Normalerweise würde sich Olympiasieger Steve Guerdat momentan vermutlich auf den Turnierplätzen dieser Welt herumtreiben. Angesichts der Corona-Krise hat aber auch der erfolgreichste Springreiter der letzten Jahre ein wenig mehr Zeit als sonst. Und die hat er für ein spannendes Interview mit der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) genutzt.
Eigentlich gäbe es für Steve Guerdat momentan allen Grund, um nicht besonders gut drauf zu sein. In 2020 hätte der Schweizer nicht nur seine zweite Einzelmedaille bei Olympia gewinnen, sondern auch mit Weltcup-Sieg Nummer vier Geschichte schreiben können. Doch der Sport steht aktuell aufgrund der Corona-Pandemie komplett still, die Olympischen Spiele werden erst 2021 ausgetragen. Und auch die für Mai geplante Hochzeit mit seiner Verlobten, der französischen Springreiterin Fanny Skalli, ist vorerst auf unbestimmte Zeit verschoben …
Und dennoch liegt es dem Weltranglistenersten fern, mit dem eigenen Schicksal zu hadern. Im FEI-Interview mit Louise Parkes rückte er die aktuelle Situation in die richtige Perspektive: „Niemand spricht über die Millionen von Kindern auf der ganzen Welt, die kein sauberes Wasser haben und jeden einzelnen Tag verhungern. Wir denken nur darüber nach, wie wir zu den Turnieren kommen, wie viel wir für unseren Mercedes zahlen (…) oder wie wir uns ein neues Pferd kaufen können. Die Armen müssen ihr ganzes Leben lang täglich einer Krise ins Auge sehen. Jetzt sind auch einmal wir in den reichen Ländern betroffen. (…) Also müssen wie vorwärts schauen und vielleicht darüber nachdenken, wie wir Dinge anders machen können – aber es wird einen Weg aus der Krise geben.“
Steve Guerdat im Interview über Menschen …
FEI: Wer waren die Helden deiner Kindheit?
Steve Guerdat: Basketballstar Michael Jordan, dem mehrmals in seiner Karriere ein Comeback gelungen ist. Ich war immer Sportfan und seine Geschichte ist inspirierend. Normalerweise sind solche Superstars nur eine kurze Zeit lang an der Spitze, aber er hat nie enttäuscht. Es war wie eine Lehrstunde für das Leben und den Sport – darüber, dass man niemals aufgeben sollte. Als Kind war ich verrückt nach ihm.
Unter den Reitern war immer John Whitaker mein Held. Ich mag ihn aus ähnlichen Gründen. John nimmt das alles leicht. Ich glaube, er weiß gar nicht, was er erreicht hat, weil er alles mit einer so großen Selbstverständlichkeit tut. (..) Die Reiterei und das Siegen sind einfach die natürlichste Sache der Welt für ihn. Das inspiriert mich als Reiter.
FEI: Und wie fühlt es sich an inzwischen selbst ein Held zu sein?
Steve Guerdat: So fühle ich mich wirklich nicht, ich empfinde mich gar nicht als sehr gut. Ich vertraue in das, was ich tue – aber trotzdem fühle ich mich oft so schlecht dabei, mache noch so viele Fehler. (…) Daher denke ich gar nicht darüber nach ein Held zu sein oder jemand, der andere vielleicht inspiriert. Ich könnte noch so viel besser werden!
FEI: Wer hat dich am meisten beeinflusst?
Steve Guerdat: Mein Vater (Philippe Guerdat). Er hat sich nie in den Vordergrund gestellt, mir immer alle Freiheiten gegeben, dass zu tun, was ich möchte. Darum respektiere ich ihn so sehr. Aber sportlich gesehen hat er mich von Tag eins an am meisten beeinflusst. Und natürlich hatte in den letzten Jahren auch Thomas Fuchs einen großen Einfluss auf meine Karriere.
FEI: Wer gehört zu deinem Support-Team?
Steve Guerdat: Meine langjährigen Pferdepflegerinnen Heidi und Emma, mein Stallreiter Anthony (Bourquard). Wir sind zehn Leute zu Hause und alle sind sehr wichtig für mich. Meine Familie – angefangen mit meinen Eltern bis hin zu meinen Cousins – und ich habe auch eine gute Beziehung zu meinen Pferdebesitzern. Der Schmied und der Tierarzt – es gibt so viele Menschen. Und sie alle arbeiten nicht nur mit mir und unterstützen mich, sie sind auch Freunde. Und natürlich gibt es seit einigen Jahren auch meine Freundin, die bald meine Ehefrau sein wird. Ich bin in der glücklichen Situation, viele großartige Menschen um mich herum zu haben.
… Pferde …
FEI: Warum magst du Pferde?
Steve Guerdat: Weil sie mir so viel geben und dafür nichts verlangen. Wir versuchen ihnen so viel zurückzugeben, wie wir können – aber sie fragen nicht danach! Sie sind so loyal und betrügen dich nie.
FEI: Was gefällt dir am wenigsten an Pferden? Die harte Arbeit?
Steve Guerdat: Das ist keine Arbeit! Wenn du das für Arbeit hältst, machst du den falschen Job. Vielleicht kann das ein Pfleger sagen, aber definitiv nicht ein Profi-Reiter – wir haben ein großartiges Leben. Es verschlingt sehr viel Zeit, aber es ist sehr weit weg davon, harte Arbeit zu sein.
FEI: Welches von deinen Pferden hast du am meisten geliebt?
Steve Guerdat: Jalisca, weil sie das Pferd war, mit dem ich den größten Schritt in meiner Karriere gemacht habe. Ich will nicht sagen, dass sie mich gerettet hat – ich bin geritten, ich war gesund –, aber ich war gerade an einem Tiefpunkt angelangt, als diese Stute mich wieder ins Rampenlicht brachte. (…) Sie war das freundlichste Pferd überhaupt und hat immer 200 Prozent für mich gegeben.
FEI: Gab es auch ein Pferd, dass du überhaupt nicht mochtest?
Steve Guerdat: Wenn ich sagen würde, dass mich noch nie ein Pferd frustriert hat, würde ich lügen. (…) Aber wenn es mit einem Pferd nicht klappt, kann ich nur mir selbst die Schuld geben. Ich könnte es falsch geritten, falsch gekauft oder falsche Erwartungen in es gesetzt haben. Es ist dann nicht der Fehler des Pferdes, denn wir alle haben unsere eigenen Qualitäten. Es gibt Dinge, die uns leicht fallen und wieder andere fallen uns schwer. Jeder von uns hat ein bestimmtes Limit.
FEI: Gibt es ein Pferd, dass du gerne einmal reiten würdest?
Steve Guerdat: Nein, denn das beste Pferd in der Geschichte des Springreitens bin ich schon geritten: Tepic La Silla! Ich bin ihn nur für drei oder vier Monate geritten. 2003 habe ich mit ihm meine erste EM-Medaille in Donaueschingen gewonnen und außerdem einige Große Preise. Er gehörte Alfonso Romo und ich hätte ihn gerner länger gehabt. Aber ich fühle mich priviligiert, dass ich ihn auf einigen Turnieren vorstellen durfte. Er war unglaublich. Er hatte absolut alles – für mich war er der Beste!
FEI: Und welches Pferd hat seine persönliche Bestleistung für dich abgeliefert?
Steve Guerdat: Nino (des Buissonnets) – und er steht gerade vor mir! Was an ihm so gut war: Wenn er null sein wollte, war er das auch in 95 Prozent aller Fälle. Wir hatten auch einige schlechte Runden, aber von dem Zeitpunkt an, wo ich ihn wirklich verstanden hatte, passierten nur noch wenige Abwürfe. Ich bin mit ihm gar nicht so viel gesprungen, aber meistens lief er in den Großen Preisen eine Doppel-Nullrunde. (Anm. d. R.: Mit dem inzwischen 19-jährigen Nino de Buissonnets gewann der Springreiter Einzelgold bei Olympia 2012 in London, inzwischen genießt er seine Rente bei Guerdat.)
… und den Reitsport.
FEI: Welches ist deine wichtigste Freundschaft im Sport?
Steve Guerdat: Ich habe gar nicht so viele – aber die wenigen, die ich habe, sind wirklich sehr enge Freundschaften. Alain Jufer war in der Mannschaft von Calgary, als wir dort in 2016 zum ersten Mal überhaupt den Nationenpreis gewonnen haben. Wir sind zusammen aufgewachsen und haben als Kinder gemeinsam mit dem Reiten angefangen. Gregory Wathelet ist inzwischen seit 15 oder 20 Jahren mein Freund, genauso auch Daniel Etter. Und ich könnte auch Eric Lamaze erwähnen. Das sind meine engsten Freunde. Ich kann nicht mal sagen warum, sie sind alle ganz verschiedene Menschen und kamen zu unterschiedlichen Zeiten in mein Leben. (…) Ich weiß, dass ich mich auf sie verlassen kann – und umgekehrt trifft das auch zu.
FEI: Worüber machst du dir Sorgen?
Steve Guerdat: Meine größte Sorge gilt momentan meinen zehn Angestellten, die alle schon seit langer Zeit bei mir sind. Sie sind nicht nur Angestellte sondern auch Freunde und Teil der Familie. Aber ich weiß, wenn ich sie nicht alle bei mir behalten kann, werden sie einen anderen Job finden und auch irgendwie überleben. Zwei- oder dreimal musste ich in meinem Leben wieder bei Null anfangen und ich habe kein Problem damit, das noch einmal zu tun. Ich bin nicht beunruhigt, dass ich vielleicht morgen selbst ausmisten, den Truck alleine fahren oder mehr arbeiten muss – eben weil ich meine Arbeit liebe. Wenn du etwas gerne tust, ist das Geld verdienen nicht deine einzige Motivation. Es geht viel mehr darum das Leben mit deinen Freunden und deiner Familie zu genießen.
FEI: Welcher dumme Fehler ist dir mal in deinem Arbeitsleben passiert?
Steve Guerdat: Das war vielleicht das erste Turnier, dass ich während meiner Zeit bei Jan Tops geritten bin … Es fand in einem Ort namens Heikant statt. Ich bin ungefähr drei Stunden mit dem LKW gefahren, zusammen mit einem Pfleger und acht Pferden. Aber als wir dann ankamen, konnten wir keinen Turnierplatz finden. Es gab noch kein Navigationssystem damals und wir sind sehr lange herumgefahren bevor wir realisiert haben, dass ich uns nach Heikant in Belgien gebracht hatte – das Turnier war aber in Heikant in den Niederlanden! Zum Glück war das richtige Heikant nicht ganz so weit weg und wir haben nur einige Prüfungen verpasst.
FEI: Was denkst du über die Verschiebung der Olympischen Spiele 2020 in Tokio?
Steve Guerdat: Es ändert einiges, klar. Olympia findet ein Jahr später statt und wir wissen nicht, was bis dahin alles passieren wird. Die Pferde sind dann ein Jahr älter, aber andererseits sind einige Pferde, die dieses Jahr noch zu jung gewesen wären bis dahin gereift. So etwas gab es bisher noch nie, aber so ist der Sport eben. Man muss sich jeder Situation anpassen können und das beste daraus machen. Wir können eh nichts daran ändern und für mich war die Verschiebung eine richtige Entscheidung. Wir müssen damit fertig werden und irgendwie weitermachen.
Das Interview führte die irische Pferdesport-Journalistin Louise Parkes.
Quelle: FEImens jordan release dates 2022 | air jordan 1 mid elephant print release date
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