Olympia-Teilnehmer 2024 im Portrait – Christian Kukuk. In Tokio nahm der 34-Jährige an seinen ersten Olympischen Spielen teil, im Sattel des Schimmelhengstes Mumbai. In Paris kommt ein anderer Schimmel unter Christian Kukuk zum Einsatz, der 14-jährige Checker v. Comme il faut.
Wir wollen die Geschichten über die Olympia-Teilnehmer 2024 wie Christian Kukuk erzählen. Wir haben die Olympiateilnehmer besucht, teilweise lange bevor sie gen Olympia Paris 2024 aufgebrochen sind.
In einer lockeren Serie stellen wir die vor, die hoffentlich aus Versailles als goldene Reiter zurückkommen.
Die Art und Weise wie Christian Kukuk zum Reiten kam, ist in zweierlei Hinsicht typisch für ihn. Er war damals 13 Jahre jung. Als Sohn zweier reitender Eltern hatte er zwar schon als Kind viel Zeit im Stall verbracht, aber während es seine Schwester von Anfang an in die Nähe der Pferde zog, hatte Christian immer einen Fußball dabei und fand meistens jemanden, der mit ihm kickte.
Christian Kukuk: Springreiten statt Fußball
Als er älter wurde, nahm sein in Dressur und Springen bis S erfolgreicher Vater ihn am Wochenende häufig als Pfleger mit aufs Turnier. Christian schaute sich genau an, was sein Vater da machte und was die Konkurrenz im Sattel zustande brachte. „Ich begann mich da reinzudenken und war sicher, meinem Vater sagen zu können, wie er es besser machen kann“, schmunzelt Kukuk bei der Erinnerung. Sein Vater fand dann, wenn er es besser wüsste, dann solle er es erstmal besser machen. „Da habe ich dann allerdings gemerkt, dass das gar nicht so einfach ist, wie es aussieht“, gibt der heute 31-Jährige zu. Aber sein Ehrgeiz war geweckt und so nahm er Longenstunden bei seiner Mutter. Von da an spielte der Fußball eine zunehmend untergeordnete Rolle und als er merkte, dass er am Wochenende lieber aufs Turnier als zu einem Fußballspiel fahren wollte, war für ihn klar, wohin sein Weg ihn führen sollte. Bereut hat er es bis heute nicht, im Gegenteil: „In der Liga, in der ich heute reite, wäre ich beim Fußball ganz sicher nicht.“
Typisch Christian Kukuk
Inwiefern diese Geschichte nun typisch ist für den Christian Kukuk von heute? Zum einen sagt er von sich, dass er ein „absoluter Kopfmensch“ sei. Dieses Beobachten und „Durchdenken“ von Bewegungsabläufen, von Aktion und Reaktion ist bis heute typisch für ihn. Ebenso wie der Umgang mit Rückschlägen. „Dann wird analysiert, gelernt, besser gemacht und am Ende geht man gestärkt daraus hervor.“ Auf diese Art und Weise ist er in den knapp zehn Jahren, die er jetzt als Reiter bei Ludger Beerbaum tätig ist, von Null bis auf Platz 44 auf der Weltrangliste gesprungen. Tendenz steigend.
Olympia 2024: Teilnehmer Christian Kukuk
Dieser Beitrag über Christian Kukuk ist aus der St.GEORG Ausgabe 6/2021. Noch im selben Jahr gab der heute 34-Jährige sein Olympia-Debüt in Tokio. Seitdem führte sein Karrierepfad weiter steil nach oben. Bei den Europameisterschaften 2021 gewann er Silber im Sattel von Mumbai. 2023 gehörte er zum deutschen Nationenpreisteam, das das Nationenpreisfinale in Barcelona gewann.
Aktuell belegt Christian Kukuk Platz 13 der Weltrangliste als zweitbester deutscher Springreiter hinter Richard Vogel (Platz zehn). In Paris könnte der 34-Jährige seine erste olympische Medaille gewinnen.
Reiten ja, aber erstmal „etwas Vernünftiges“
Wie Christian Kukuk zu Ludger Beerbaum kam, auch das ist ziemlich typisch für ihn. „Ludger war immer mein großes Idol, schon als ich noch nicht geritten bin habe ich immer ihm die Daumen gedrückt. Jedes Wochenende habe ich die Ergebnislisten im Internet durchforstet und geschaut, wie er abgeschnitten hat.“ Später wurde Kukuk klar, dass er das Reiten zum Beruf machen will. „Aber wenn, dann nur bei Ludger!“ Seine Eltern allerdings bestanden darauf, dass er nach dem Abitur „etwas Vernünftiges“ lernt, am besten studiert. Aber das kam für ihren Sohn gar nicht infrage. „Am Ende haben wir uns auf einen Deal geeinigt: Ich darf reiten, aber ich mache zuerst eine Ausbildung.“ Zweieinhalb Jahre lang lernte er Industriekaufmann in der Fleischindustrie. Kukuk sagt, die Zeit habe ihm unter dem Strich viel Spaß gemacht und vor allem auch viel gebracht (er hat die Ausbildung übrigens als Bester im Kreis Warendorf beendet).
Christian Kukuk: Ziel setzen und es dann erreichen
Sein eigentliches Ziel hat er aber nie aus den Augen verloren, und so wandte er sich bei passender Gelegenheit an Reinhard Wendt, den damaligen DOKR-Geschäftsführer, der sich im Kreis Warendorf ja sehr für die Nachwuchsförderung einsetzt und Christian Kukuk von daher gut kannte. Ob er einen Kontakt zu Ludger Beerbaum herstellen könnte, fragte Kukuk ihn. Wendt drückte ihm Beerbaums Telefonnummer in die Hand, Christian fasste sich ein Herz und nahm Kontakt zu seinem großen Idol auf. Ein Vorstellungstermin wurde vereinbart, der 1. Februar 2012. Jener Termin lief, wie alles bislang bei Kukuk: Was er sich erhofft hat, kam schneller als erwartet.
Christian Kukuks Termin bei Ludger Beerbaum
Das Treffen bei Beerbaum dauerte zehn Minuten, dann hatte er einen Job. Vorreiten? „Musste ich nicht. Hat mich auch gewundert, aber ich nehme an, er hatte sich Videos von mir angeschaut.“ Die Entscheidung stellte sich für beide Seiten rasch als goldrichtig heraus. „Ich war super stolz, hier reiten zu dürfen!“, sagt Kukuk. Auch wenn Fünf-Sterne-Turniere, Championate etc. damals noch sehr weit weg waren. „Ich bin mit fast gar keinen Erwartungen hergekommen. Ich habe mir einfach gesagt, du arbeitest von morgens bis abends, gibst alles und dann guckst du, wie weit du kommst.“ Das war bald schon sehr weit. „Es ging sehr schnell, dass ich Turniere geritten bin.“ Die Arbeit störte ihn nicht. „Meine Eltern hatten wohl auch heimlich gehofft, dass ich es schnell leid sein würde“, schmunzelt Christian Kukuk. Aber da kannten sie ihren Sohn schlecht. Langsam aber stetig arbeitete er sich vom Jungpferdereiter bei Beerbaum nach oben, durfte Pferde des Chefs reiten wie zum Beispiel Colestus und bildete sich parallel dazu seine eigenen Pferde aus, wie etwa Limoncello, den er seit sechs Jahren unter dem Sattel hat und von der Youngster Tour bis CSI5*-Niveau gebracht hat.
Olympia 2024 Teilnehmer Christian Kukuk: Philosoph im Sattel
Was ihm in seiner Reiterei unheimlich helfe sei, dass seine Eltern immer so viel Wert auf Dressurarbeit gelegt haben, sagt Christian Kukuk heute. Wenn die Kollegen schonmal stöhnen, dass ein Manni Kötter oder ein Sebastian Heinze vorbeikommt, um Dressurunterricht zu geben, freut er sich auf diese Stunden. Mehr noch: „Für mich ist Springreiten perfektioniertes Dressurreiten. Nur, dass eben Hindernisse in der Bahn stehen. Aber auch hier muss es das Ziel sein, dass alles einfach und unaufwendig aussieht.“
Der Respekt vor dem Pferd sei die Basis seiner Philosophie, sagt Kukuk. Das heiße aber auch, dass es eine klare Rangordnung innerhalb der Zweierbeziehung gibt. „Es muss ein Miteinander sein, bei dem aber ich derjenige bin, der den Ton angibt. Ich brauche die Kontrolle!“, betont er und Limoncello, den er am Zügel hält, stößt ein Schnauben aus, das fast wie ein Seufzer klingt, geradeso als wollte er sagen: „Ich weiß!“ Alle lachen, Christians Team und er selbst auch. Seine Turnierpflegerin Aylin setzt nach: „Ob im Sattel oder im Leben, er ist typisch deutsch!“ „Na und? Das habe ich nie bestritten. Da stehe ich zu“, grinst Kukuk, offenbar ein bisschen verlegen. „Das hat ja auch Vorteile“, gibt Aylin zu. „Man hat absolute Planungssicherheit. Wenn er sagt, er kommt um acht, dann ist er um acht Uhr da.“
Christian Kukuk: Planungssicherheit und Kompromissbereitschaft
Planungssicherheit, die braucht Christian Kukuk, auch beim Reiten. Dieser amerikanische Stil, erstmal zu reiten und dann situativ zu entscheiden, das sei nichts für ihn, sagt er. Wenn er einen Parcours abgehe, plane er jeden Meter, jeden Galoppsprung. Was allerdings die Arbeit mit seinen Pferden betrifft, sei er sehr kompromissbereit. „Mich fasziniert an der Arbeit mit Pferden die Interaktion, dass jede meiner Hilfen eine Reaktion des Pferdes nach sich zieht. Die kann gut oder schlecht sein, aber ich bekomme immer ein Feedback. Ich muss eine Idee haben, was sich wie anfühlen soll, egal ob beim Schenkelweichen oder im Außengalopp. Und dann muss ich fühlen können, wie ich da hinkomme.“
Viele sagen, man sehe den Reitern, die im Stall Beerbaum reiten, die Riesenbeck-Schule an. Christian Kukuk glaubt aber, das sei eher Zufall. Er selbst habe sich zwar viel bei Marco Kutscher abgeschaut, als der noch im Stall Beerbaum war, „aber im Wesentlichen versuche ich meine eigenen Ideen umzusetzen“. Dabei kommen ihm seine Beobachtungsgabe und seine analytischen Fähigkeiten zugute. „Die Stechen sind in den letzten Jahren immer schneller geworden. Ich habe Stechen-Reiten allerdings nie so richtig gelernt und anders als etwa Philipp (Weishaupt, Anm. d. Red.) habe ich nicht diesen Naturinstinkt dafür. Ich musste mir etwas einfallen lassen. So habe ich mir angewöhnt, meinen Pferden die Länge und die Freiheit der Kopfhaltung im Parcours zu lassen. Ich will zwar die Kontrolle behalten, und brauche auch eine gewisse Geschlossenheit, aber ich will so viel Länge im Pferd halten, dass es den Sprung einfach in den Galoppsprung einbauen kann.“
Schimmelpower
Auch wenn Christian Kukuk sagt, er setze sich keine Ziele mehr, dieses Jahr hat er schon zwei Turniere im Kopf, bei denen er nicht nur eine Statistenrolle spielen will: die Olympischen Spiele und die Europameisterschaften, die ja quasi zuhause stattfinden. Das Pferd, das ihn dorthin bringen soll, ist in erster Linie der belgische Diamant de Semilly-Sohn Mumbai, der 2020 mit damals erst acht Jahren das Weltcup-Springen in Riad gewann und im Januar in Doha in beiden Großen Preisen top platziert war. Auch er ist ein Pferd, das von Christian Kukuk selbst ausgebildet wurde.
Anders ist es mit Mumbais Back-Up im Stall, dem elfjährigen Checker. Ihn hat Kukuk erst seit einem halben Jahr unter dem Sattel. Zuvor war der Comme il faut-Sohn von Frederik Troschke für seinen Mitbesitzer Otto Becker vorgestellt worden. Dessen Tochter Mia reitet regelmäßig Unterricht bei Christian Kukuk. Kukuk probierte Checker in Sendenhorst aus und war begeistert von dem cleveren Schimmel. „Optisch hat er nichts von seinem Vater. Aber die Einstellung und die Intelligenz, die hat der ihm mitgegeben“, schwärmt Kukuk. Vom ersten Moment an hatte er das Gefühl, hier ein Pferd für große Aufgaben unter dem Sattel zu haben. Bis Checker in seinem Stall stand, dauerte es allerdings eine Weile. „Ich glaube, ich habe mit meinem dauernden Nachhaken schon ein bisschen genervt“, schmunzelt Kukuk.
Christian Kukuk: Doch noch ein Fußballer im Team
Möglich gemacht wurde die Partnerschaft mit Checker dann durch Ludger Beerbaums langjährige Mäzenin Madeleine Winter-Schulze zusammen mit Thomas Müller. Thomas Müller? Dem Fußballer? „Ja, er hatte schon länger Kontakt zu Ludger. Er meinte, er brauche mal etwas, wo er abends nach den Spielen im Hotelzimmer mitfiebern kann“, so Kukuk. Das geht im Springen ja besser als in der Dressur. Schon allein wegen der Uhrzeit, zu der meist die wichtigen Entscheidungen im Parcours fallen. Da kämpft Kukuk nun in gewisser Weise doch in einer Mannschaft mit einem Fußballstar, auch wenn er die Stollenschuhe frühzeitig an den Nagel gehängt hat.
Kukuk weiß genau, wem er das alles zu verdanken hat. „Ludger war wie ein Ziehvater für mich. Über Erfolge wie letztes Wochenende in ’s-Hertogenbosch (wo er mit Checker als bester Deutscher Dritter im Rolex Grand Prix geworden war, Anm. d. Red.) freut er sich fast mehr als ich selbst. Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich ihm für die Chance bin, die er mir gegeben hat.“
Olympia 2024 Teilnehmer Christian Kukuk: Eigenes Ding
Dazu gehört auch, dass Beerbaum seinem Bereiter freie Hand lässt, was die tägliche Arbeit mit den Pferden angeht. Natürlich ist er mit Rat und Tat zur Stelle, aber Ausbildung, Training und Management liegen grundsätzlich in Kukuks Verantwortung. Die Turnierplanung wird allerdings gemeinsam besprochen. Kukuk hat, wie auch alle anderen Reiter des Teams Beerbaum, einen eigenen Stalltrakt und ein eigenes Team, das ihn bei der Versorgung und beim Training seiner Pferde unterstützt. Kukuks Stall liegt sogar etwas abseits von den eigentlichen Ludger Beerbaum Stables, eine hinzugepachtete Anlage, die allerdings nur aus Ställen, einer Führanlage und Weiden besteht. Zum Training reitet Christian Kukuk keine fünf Minuten an den Weiden entlang zum Stall Beerbaum, wo er die Wahl hat zwischen zwei Sand- und einem Grasplatz, einer Galoppbahn oder der Reithalle.
Kukuk legt großen Wert darauf, dass alle Pferde gleichermaßen zu ihrem Recht kommen im Alltag. Das heißt auch regelmäßiger Weidegang und ein Faulenztag in der Woche. Den gönnt er sich selbst kaum. Und er kann dabei auf ein Team bauen, „auf das er nichts kommen lässt“, wie er sagt. Ob er sich vorstellen kann, sich auf eigene Füße zu stellen? „Das werde ich oft gefragt. Aber daran habe ich noch keinen Gedanken verschwendet. Ich bin ohnehin eher der sesshafte Typ und fühle mich hier unglaublich wohl. Meine Familie wohnt maximal eine Stunde entfernt. Und mit Ludger sind wir heute ein richtig gutes Team. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich an dieser Situation etwas ändert.“ Warum auch? „Ich lebe hier tagtäglich meinen Traum!“
Die Familie stärkt den Rücken
Dass das auch Opfer bedeutet, etwa, dass er manche Familienfeier ausfallen lassen muss und dass seine Beziehung sich nach dem Turnierkalender richtet, nimmt er dafür in Kauf. „Meine Freundin wusste ja, worauf sie sich eingelassen hat“, lächelt er. Sie sei auch Reiterin, allerdings nicht mit den Ambitionen wie ihr Freund. Und die Familie Kukuk ist seit Generationen dem Pferd verbunden. „Sie sind meine größten Unterstützer!“ Selbst seine Oma habe sich mit ihrem iPad arrangiert und verfolge jeden Ritt auf ClipMyHorse.TV. Und anschließend gibt es dann die Glückwünsche oder – seltener – tröstende Worte im Gruppenchat. Kukuk sagt, er sei eigentlich eher ein introvertierter Typ (Stallreiterin Sophie zieht ihn auf und sagt, er habe am Tag unseres Besuchs sein Vokabular für den Rest der Woche aufgebraucht). Aber wie sein Fanclub auf Instagram schreibt: „Work hard in silence and let the success be your noise.” Insofern seid gewarnt, ihr Steve Guerdats und Daniel Deußers!
Verfasst wurde dieser Text über Olympia 2024 Teilnehmer Christian Kukuk von Dominique Wehrmann. Erschienen ist er im St.GEORG 06/2021.
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