In der Pferdezucht wird viel Geld umgesetzt. Fohlen, Hengste, Reitpferde – was gut ist, ist teuer. Das ist auch gut so. Aber finden Gesundheit, Wohlergehen und der Blick der Gesellschaft auf die Zucht ausreichend Aufmerksamkeit?
Es waren vier Buchstaben, die die Warmblutpferdezucht vor ein paar Jahren erschütterten: WFFS, die Abkürzung für Warmblood Fragile Foal Syndrome. Mittlerweile weiß man, dass die Bezeichnung irreführend ist. Man weiß heute auch von Vollblutfohlen, die nicht lebensfähig waren und bei denen bei bloßer Berührung die Haut riss. Eines aber hatte die WFFS-Diskussion zur Folge: Plötzlich gab es in der Warmblutpferdezucht noch andere Gedanken als „Wer schmeißt die Beine am schönsten?“ und „Wer springt am höchsten?“.
Tierzüchter, die es mit anderen Spezies zu tun hat, können über die Erkenntnis, dass auch in der Sportpferdezucht Gendefekte auftreten können, nur schmunzeln. Hunde- oder Katzenzüchter kennen die Genetik ihrer „Zuchtprodukte“. Für Reitpferdezüchter hat sich nun zumindest kurzzeitig ein ganz neuer Aspekt aufgetan. Etwas, über das Pferdezüchter anderer Populationen nur den Kopf schütteln können. In der Pferdezucht gibt es noch keine offenkundigen Qualzuchten wie bei den Exemplaren der französischen Bulldoggen, deren Nasen so deformiert sind, dass sie Atemprobleme haben. Aber Gendefekte, auf die es bei der Anpaarung Rücksicht zu nehmen gilt, sehr wohl.
Qualzucht
Das Tierschutzgesetz verbietet Qualzuchten. „Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten, die erwarten lassen, dass (…) als Folge der Zucht oder Veränderung bei der Nachzucht (…)Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden“ verursacht werden.
In der Araberzucht tritt SCID (Schwere Kombinierte Immunkrankheit) auf. Sind beide Elternteile SCID Einzelgenträger kann mit 25 prozentiger Wahrscheinlichkeit ein nicht lebensfähiger SCID Doppelgenträger entstehen, Fohlen, die nicht älter als fünf Monate werden. Auch Cerebelläre Abiotrophie (CA), die Bewegungsstörungen verursacht, ist ein beim Arabischen Vollblut bekannter Gendefekt, der aber auch schon in anderen Rassen nachgewiesen wurde.
Gerade bei Farbzuchten muss besonders auf die Gene geachtet werden. Bei Schecken mit der „Frame Overo Variante“ kann bei Anpaarung von Eltern, die beide über dieses mustergebende Gen verfügen, ein Fohlen zur Welt kommen, dass an OLWS leidet, einer tödlichen Fehlbildung des Verdauungstrakts.
Bei aufgehellten Farben werden mitunter die Augen in Mitleidenschaft gezogen. Multiple Congenitale Oculare Anomalien (MCOA) ist bekannt, bei „Silber aufgehellten Pferden“ Zysten und aufgeblähte Augäpfel auslösen zu können. Und schließlich ist es in einigen Kaltblutzuchten mittlerweile Usus, auf die Veranlagung zur Glykogen-Speicher-Krankheit PSSM1 zu untersuchen. Auch wenn hier die Ursache bzw. die genaue Relevanz, welche Genorte entscheidend sind, noch nicht abschließend erforscht ist.
Die Genetik spielt in der Pferdezucht eine große Rolle. Die Nutztierzüchter sind ihren Kollegen mit Pferden bei der Nutzung von Informationen, die aus der Genanalyse stammen, weit voraus. Genetik ist alles, nicht nur Gendefekte. Allmählich wird das Wissen aber auch unter Pferdezüchtern größer, weil immer mehr Pferde typisiert werden, das heißt ihre Gene in Datenbanken gespeichert und wissenschaftlich untersucht werden können.
Wie ist das mit der Gesundheit?
Gesundheit ist ein hohes Gut. Und Gesunderhaltung ist teuer. Jeder, der die Rechnungen des Tierarztes seines Vertrauens mit spitzen Fingern aus dem Briefkasten holt, kalten Angstschweiß auf der Stirn, weiß das. Alle, die Pferde halten, wissen aber auch: Was sein muss, muss sein. Was sich alle wünschen: kerngesunde Pferde. Die zu finden ist nicht einfach. Weichteilerkrankungen, Fesselträger, Sehnen, sind die Geißel der Gegenwart. OCD, „Chips“, noch immer häufig in den Befunden bei Ankaufsuntersuchungen ein Thema. Die Frage stellt sich: Muss man das als von Mutter Natur gegeben in Kauf nehmen, oder muss man sich fragen, wer da Mutter Natur derart in die Suppe gespuckt hat, dass die Situation so geworden ist, wie sie sich Tag für Tag in deutschen Ställen darstellt? Verbesserte Haltungsbedingungen in der Aufzucht haben zumindest die OCD-Problematik geringer werden lassen.
Körungen
Wie gesund ist ein Junghengst bei der Körung? Als potenzielles Vatertier kann er sich häufiger vermehren. Dafür sollte er nicht nur hübsch und in seiner Spezialdisziplin weit überdurchschnittlich sein, sondern auch gesund. Gesundheitsstandards gelten für die Körkandidaten, eine Garantie für eine daraus resultierende gesunde Vererbung kann aber niemand geben. Zumal es durchaus auf Körungen Junghengste gibt, deren röntgenologischen Befunde (denen, wie praktische Tierärzte betonen, kein Vorrang gegenüber dem Ergebnis der klinischen Untersuchung eingeräumt werden sollte), einen Weiterverkauf „schwierig“ machen. Der naive Endverbraucher kratzt sich am Kopf: Sollten denn die gekörten Hengste nicht die absolute Elite eines Jahrgangs sein? Auch gesundheitlich?
Für Gesprächsstoff haben die „Leitlinien“ in Bezug auf die Körung gesorgt. Konkret die „Leitlinien für den Tierschutz im Pferdesport“, in der es um die erste Nutzung eines Pferdes geht, die nicht vor Erreichen des 30. Lebensmonats geschehen soll. Die Zuchtverbände interpretieren diesen Passus unterschiedlich, was sich an den verschobenen Körterminen zeigt. Hannovers Dressurhengste werden Anfang Oktober, nach entsprechender Vorbereitung, ausgesucht. Gekört wird am ersten Novemberwochenende.
Zeitgleich fällt auch der Trakehner Verband seine Körurteile. Juni-Hengste sind hier aber ausgeschlossen. Holstein kört erst im Februar, Oldenburg neuerdings und das DSP, das Deutsche Sportpferd, wie eh und je im Januar.
Hengstleistungsprüfungen – Stiftung Warentest?
Auf die Körung folgt die Hengstleistungsprüfung, sie soll so etwas wie die Stiftung Warentest sein, angewandter Verbraucherschutz. An kaum einem Instrumentarium der Überprüfung von Reitpferdeeigenschaften – und die sollen die Hengste ja primär an ihre Nachkommen weitergeben – ist so viel herumgedoktert worden wie an den Tests der Junghengste. In den Pandemiejahren wurde einiges verschoben und durchgewunken, weil es nicht anders ging. 2022 wurde dann ein „Pilotjahr“. Der Abteilung Zucht der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), die die vormals staatliche Aufsicht der Hengst-Tests übernommen hat, wurde faktisch das Heft des Handelns aus der Hand genommen. Nun hat jeder Verband sein eigenes Süppchen gekocht. Als Argument wurde selbst das Deckmäntelchen Tierschutz herangezogen. Das Happy Hour-Prinzip, zwei zum Preis für einen, kam zum Einsatz.
Test, unterm Sattel (!), im Frühjahr und Körung in einem (und von weitestgehend derselben Bewertungskommission), in einigen Fällen auch gleich noch Versteigerung on Top. Ganz schön viel Programm für einen mitunter nicht einmal 36 Monate alten Hengst. Das Pilotjahr wird sicherlich nochmal ausführlich diskutiert werden.
Die von der FN angestrebte Transparenz der sonstigen „Sporttests“, die für diejenigen, die die Hengste per Clipmyhorse verfolgen, immer dann endet, wenn ein Hengst seine Reitpferdeeigenschaften eben nicht unter Beweis stellt, weil die Kameras dann schnellstmöglich beispielsweise staubige Banden von Münsteraner, Verdener oder Warendorfer Reithallen im Standbild zeigen, ist kein Argument für dieses oder jenes Prinzip. Gesprächsbedarf ist da, auch darüber, wie stark die mentale Anstrengung für junge Hengste ist, die sich plötzlich mit gleich zwei Dingen konfrontiert sehen, dem Decken und dem Gerittenwerden. Auch hier gilt: Die Öffentlichkeit guckt immer mehr auf das Geschehen in der Zuchtszene. Seien es Veterinärämter oder andere Institutionen. Wer sich Regeln gibt, muss sie auch einhalten.
Wann ein junges Pferd wie viel unter dem Sattel in der Öffentlichkeit leisten darf, ist ein Thema, das nicht mit Junghengsten aufhört. Wer sich in Social Media umhört, was selbstverständlich nie den Anspruch einer repräsentativen Umfrage erfüllt, wohl aber alternative Meinungen hervorbringt, kommt nicht umhin festzustellen: Dreijährige Pferde auf dem Bundeschampionat haben nicht nur Anhänger, weil sie den Absatz am Züchterstall angeblich ankurbeln. Es gibt auch Stimmen, die lieber erst vierjährige Pferde in Warendorf am Start sehen würden. Wie? „Das haben wir doch noch nie so gemacht?“ Eben!
Aus den Leitlinien:
„Pferde früher als im
Alter von 30 Lebensmonaten in die zielgerichtete Ausbildung
(…) zu nehmen, verletzt in der Regel die dargestellten Grundsätze.“
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