Steve Guerdat ist Europameister! Nur die Stute Dynamix de Belhème vermochte es, in allen Springen bei den Europameisterschaften der Springreiter in Mailand ohne Abwurf zu bleiben. Philipp Weishaupt gewinnt die Silbermedaille und kann sicher sein, auch zukünftig das Supertalent Zineday zu reiten.
Es ist das Bild dieser Europameisterschaft. Gerade noch hat Europameister Steve Guerdat die Hände gen Himmel gereckt, direkt im Siegesjubel. Er hat auf die Tribüne zu den begeistern Fans gewunken. Da trabt seine Stute Dynamix de Belhème aus, hält kurz inne, bleibt stehen, und nimmt erst mal eine Maulvoll des grünen Rasens, auf dem sie in Mailand gerade eben Geschichte geschrieben hat. Steve Guerdat lässt sie gewähren, genau wie in den Tagen zuvor. Nach dem Ritt hat er nicht nur die Siegesfaust gereckt, sondern seine Stute auch auf den Hals geküsst.
Europameister Steve Guerdat – erste Einzelmedaille überhaupt
Europameister im Springen 2023 – den ersten Titel hat Steve Guerdat mit der Stute Dynamix de Belhème damit schon einmal sicher. Und dank der gelungenen Olympiaqualifikation der Schweizer Equipe, kann er nun seine Planung in Richtung Paris ausrichten. Schon beim Deutschen Spring-Derby in Hamburg hatte Steve Guerdat klar gesagt, Dynamix de Belhème sei sein Pferd für Olympia 2024.
Zehnmal ist der Schweizer bereits bei Europameisterschaften am Start gewesen, fünf Mannschaftsmedaillen hat er dabei gewonnen. Zwei Goldmedaillen waren darunter. Aber eine Einzelmedaille hat der 41-Jährige, Olympiasieger von London 2012, noch nie auf einem kontinentalen Championat errungen. Entsprechend muss Europameister Steve Guerdat nicht lange überlegen, was sein erster Gedanke war: „Endlich“, sei es ihm durch den Kopf gegangen. Die mangelnde Routine seiner zehnjährigen Stute habe er gehofft durch seine Erfahrung ausgleichen zu können, ihr Sicherheit zu vermitteln.
Ganz leicht nur hatte die Stute einen Steilsprung berührt. Und zu Sprung acht, einem roten Oxer vor der dreifachen Kombination, hatte Guerdat „einmal Bein“ gegeben. Da ging ein Ruck durch die Stute. Was dieses Pferd aus solch einem kurzen Impuls macht, wie sie ohne Aufwand einfach eine Etage höher springt, das ist schon ganz besonders. Einfach nur ein Weltpferd!
Ein Bild in der Reithalle
Übrigens hat sich Guerdat die Kräfte seiner Stute gut eingeteilt, fünf Sprünge beim Abreiten vor der ersten Runde. Vor der zweiten setzte er sich erst wenige Minuten bevor er in den Parcours gerufen wurde in den Sattel. „Um Kräfte zu sparen, sie war etwas müde heute“. Von seiner Stute kann er nur schwärmen:
Sie hat all die einzelnen Qualitäten, die meine Superstars hatten. Nur, dass sie sie in einem Pferd vereint.
Europameister Steve Guerdat über Dynamix de Belhème
Er habe nie zu viel geschwärmt, um keinen Druck auf Dynamix de Belhème aufzubauen, sagt Guerdat. Aber jeder im Stall wusste, welch ein besonderes Pferd die Stute sei. Von allen bedeutenden Pferde aus Guerdats Karriere hängt ein Bild in der Reithalle. Nur nicht von Dynamix, auch wenn es schon viele tolle Fotos gebe, verrät Guerdat. Und schmunzelnd fügt er hinzu, es habe da schon eine kleine Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau gegeben. „Darling, eines Tages wird sie gewinnen und dann bekommt sie ihr Bild“, habe er erläutert. „Morgen früh wird es eine der ersten Dinge sein, ein Bild aufzuhängen“.
Unverkäuflich
„Ich habe so oft Alpträume, da wache ich auf und denke, Dynamix ist verkauft. Aber Sabina (die Besitzerin) hat mir gesagt, dass das nicht geschehen wird, ich solle lieber gut schlafen.“ Mittlerweile hätten die beiden ein gewisses Ritual entwickelt, „gut geschlafen“, würde Sabina stets schmunzelnd fragen. Jetzt kann Steve Guerdat als Europameister sicher noch besser schlafen.
Europameister Steve Guerdat vor Weishaupt und Epaillard
Philipp Weishaupt und Zineday zeigten am Finaltag in Mailand eine weitere Runde wie aus dem Lehrbuch: Rhythmisch, sicher, vielleicht eine Idee dicht an die dreifache Kombination herangeritten, aber sonst mit einer Souveränität bei der Sache, die das Alter des Zinedine-Sohns Lügen straft. Neun Jahre jung, die Zukunft verheißt vieles.
Riesenbeck in der DNA
„Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen“, sagt der 38-Jährige. „Ich bin super happy mit dem Ergebnis“. In fünf Runden hat der Wallach, Kind zweier international erfolgreicher Eltern, Vater Zinedine (Ludger Beerbaum), Mutter Paola v. Polydor (Henrik von Eckermann), lediglich einen Abwurf zu verzeichnen gehabt. Der Fuchs ist in Riesenbeck geboren, angeritten hat ihn Richard Vogel, dann übernahm Christian Kukuk. Seitdem Zineday siebenjährig ist, reitet Weishaupt den ehemals gekörten Hengst, der mittlerweile hormonell erleichtert wurde. Zinedays Qualität sei allen immer bewusst gewesen, so Weishaupt. Er habe den Wallach deswegen auch nicht zu viel geritten, auch um kein Interesse und damit keinen Druck aufzubauen. „Nach Aachen konnten dann aber auch die Blinden sehen, welche Qualität er hat. Er ist fertig für Meisterschaften. Tag für Tag wusste ich, ich muss nur gut reiten, ihn ruhig halten.“
Besonders blöder Fehler
Wenn Weishaupt etwas ärgert, dann im EM-Rückblick der zweite Umlauf im Nationenpreis. „Ein blöder Fehler in der zweiten Nationenpreisrunde“, grummelt der Silbermedaillengewinner. „Ein Abwurf ist immer blöd. Aber der war extra ärgerlich“. Die Silbermedaillen sei aber dennoch mehr als er erwartet hat. „Hinter Steve hier zu sitzen, da sage ich nicht, ,Mist‘, sondern kann nur gratulieren. Er ist der einzige, der ohne Abwurf durch die EM gegangen ist.“
Zineday für Philipp Weishaupt gesichert
Ein Pferd mit der Klasse von Zineday erweckt naturgemäß großes Interesse. Erst recht in einem vorolympischen Jahr. Weishaupt kennt das Gefühl, ein Pferd aufgebaut zu haben und die Früchte der Arbeit nur bedingt ernten zu können. Doch im Fall von Zineday kann auch er so ruhig schlafen wie Europameister Steve Guerdat. „Alice (Lawaetz), der auch Coby gehört, eine Amerikanerin, hat ihn für mich gesichert. ,Sag einfach nein‘“, habe sie als Devise ausgegeben, so Weishaupt. „Das hatte ich noch nie in meiner Karriere, sonst waren die Pferde fertig und dann waren sie verkauft.“
Die Qualität eines solchen Pferdes macht selbstbewusst. Das ist Philipp Weishaupt so und so. Aber am Finaltag ist es schon besonders, wenn man den Parcours sieht und sich einfach nur auf den Start freuen kann. „Beim Abgehen habe ich viele schwitzenden Kollegen gesehen. Ich habe aber keine Probleme ausmachen können. Zineday kann von rechts springen genauso wie von links“. Eine gute Basis, um die technisch ausgeklügelten Parcours von Uliano Vezzani zu bewältigen.
Fredricson macht Weg für Epaillard frei
Der Schwede Jens Fredricson und Markan Cosmopolit wirkten im B-Finale, dem fünften Parcours in vier Tagen, etwas müde. Vor allem in der Landephase ließ sich der Braune etwas hängen. Eine lila Planke, Hindernis Nummer sieben, ließ den Traum von einer Einzelmedaille nach dem Mannschaftsgold vom Freitag zerplatzen. Die beiden wurden Fünfte.
Bronze pour la France
Der Franzose Julien Epaillard und Dubai du Cedre hatten eine leichte Berührung mit dem Hinterbein an Sprung vier, einem Steilsprung. Aber ansonsten sprang die Fuchsstute v. Baloubet du Rouet sicher und kraftvoll. Das brachte dem Franzosen die Bronzemedaille ein. Ein Statement von dem Reiter gab es bei der Pressekonferenz nicht. Er sei schon auf dem Weg zum Flughafen, hieß es. Eine Aussage, über die sich auch französische Medienvertreter wunderten.
Ben Maher auf Platz vier
Ben Maher und dem Baltic VDL-Sohn Faltic, übrigens väterlicherseits ein Halbbruder zu Martin Fuchs‘ Leone Jei, war der erste fehlerfreie Ritt gelungen. Sein vierter Platz in Endklassement konnte den Briten über das mäßige Abschneiden seines Teams auf dieser Europameisterschaft nur bedingt hinwegtrösten. „Nach der WM in Herning das zweite Mal in Folge Vierter auf einer Meisterschaft, das ist schon enttäuschend, zumal Faltic wirklich gut gesprungen ist“. In der Mannschaftswertung wurde Großbritannien Neunter. Maher war der einzige aus dem Team GB, der es ins Einzelfinale geschafft hatte.
Mannschaftseuropameister Henrik von Eckermann wurde mit der Cardento-Tochter Iliana Sechster. Schon an Sprung drei hatte es zu sehr geklappert, um noch aufs Treppchen zu kommen. Hinter ihm rangierte der Österreicher Max Kühner, der mit Elektric Blue nicht unbeschadet über die Planke, Sprung sieben, gekommen war.
Der Parcours im B-Finale
Die Entscheidung fiel über 410 Meter mit zehn Hindernissen, bzw. zwölf Sprüngen. Eine dreifache Kombination stand an der langen Seite von der rechten Hand zu reiten: Stangen in Pink, Orange und Weiß gehalten – ein Steilsprungstange, Planke, Stange, Stange. Nach 7,50 Metern dann ein Oxer, auf den dann nach knapp 11 Metern ein weiterer Steilsprung folgte. Vor die dreifache Kombination ,zum Auftakt der Line entlang der langen Seite, hatte der Parcourschef Uliano Vezzani einen roten Oxer mit Wassergraben gestellt.
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