Er ist 21 Jahre jung und Sieger im Deutschen Spring-Derby 2023 in Hamburg: Marvin Jüngel aus Zwickau setzte sich im Stechen gegen die Dänin Caroline Rehoff Pedersen, auch sie 21. Jünger war nur Alwin Schockemöhle, der 1957 als 19-Jähriger das Blaue Band gewonnen.
Die Mauerteile wackelten, neigten sich bedrohlich zur Seite, aber kein Element fiel am letzten Sprung des Stechens im 92. Deutschen Spring-Derby in Klein Flottbek. Damit stand fest: Marvin Jüngel und Balou’s Erbin sind die Sieger im Deutschen Spring-Derby 2023!
Zwei Nullfehlerritte, der 160. und der 161. in der Geschichte des Traditionsspringens, hatte es gegeben. Deswegen das Stechen zwischen Jüngel und der Dänin Caroline Rehoff Pedersen, die mit dem Holsteiner Wallach Calvin v. Castelan lange Zeit in Führung gelegen hatte. „Wenn es einer schaffen kann, dann er“, sagte die Dänin als Marvin Jüngel im Umlauf auf den Rasenplatz in Hamburg ritt. Sie sollte Recht behalten. Die kompakte Fuchsstute Balou’s Erbin v. Be Bravo aus der Zucht von Norbert Köpke im brandenburgischen Stolzenhagen galoppierte voller Ehrgeiz über die 17 Hindernisse. Zwar mit einer höheren Frequenz der Galoppsprünge als der großrahmige Holsteiner Calvin, aber genauso souverän.
Nuller-Stechen im Deutschen Spring-Derby 2023 in Hamburg
Die DäninCaroline Rehoff Pedersen musste zuerst an den Start. Sie trainiert bei Lars Bak Andersen, der schon lange in Holstein ansässig ist und viele Hengste des Holsteiner Verbandes geritten hat. Seit knapp zwei Jahren hat sie Calvin im Stall. „Er ist wie gemacht für dieses Springen“, sagt die Dänin. „Er ist so mutig und hat diesen unglaublich großen Galoppsprung“. Wie die 21-Jährige, die ihre Nation schon auf Europameisterschaften der Junioren und Jungen Reitern vertreten hat, den Wallach vor den typischen Steilsprung-Klippen wie den berüchtigten Bahnschranken und den Holsteiner Wegesprüngen aufnahm, spannte und fehlerfrei über die Stangen lenkte, war sehenswert.
Als Erste im Stechen am Start, blieb Pedersen fehlerfrei, schaffte es aber nicht ganz, innerhalb der erlaubten 57 Sekunden zu bleiben. Kein Abwurf, ein Zeitstrafpunkt – Marvin Jüngel musste also volles Risiko gehen. Das gelang ihm. Getragen vom kollektiven Jubel aus mindestens 25.000 Kehlen als das Paar als vorletztes Hindernis die Bahnschranken fehlerfrei überflogen hatte, ging es dann in die Linkskurve. Ganz ideal kam das Paar nicht zur letzten Mauer. Die Stute touchierte das letzte Hindernis leicht, aber alles blieb, wenn auch in leichter Schräglage, liegen.
An diesem Tag war der Springreitergott eher Sachse als Däne.
Im vergangenen Jahr hatte sich die Oldenburger Stute im Umlauf einen Fehler eben an dieser Mauer eingehandelt. „Mir fehlen jetzt noch ein bisschen die Luft und die Worte“, sagte der Sieger im Deutschen Spring-Derby 2023 nach seinem Erfolg. Wem er ihn widmete, wusste er auch schon: „Meine Mutti hat morgen Geburtstag, jetzt können wir gut reinfeiern.“
Fünf Vierfehlerritte
32 Starter hatten sich für das 92. Deutsche Spring-Derby qualifiziert. Mit lediglich einem Abwurf kamen fünf Pferde ins Ziel: 20 Sekunden schneller als die Konkurrenz war Benjamin Wulschner mit Bangkok Girl als schnellster Vierfehlerritt unterwegs (4/150,8 Sekunden im Umlauf). Dem Paar, das schon mehrfach weit vorn stand im Derby, unterlief der klassischste aller Fehler im „schwersten Springen der Welt“. Die Planke hinter dem großen Wall fiel. Nun soll die 16 Jahre alte Stute in die Zucht, „ich will ja mal ein Derbypferd züchten.“
Egal, wo Sandra Auffarth unterwegs ist: Es sieht immer so aus, als sei das, was sie gerade macht, das leichteste Unterfangen auf der Welt. Das galt für den vierten Platz der Vielseitigkeitsweltmeisterin von 2014 im CCI5*-L von Lexington vor einigen Wochen in den USA genauso wie für ihr Debüt in einem 5*-Großen Preis, gestern im Großen Preis von Hamburg, genau wie die Runde heute. Ihre erfahrene Hannoveraner Stute La Vista, die ihr Vater gezüchtet hat, sprang übereifrig über den Sprung auf dem Wall. Dann zögerte sie etwas an der Kante des Walls. Dann fiel auch bei diesem Paar die Planke – Platz vier! Die Stute würde immer ehrgeiziger und wolle immer schneller den Wall herunter, sagte Auffarth. „Das waren die zwölf Zentimeter, die mir unten am Ende vielleicht gefehlt haben.“
Fünfter wurde ein Ire, der schon lange in Verden-Walle zuhause ist, Stephan Dubsky im Sattel des Holsteiners C the stars v. Contendro, ein Neunjähriger (4/171,59). Dahinter reihte sich ein ehemaliger vierbeiniger Derbysieger ein. 2019 hatte Cordillo v. Corrido unter Nisse Lüneburg das Deutsche Spring-Derby gewonnen. Jetzt saß Simon Heineke im Sattel des nun 15-Jährigen. Heineke reitet für den Stall Magdalenenhof, Lüneburgs ehemaligen Arbeitgeber.
Brandenburger Kokolores – 20 Jahre und Platz sieben
Jan Peters schaffte etwas ganz Besonderes: Er ritt den schneeweißen Wallach Kokolores mit lediglich einem Abwurf durch den Kurs. Kokolores ist 20 Jahre alt, ging das neunte Derby und war bislang immer fehlerfrei an der Planke hinterm Wall. Das Glück war ihm in diesem Jahr, bei der definitiv letzten Runde des Kolibri-Sohns nicht vergönnt. Aber Platz sieben ist die höchste Platzierung, die der Brandenburger Wallach jemals in Klein Flottbek hat erringen können – was für ein Abschluss! Zumal Kokolores bei Bernd Peters, dem Vater des Reiters zur Welt gekommen ist. „Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist!“
Wer ist Marvin Jüngel?
Seit 2018 sind Balou’s Erbin und Marvin Jüngel ein Team. In Braunschweig qualifizierten sie sich Anfang dieses Jahres für das Finale des U25 Springpokal in Aachen. Damals war er der einzige Nullfehlerritt. Jüngel anschließend bescheiden: „Ich war schon froh, dass ich hier überhaupt mitreiten durfte“. 2020 war er bei der Entscheidung um den Goldenen Sattel Zweiter geworden. Im November 2021 wurde ihm das goldene Reitabzeichen verliehen.
Jüngel ist Profi und lebt in Kamenz bei Dresden. Die Familie hat eine eigene Reitanlage. Nach der Schule hat er eine Lehre zum Bürokaufmann absolviert. Als die fertig war, machte er sich als Reiter selbstständig. „Reiterlich hat Philipp Schober hat mich sehr lange begleitet“, sagt der frischgebackene Derbysieger.
Der Sieg im Deutschen Spring-Derby 2023 ist der bislang größte Erfolg des Sachsen, über den eine sächsische Tageszeitung einmal geschrieben hat, er wiege nur 56 Kilogramm, entwickle sich aber zu einem „Schwergewicht im Springsport“.
Fünf Achtfehlerritte „im Geld“
Mit einem neuen Pferd, dem neunjährigen Paule S v. Perigueux, schaffte es der dreifache Derbysieger André Thieme auf Rang acht. Thieme schätzt den Braunen hoch ein, als Schnellster mit zwei Abwürfen, Platz acht, hat er mehr als nur eine gute Visitenkarte abgegeben.
Neunter wurde der Brite Harry Charles, der mit Chavira v. Chacco-Blue-Calvaro am Start war. Er sah lange wie ein potenzieller „Nuller“ aus. Erst im letzten Drittel des Parcours kam es zu zwei Abwürfen, unter anderem an Pulvermanns Grab.
Platz zehn ging an Cross Keys v. Casall, mittlerweile auch schon 18 Jahre alt und mehrfach derbyplatziert (8/170,98). Im Sattel: Kai Rüder von Fehmarn, der sich nahezu zeitgleich über den Erfolg seines Sohns Matthies beim Preis der Besten freuen konnte.
Brüderliche Einheit auf den Plätzen elf und zwölf: Derbysieger Gilbert Tillmann wurde mit Hadjib Elfter (8/171,63) vor seinem Bruder Frederic. Der Rheinländer landete mit dem Zweiten des Jahres 2022, Comanche v. Cellestial, auf Platz zwölf.
Die Ergebnisse des Deutschen Spring-Derby 2023 finden sich hier.
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