Platz sieben für die Mannschaft, Platz zwei für Marcus Ehning in der Einzelwertung – die Bilanz für die deutschen Springreiter liest sich gemischt nach der ersten Wertung, dem Zeitspringen. Aber noch liegen zwei Runden vor dem Team und vier Runden vor dem künftigen Europameister.
Zufrieden, sehr zufrieden war am Ende des Zeitspringens von den deutschen Springreitern nur einer, Marcus Ehning. Mit seiner brillanten Runde auf einem bestens aufgelegten Pret a Tout , für die er nur 76,88 Sekunden benötigte, konnte sich der Senior des deutschen Teams (43) an die zweite Stelle der Zwischenwertung setzen. Schnell, ohne hastig zu werden, flog der 14-jährige Fuchs über den Kurs, meisterlich von Ehning über alle Klippen gesteuert, ohne einen Meter zu verschenken.
Nach der Umrechnung in Minuspunkte führt jetzt der schwedische Silbermedaillengewinner von Rio, Peder Fredricson auf dem elfjährigen belgischen Wallach All In (0 Punkte) vor Ehning (0,59) und der für Portugal reitende Luciana Diniz auf Fit For Fun (0,67). Vierter ist der beste Schweizer, Steve Guerdat auf Bianca (0,84).
Bei den 17 Teams liegen die Schweizer in Führung, mit 5,15 Minuspunkten vor Frankreich (6,78) und Schweden (7,21), alle drei weniger als einen Springfehler voneinander entfernt. Es ist also noch alles offen, in den nächsten Runden, den beiden Nationenpreisumläufen, nach denen die Teamwertung feststeht, und den beiden Kursen für die Einzelentscheidung am Sonntag.
Im einzelnen: Maurice Tebbel – der Pionier
Maurice Tebbel musste als erster Deutscher ins Rennen. Das war nicht nur deswegen eine schwere Aufgabe, weil er die Linienführung und die Hindernisse für seine Teamkollegen quasi testen musste, auch die frühe Morgenstunde, etwa neun Uhr, erwies sich als Nachteil. Denn die Sonne stand noch sehr tief, die Schatten waren lang und dunkel, die Pferde konnten sich schwer orientieren. Das erging nicht nur Tebbel so.
Ein Pferd hielt einen Schatten für eine Hindernisstange, machte einen Riesensatz darüber und landete mitten im folgenden Oxer. So schlimm kam es für Tebbel nicht, aber nach einem Abwurf an Sprung sechs platschte der zehnjährige Chaccos Son auch noch in den Wassergraben. „Das hat er noch nie gemacht“, ärgerte sich Tebbel.
„Für Maurice war der frühe Start sicher ein Nachteil“, sagte Otto Becker. „Aber auf Sandboden respektieren die Pferde den Graben insgesamt weniger als auf Gras. Ich hoffe deswegen, dass in den nächsten Runden der Vorbau etwas massiver ist. Schließlich müssen die Pferde noch dreimal darüber.“ Der Hengst hatte zu allem Überfluss auch noch ein Eisen verloren.
Laura Klaphake – das verflixte Wasser
Laura Klaphake fing hervorragend an, flott und fehlerlos, bis zum Wassergraben. Der hatte mit 3,90 Meter nicht mal die erlaubte Maximalbreite, schimmerte aber durch die Sonne etwas dunkel und gefährlich. Auch Catch me if you Can hatte am Graben bisher nie Probleme, diesmal trat sie voll ins Wasser und nahm auch noch den nächsten Sprung mit, eine luftige hellblaue Planke mit wogenden Wellen aus Holz, die die Stute schon bei Einreiten äußerst misstrauisch beäugt hatte. Laura Klaphake war enttäuscht, aber nicht niedergeschlagen: „Ich bin optimistisch, wir haben ja noch ein paar Runden.“
Philipp Weishaupt – Auf die Zeit gedrückt
Die Sieger im Großen Preis von Aachen 2016, Philipp Weishaupt und Convall, hatten sich mit einem Abwurf noch die Option für einen vorderen Platz offen gehalten. Mit 2,73 Minuspunkten liegt er weniger als einen Springfehler von der Spitze entfernt. Der zehnjährige Holsteiner Schimmelhengst fing brillant an. In der letzten Kurve riskierte der Bereiter des Stalles Beerbaum etwas zu viel und nahm die Stange eines leuchtend roten Oxers mit. „Das war schade, ich habe zu sehr auf die Zeit gedrückt“, sagte der 32-Jährige. Er rangiert zur Zeit auf Platz 13, Tebbel auf 59 und Klaphake auf 65.
Wann, wenn nicht jetzt?
Marcus Ehning gehört nun zum Favoritenkreis für den Titel, es wäre sein Erster. Das deutsche Team eher nicht. Vor allem den beiden Debütanten, Maurice Tebbel auf Chaccos Son und Laura Klaphake auf Catch me if you Can, beide 23 Jahre alt, merkte man die mangelnde Erfahrung an. Sie kassierten je zweimal vier Strafsekunden für Fehler. Bundestrainer Otto Becker blieb gefasst: „Ich kann den jungen Leute keine Vorwürfe machen, aber ein oder zwei Fehler weniger wären mir natürlich lieber gewesen.“
Auch der Springausschussvorsitzende Peter Hofmann verteidigte die jungen Neulinge: „Wann, wenn nicht jetzt, sollen wir sie denn einsetzen?“ Beide hatten sich mit hervorragenden Vorleistungen empfohlen, Tebbel drehte zwei Nullrunden im Aachener Nationenpreis, Laura Klaphake war in Aachen in allen großen Springen hochplatziert und hatte sich zudem in Balve den Deutschen Meister-Titel der Amazonen gesichert.
Zeit für Neues
Das Championat im nacholympischen Jahr, ein Jahr vor der Weltmeisterschaft in USA, bietet sich als Bewährungsprobe für Hoffnungsträger an, abgesehen davon, dass Bundestrainer Otto Becker keine große Wahl mehr hatte. Kein Reiter aus dem Bronzeteam von Rio kam noch in Frage: Ludger Beerbaum hat sich aus der Nationalmannschaft verabschiedet, Meredith Michaels-Beerbaum ihr Pferd Fibonacci in die USA verkauft. Daniel Deußer und Christian Ahlmann verfügen derzeit über keine einsatzbereiten Championatspferde und sind nicht mal mehr in A-Kader, weil sie die Athletenvereinbarung nicht unterschrieben haben. Becker blieb also nicht viel anderes übrig, als aus der Not eine Tugend zu machen und den Jungen eine Chance zu geben.
Qualitäten der führenden Pferde
All In hatte übrigens nach Rio eine sehr lange Pause. Er musste wegen einer schweren Kolik operiert werden. Er hatte immer mal wieder mit Problemen zu kämpfen,was wie sich dann herausstellte anatomische Ursachen hatte. Nach der OP war er in diesem Jahr schon mehrfach hoch erfolgreich. Er ist also in jeder Hinsicht ein Kämpfer.
Marcus Ehning schätzt noch eine andere Qualität seines Pret a Tout: „Mein Pferd ist sehr flexibel“, sagte Ehning zufrieden, „es kann sich auf kleinstem Raum drehen, ohne von den Füßen zu kommen.“ Der Abstand ist winzig, kann aber am Ende über die Medaillen entscheiden, denn von nun an werden die Fehler einfach addiert.
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