichtet, einem Zusammenschluss von Forschern, die alle Aspekte des Pferdesports und des Pferdeverhaltens untersuchen.

Interessant für die breite Masse der Reiter waren vor allem die Ausführungen der US-amerikanischen Professorin Hilary Clayton. Sie hat durch Untersuchungen festgestellt, dass  der Nasenriemen eines gebisslosen Zaumes doppelt soviel Druck auf den Nasenrücken des Pferdes ausübt wie ein eng verschnallter Nasenriemen einer Zäumung mit Gebiss. Das bedeutet, dass eine gebisslose Zäumung nicht unbedingt besser, sprich pferdefreundlicher ist, als eine herkömmliche Zäumung mit Trense oder Kandare. Wir stehen zwar noch am Anfang unserer Forschungen und müssen verschiedene gebisslose Zäumungen noch testen, aber ich bin dagegen, dass man die Zäumung mit Gebiss verurteilt. Eine gebisslose Zäumung ist keineswegs die Lösung aller Probleme, sagt Hilary Clayton.

Weiterhin untersuchte die auf Biomechanik spezialisierte Tierärztin die Ursache des Gewichtes, das der Reiter in seinen Händen hält, unter dem Aspekt, ob es vom Reiter ausgelöst wird oder vom Pferd. Dabei stellte sich heraus, dass sich das Gewicht im Trab mit der Nickbewegung verändert und selbst bei geschulten Reitern mit offensichtlich weicher Anlehnung in den Spitzenwerten bei drei bis vier Kilo liegt. Eine in Holland ausgeführte Studie, bei der das Höchstgewicht auf fünf Kilo festgesetzt war, musste auf sieben bis zehn Kilo heraufgesetzt werden, damit verwertbare Messergebnisse erzielt werden konnten. Interessant allemal.  Um den Einfluss des Reiters auszuschließen, verwendete Hilary Clayton Ausbinder mit unterschiedlichen Elastizitäten (stark, mittel, keine), jeweils in drei unterschiedlichen Längen verschnallt. Damit erhielt sie insgesamt neun Untersuchungsergebnisse. Die kürzer verschnallten Ausbinder führten in allen drei Elastizitätsstufen zu den höchsten Spannungswerten und damit Gewichten. Bei den am stärksten elastischen Ausbindern war der Höchstausschlag zwar am geringsten. Doch  der Druck ging nie ganz auf Null zurück, sondern machte immer noch etwa ein halbes Kilo aus. Das entspricht der Grundspannung zwischen Reiter und Pferdemaul, mit dem sich Reiter und Pferd gut arrangieren können.

 

Nicht neu waren die Ausführungen des niederländischen Professors René van Weeren zur Hyperflexion (Rollkur). Dieses Mal ruderte der Tierarzt allerdings  zurück und bezeichnete die Hyperflexion als eine Haltung, die nicht lange eingenommen werden sollte, da sie wahrscheinlich nicht die vom Pferd bevorzugte Haltung sei. Allerdings gebe es aus biomechanischer Sicht keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die gegen die Hyperflexion sprechen würden. Der langjährige ISES-Präsident Andrew McLean kritisierte, dass bei diesen Versuchen, die Haltung, die vorgeblich in Dressurprüfungen gefordert werde, sowohl im Diagramm als auch beim praktischen Versuch auf dem Laufband zu eng sei. Dadurch würden die Untersuchungsergebnisse verfälscht. Mit soviel Gegenwind hatte van Weeren offensichtlich nicht gerechnet und er gelangte in Erklärungsnöte. Im Gespräch mit ST. GEORG untermauerte der australische Verhaltensforscher, Trainer und ehemalige Vielseitigkeitsreiter Andrew McLean noch seine Kritik, Es gibt Versuchsanordnungen, die darauf ausgerichtet sind, das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Natürlich haben Wissenschaftler eine gewisse Vorstellung und Meinung, was bei ihren Versuchen herauskommen wird, aber die Anordnung sollte immer so fair sein, dass sie auch das Gegenteil beweisen kann, von dem, was erwartet wird.

Grundsätzlich sieht Andrew McLean als Aufgabe der Wissenschaft die Horsemanship.  In unserer Forschung geht es vor allem um Horsemanship und der Interaktion zwischen Pferd und Mensch. Wir nähern uns den Fragen vom Welfare- Aspekt. Wir sehen als unsere Aufgabe, durch Erziehung der Reiter bzw. aller Pferdesportler das Wohlbefinden des Pferdes und den richtigen Umgang mit ihnen durch unsere Forschung und der Anwendung der daraus gewonnenen Erkenntnisse zu fördern.

Dem Kongress war ein öffentlicher Tag vorausgegangen, der den ebenfalls rund 300 Besuchern einen Einblick in die Arbeit der Wissenschaftler gab. Während danach die Forscher für zwei Tage unter sich waren, gab es zum Abschluss der Konferenz einen Tag, an dem sich die Teilnehmer von Kongress und dem nachfolgenden Global Dressage Forum (30./31.Oktober) trafen und Wissenschaft und Praxis ihre Meinungen austauschten. So wurden Stress-Situationen und Stress-Verhalten durch die Messung der Herzfrequenz bei Reiter und Pferd analysiert. Es stellte sich heraus, dass auch ohne äußere Anzeichen von Stress eine hohe innere Anspannung bestehen kann, was sich in der Herzfrequenz ausdrückt. Auch das Messen von Druck der Gewichts- und Schenkelhilfen bis hin zum Sporen war ein interessanter Aspekt. Unter einem anderen Aspekt wurde diese Druckmessung von Hilary Clayton eingesetzt. Sie hatte baumlose mit herkömmlichen Sätteln verglichen. Dabei wurde die Annahme, dass der Sattelbaum den Druck des Reitergewichts verteilt, bestätigt. Bei einem baumlosen Sattel ist der Druck der Gesäßknochen punktueller, ob dies für die Hilfengebung von Vorteil ist oder umgekehrt zu vermehrten Druckstellen in der Sattellage führen kann, dazu benötigt es jedoch weitere Studien. Weltweit gesehen haben sich die Studien zum Pferdesport in den letzten Jahren deutlich erhöht, so Andrew McLean, Für die erste Konferenz vor sieben Jahren haben wir nur ein halbes Dutzend an Beiträgen erhalten, mittlerweile sind es rund einhundert pro Jahr, aus denen wir auswählen müssen. Sehr erfreulich ist, dass rund die Hälfte der Beiträge von Studenten eingesandt wird.

 

Birgit Popp

 

Infos:  www.equitationscience.com

 

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  1. Vera

    Hier werden wieder mal Äpfel mit Birnen verglichen.

    Entweder wurde hier von der Redaktion etwas falsch wieder gegeben, oder aber es hätte auffallen müssen, dass Hillary Clayton mit einem sehr sonderbaren Vergleich arbeitet.

    Eine Gebisslose Zäumung wird auf die Nase, dass ist Fakt.
    Fakt hingegen ist auch, dass wenn man mit Gebiss reitet nicht über die Nase einwirkt sondern über das Pferdemaul.
    Somit kann man die Einwirkung der beiden Zäumungen nicht über den Druck auf die Nase vergleichen.
    Da hinkt etwas sehr gewaltig und es scheint wieder mal ein verzweifelter Versuch zu sein, das Gebiss schön zu reden und die Gebisslose Zäumung mit Schmerzen in Verbindung zu bringen.

    Schade auch, dass ein halbes Kilo Grundspannung als etwas angesehen wird, womit sich Reiter und Pferd arrangieren können. Sollte es nicht bei lediglich 100 Gramm sein?

  2. Ulrike Eckert

    Über das Reithalfter wirkt das Gebiss auch auf die Nase – dann spätestens, wenn das Pferd versucht, das Maul zu öffnen. Dann wird der Druck des Gebisses – auf Zunge und Kiefer – auf den Nasenrücken übertragen. Das wird teilweise auch als erwünschte Wirkung des Reithalfters beschrieben. Aber das ist eine andere Wirkung als bei einer gebisslosen Zäumung.
    Es ist die Frage, welche gebisslose Zäumung hier untersucht wurde. Dass ein mechanisches Hackamore ein Nasenbein brechen kann, ist bekannt. Ein drei cm breites gefüttertes Lederstück mit kurzen Hebel beim englischen Hackamoore wirkt deutlich sanfter. Ein „Glücksrad“ mit Hebelkraft verschnallt hat eine deutlich schärfere Wirkung als eines, das ohne Hebel wirkt. Ein Bitless Bridle ist wieder anders. Ohne den Versuchsaufbau zu kennen, kann man einfach gar nichts zu den Ergebnissen sagen – so wie das auch im Artikel gesagt wird (an anderer Stelle allerdings).

    500 gr als „Grundspannung“, mit der das Pferd zufrieden war, ist nicht wenig, vor allem, weil es ja an beiden Zügeln wirkt. (Wenn pro Ausbinder ein Messgerät eingeschnallt wird, wie üblich.) Auf das Genick wirkt dann schon 1000 gr, verstärkt durch den enormen Hebel des Pferdekopfes. Wenn ich ausgebundene Pferde mit starren Ausbindern sehe, versuchen die eigentlich immer, den Dreieckszügel/ Ausbinder durchhängen zu lassen. Bei elastischen Ausbindern haben sie diese Chance meistens gar nicht.

    Immer gilt, dass ein Gebiss so scharf ist wie die Hand, die den Zügel hält – unabhängig von der Zäumung.


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