Mit einer fehlerfreien und wunderbar anzuschauenden Runde Gelände hat sich Michael Jung in der Vielseitigkeit an die Spitze des Feldes vor dem abschließenden Springen gesetzt. Die Britin Laura Collett ist Zweite vor dem Neuseeländer Christopher Burton. Nach dem Sturz von Christoph Wahler liegt das deutsche Team abgeschlagen auf Platz 14.
Das war ein Fest der Vielseitigkeit heute im Park des Schlosses von Versailles. Und Michael Jung der Sonnenkönig des Tages, mit seinem Chipmunk gefeiert von mehr als 40.000 Zuschauern im Gelände in der Olympia-Vielseitigkeit. An keinem der 28 Hindernisse gab es auch nur den Hauch einer Unsicherheit. Michael Jung und Chipmunk wollen die Scharte von Tokio auswetzen, als ein Sicherheitssystem einen Oxer zusammenfallen ließ, lange nachdem das Paar ihn überwunden hatte.
Wer nach der Symbiose zweier Athleten in der anspruchsvollsten Disziplin, die der Reitsport kennt, suchte, der fand sie heute 8 Minuten und 55 Sekunden lang im Park von Versailles. Jeder Galoppsprung im Einklang miteinander, alles im Fluss.
Es war die Punktlandung, Meisterleistung made by Michi. Exakt in der Zeit galoppierte Michael Jung auf seinem frischen Pferd ins Ziel, strahlend und zufrieden. Weil die Britin Laura Collett bei ihrem Geländeritt der 2024 Olympia-Vielseitigkeit zwei Sekunden über der Idealzeit blieb, ist sie nun dank der 0,8 Zeitfehler Zweite hinter Michael Jung (18,3). Nach der Dressur hatte sie geführt.
Jung, der das Gefühl guter Ritte zur Genüge kennt, war richtig happy: „Unglaublich. Es hat einfach nur Spaß gemacht. Chipmunk ist so toll galoppiert, er hat so eine Energie, er galoppiert so dynamisch nach vorne. Er war so toll zu reiten, mit den kleinsten Hilfen – Stimme, Gewicht. Er war sofort bei mir und die Zuschauer drumherum, die einen angefeuert haben, das war eine unglaubliche Kulisse heute.“
Olympia-Vielseitigkeit – Mandy in my mind
Die Menschen säumten die Strecke im Schlosspark von Versailles. Aus irgendeiner Ecke war immer begeisternder Jubel und anfeuernder Applaus zu hören. „Nickel, Nickel-Rufe“ habe sie gehört, erinnerte sich Julia Krajewski nach einem Ritt, der kaum einen Wunsch offengelassen hatte. Sie war als Pathfinder unterwegs, als erste Reiterin überhaupt. Ihr Fazit: Der Kurs war gut zu reiten, der Boden besser als erwartet. „Abnormal“ stolz sei sie auf Nickel, so die Olympiasiegerin von Tokio. Dort war sie noch mit Amande de B’Neville, „Mandy“, unterwegs. Und ein bisschen war die Stute auch heute in Versailles dabei, gedanklich zumindest. „Ich habe vorher gedacht, komm, wenn ich jetzt auf Mandy sitzen würde, die würde dich einfach mitnehmen. Aber du bist jetzt alt genug und du nimmst jetzt Nickel mit. So hat es sich ein bisschen angefühlt: Ich habe gesagt, wir machen, und er hat gesagt, okay, alles klar, machen wir.“
Der von Hindrick Stüvel aus Rosengarten gezogene zehnjährige Holsteiner liegt nach dem Cross auf Rang 14 (31,7). Übrigens hat Züchter Stüvel noch ein zweites Pferd unter den Top 20 nach dem Cross der Olympia-Vielseitigkeit: Radar Love v. Diarado und der Niederländer Ralf Kooremans sind 18. (32,6).
Pech fürs deutsche Team in der Olympia-Vielseitigkeit 2024
Als Michael Jung auf die 5149 Meter lange Strecke ging, da wusste er schon, dass er eher als Einzelkämpfer unterwegs sein würde. Christoph Wahler, der zweite Mannschaftsreiter, hatte einen Sturz an einem trockenen Graben nach einem Tiefsprung uz verzeichnen. Vorher war Wahlers Schimmel in imponierender Form über den Cross Country-Kurs galoppiert. Carjatan S war mit dem linken Hinterhuf an der Kante des Grabens hängen geblieben, kam selbst nicht zu Fall, aber den Rumpler konnte Wahler nicht aussitzen. Nach einer Rückwärtsrolle stand er aber sofort auf seinen Füßen. Sein erster Blick: Was macht Carjatan? „In erster Linie guckt man, wie geht es dem Pferd, hat er es gut weggesteckt. Er ist zum Glück nicht gefallen, hat sich nicht weh getan, ist gut drauf. Das ist das Wichtigste und dem gilt unsere erste Sorge. Ich selbst habe es kaum gemerkt – der schlimmste Knacks ist jetzt eher der mentale“, sagte Wahler anschließend. Die Mannschaft ist damit noch nicht geplatzt, hat aber mindestens 200 Strafpunkte, das sieht das olympische Reglement so vor.
Michael Jung war vorgewarnt nach Christoph Wahlers Sturz
Dass dieser Tiefsprung zu den Klippen des von Pierre LeGoupil meisterhaft gebauten Kurses zählen würde, stand für viele vorher schon fest. Michael Jung und Chipmunk meisterten die Aufgabe problemlos. Anschließend, als es über eine extra gebaute Ponton-Brücke auf die andere Seite des Grand Canal, der künstlichen Wasserstraße im Schlosspark von Versailles ging, ballte Michael Jung die Siegesfaust. Klippe gemeistert – das ist Teamwork, sagt der zweifache Einzel-Olympiasieger: „Ich kenne ihn mittlerweile gut und wusste, ich muss ganz vorsichtig an die Kante ran, habe versucht, die Balance zu halten. […] Wir sind super über den Graben gesprungen und das so zu fühlen, mit dem ganzen Druck von außen, das war nur Freude pur.“
Aber vorbei ist diese Olympia-Vielseitigkeit noch nicht, das weiß auch Michael. Er wolle den Moment genießen, so der Plan für den Sonntagnachmittag: „Dann müssen wir uns auf morgen vorbereiten, da stehen zwei Springen an, auch der VetCheck morgen früh. Aber ich bin sehr guter Dinge, sehr positiv, Chipmunk war heute kein bisschen müde. Er ist toll ins Ziel gekommen ich glaube, er ist morgen genauso knackig darauf.“
Bundestrainer Peter Thomsen: „Michi und Chipmunk haben hier wie immer brilliert“
Bundestrainer Peter Thomsens Fazit fiel so aus, wie der Tag aus deutscher Sicht verlaufen war, gemischt. „Es fing super an, Julia und Nickel hatten eine tolle Runde, genau wie geplant. Dann bei Christoph auch wieder ein super Anfang. Aber dann ist leider der Fehler passiert. Das heißt, die Mannschaft ist geplatzt, die 200 Punkte werden uns aus den Medaillen rauswerfen und deswegen kann ich nicht nur strahlen. Die Medaille ist futsch. Aber Michi und Chipmunk haben hier wie immer brilliert, eine Traumrunde! Chipmunk ist mit gespitzten Ohren über die Hindernisse geflogen und jetzt wollen wir mal hoffen, dass uns das Glück wieder hold wird.“
Briten in Führung, vor Frankreich
Laura Collett und London sind das Top-Paar der britischen Equipe, die mit 82,5 Minuspunkten in Führung liegt. Dabei konnte nicht einmal eine mit 15 Strafpunkten geahndete „Missed Flag“ von Europameisterin Rosalind Canter an der Dominanz von Team GB etwas ändern. Mit Lordships Graffalo v. Grafenstolz ist sie 24. (38,4). Tom McEwen und Dublin v. Diarado sind Sechste (25,8).
„Allez les bleus“ heißt es für die Gastgeber. 87,2 Punkte hat das Trio Tricolore, das von den Massen getragen wurde. Karim Florent Laghouag galoppierte ins Publikum grinsend parallel des Grand Canal, die Schlossfassade von Versailles im Rücken, über die Trasse, begleitet von „Karim, Karim“-Rufen. Mit 29,6 Strafpunkten ist er mit Triton Fontaine Zehnter. Stephane Landois und Chaman Dumontceau sind Siebte (27,2). Nicolas Touzaint, dessen Diabolo Menthe bei weitem nicht so spritzig ins Ziel kam, wie der Limonaden-Drink, für den sein Name steht, ist Elfter (30,4).
Japan liegt an Position drei (87,4), auch nicht weit weg von den beiden führenden Teams. Mit Yoshiaki Oiwa und Grafton Street (25,5/5.) und Kazuma Tomoto mit Vinci de la Vigne (27,4/8.) hat die Equipe zwei Reiter in den Top 10.
Olympia-Vielseitigkeit 2024 – noch vieles offen in der Einzelwertung
Zwei Springen stehen morgen an, so will es das Reglement. Am Vormittag fällt die Entscheidung im Mannschaftsspringen. Anschließend weiß man auch, welche 25 Paare in der Einzelwertung konkurrieren. Das Finale beginnt um 15 Uhr. Aber erstmal steht um 7.30 Uhr die abschließende Verfassungsprüfung auf dem Programm. Von den Buschreitern wird die gern als die vierte von insgesamt fünf (bzw. sechs, wegen der zwei Springen bei der Olympia-Vielseitigkeit 2024) Teilprüfungen bezeichnet.
Ein Abwurf kann noch viel durcheinanderwürfeln im Klassement. So liegt derzeit Julia Krajewski beispielsweise einen Springfehler hinter Platz neun. Die Plätze drei bis sechs liegen weniger als ein Springfehler auseinander. Dritter ist der wieder zum Buschreiter konvertierte Australier Christopher Burton mit Shadow Man (22,0). Er rangiert 0,1 Strafpunkte vor dem Schweizer Felix Vogg und Dao de l’Ocean.
Was für ein toller Kurs und toller Sport
Eine Goldmedaille muss schon vorher vergeben werden. Sie gebührt Pierre LeGoupil, der einen Kurs mit seinem Team gebaut hat, der die richtigen Paare vorne sah, ohne dass es schlechte Bilder gab. Anfangs, gibt er zu, habe er ein bisschen Sorge gehabt, dass die Strecke doch zu einfach war, weil viele Reiter die direkten Wege nahmen. Doch am Ende des Tages konnte er dann aufatmen. „Wir haben ein wunderbares Bild von unserem Sport in die Welt gesendet“, sagt er und lächelt still in sich hinein. „Das war das Allerwichtigste!“
Fünf Pferde mussten auscheiden. Der Australier Kevin McNab gab auf, sein Pferd lahmte, wurde in einem Anhänger abtransportiert. Er soll eine Sehnenproblematik aufweisen, aber nichts ernstes. Sechsmal löste das Sicherheitssystem MIM aus oder ein Pferd überwand den Sprung nicht korrekt („Missed Flag“). Ein PIN brach, ein weiteres Mittel, um den Sport sicherer zu machen.
Zwischenergebnis der Olympia-Vielseitigkeit 2024 nach dem Geländeritt – Einzeln
Zwischenergebnis der Olympia-Vielseitigkeit 2024 nach dem Geländeritt – Mannschaft
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