Was haben Erbkrankheiten wie ECVM und PSSM2 mit der modernen Pferdezucht zu tun?

Von
Bildschirmfoto 2020-03-24 um 16.10.40

Symbolbild (© www.toffi-images.de)

Züchten wir kranke Pferde? Diese Sorge treibt inzwischen viele um, die in der Pferdeszene zuhause sind. Nun haben sich Tierärzte, Ausbilder, Reiter und Züchter auf YouTube zu Wort gemeldet.

Equine Complex Vertebral Malformation, ECVM – vier Buchstaben, die für viel Diskussionsstoff in der Pferdewelt gesorgt haben. Es geht um die Halswirbel C6 und 7, die bei betroffenen Pferden unzureichend ausgebildet sein sollen. Aber es geht auch um Pferde, bei denen die erste Rippe entweder gänzlich fehlt oder nur unzureichend ausgebildet ist, um die genetisch bedingte Muskelerkrankung PSSM2, um Spinalstenosen, also Verengungen des Wirbelkanals, sowie um Arthrose an den kleinen Facettengelenken der Wirbelsäule. Alles erblich. Die Folgen: Stabilisationsprobleme der Pferde, die sie unreitbar machen und ihr Todesurteil bedeuten können.

Die Tierärztin, Zahnexpertin und Osteopathin Dr. Katharina Ros aus der Lüneburger Heide hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Sie ist überzeugt, Ursache ist die Zucht, mutmaßlich die hohen Inzuchtkomponenten. Und sie steht nicht alleine da mit ihren Befürchtungen. Auf YouTube haben sie und Gleichgesinnte sich in der Sache zu Wort gemeldet und dafür von allen Seiten Zustimmung geerntet. Die Zahlen sprechen für sich – Likes in bis zu vierstelliger Höhe zu jedem hochgeladenen Video.

Videos „Fehlentwicklungen in der Pferdezucht“: Die Inhalte in Kürze

Dr. Katharina Ros, Tierärztin, (Sportmedizin, Zähne), Osteopathin

Das Bindegewebe wird immer weicher, das führt dazu, dass die Pferde sehr schnell einen Sehnenschaden bekommen.

ZUR PERSON: Dr. Katharina Ros

Approbation an der Uni Gießen, ausgebildet in französischer Osteopathie, geprüfte
Chiropraktikerin (EAVC und IAVC) und Pferde­zahnärztin zertifiziert nach der
Inter­national Association of Equine Dentistry, Sportpferdemedizinerin.
Seit 2003 selbstständig, zehn Jahre Inhaberin des PZZ-
Riedmühle, seit 2017 Inhaberin des Pferde-Zahn-Zen­trums Döhle.
pzz-doehle.de 

„Ich sehe, dass das Pferd sich verändert hat. Von einem stabilen Pferd, das vielleicht nicht so rittig war, hin zu einem rittigen, bis überrittigen Pferd, einem sehr weichen, sehr beweglichen Pferd und zum Teil auch überbeweglich. Mir ist aufgefallen, dass die Haltbarkeit der Pferde deutlich zurückgegangen ist, dass ich immer mehr Kunden habe, die mit früh unreitbaren Pferden zu mir kommen, die eigentlich wenig belastet worden sind.“ Sie berichtet von Pferden aus ihrer Praxis, die scheinbar ohne Grund stürzen, mit und ohne Reiter. Sehr häufig würden bei diesen Pferden ECVM diagnostiziert sowie zum Teil fehlende oder deformierte erste Rippen. Ros berichtet auch über die genetisch bedingte Muskelerkrankung PSSM2 sowie über DSLD, Degenerative Suspensory Ligament Demitis, zu Deutsch: Fesselträgerentzündung, erbliche Weichteilschwächen. Dr. Ros: „Das Bindegewebe wird immer weicher, das führt dazu, dass die Pferde sehr schnell einen Sehnenschaden bekommen.“ Das alles komme bei den modernen Pferden zusammen. „Hier addieren sich diese Schadgenetiken aufeinander.“ Die klinisch stark auffälligen und zum Teil sehr jungen Pferde wiesen hohe Inzuchtkomponenten auf.

Auch interessant

Karin Lührs, Grand Prix-Reiterin (81 S-Siege!), -Ausbilderin und Richterin bis Klasse S und stellver­tretende Xenophon-Vorsitzende

Die ersten Jahre in der Ausbildung eines Pferdes sind komplett unspektakulär. Aber unspektakulär bringt kein Geld.

Karin Lührs sieht die gesundheitlichen Risiken auch in der Ausbildung. Zum einen würde auf Turnieren „falsches Reiten“ hohe Noten von den Richtern bekommen – ein Thema das wieder aktuell sei, wie sich bei der WM 2022 gezeigt habe. Dort seien Reiter mit hohen Noten und Medaillen belohnt worden, deren Pferde „nicht in allen Bereichen im Sinne der klassischen Reitkultur gearbeitet“ worden seien. Die Reiter bilden aber das aus, wofür hohe Noten verteilt werden. Zum anderen würde mit den Pferden zu früh zu viel gemacht, was zu vorzeitigem Verschleiß führt. Es sei wichtig, dass man sich Zeit lässt. Junge Pferde, zum Beispiel bei Auktionen, würden nicht mehr wie junge Pferde präsentiert. Denn „unspektakulär bringt kein Geld“.

Caroline Rohmann, Züchterin, Hengsthalterin und Ausbilderin

Wir müssen zusehen, dass wir die Pferde auch in Ruhe reifen lassen können.

„Ich bin der Meinung, dass wir uns unsere eigene Zukunft kaputtzüchten. Ich sehe Leute, die ihre Pferde siebenjährig nur noch führen können, die nicht mehr reitbar sind. (…) Und diese Leute kommen vom Reiten ab.” Sie sieht den Grund für die gesundheitlichen Probleme darin, dass die Pferde mittlerweile so „weich” gezüchtet sind. Es gehe ihrer Ansicht nach nicht ausschließlich um ECVM und PSSM2, sondern auch um „die kleinen Hufe, die langen Röhrbeine, die schwachen Rücken”.

Rohmann spricht auch die Grundausbildung der Pferde an. Die Hengsthalterin habe zwei Hengste beim Kurz-Test vorgestellt, altersgerecht wie gefordert. Beide hätten 6er Noten bekommen. „Das wollten die Leute dann eben doch nicht sehen. Honoriert wurde wieder das Strampeln, das ‚Oben-dran-stehen’. Uns wurde gesagt, dass unser Hengst schief ist und sich selber nicht trägt, aber ich denke, dass ein dreijähriger Hengst dazu auch noch gar nicht in der Lage ist.” Später im Jahr haben beide Reitpferdeprüfungen gewonnen und anschließend „sehr gute“ 50-Tage-Tests abgelegt. 

Laura Pröpper, Dressurtrainerin, als Reiterin bis Klasse S in der Dressur erfolgreich

Ich möchte gerne in 20 Jahren sagen können, die Pferde sind wieder stabiler geworden.

Pröpper hat schon vor 30 Jahren Pferde mit ECVM-Symptomatik erlebt. „Damals sagte man, das Pferd hat Ataxie und deswegen ist es umgefallen.” Doch erst als ECVM ein Begriff wurde, sei ihr vieles klar geworden. 

Die Ursache für Missbildungen wie ECVM sieht sie darin, dass sie wohl einst eine Laune der Natur waren. Als man festgestellt hat, dass betroffene Pferde über mehr Schulterfreiheit verfügen, hat man mit ihnen weitergezüchtet, nicht ahnend, dass man damit ein Krankheitsbild genetisch verankert . „Das Dressurpferd hat weniger Widerstand im Schulterblatt, und es kann dadurch in der Vorhand eine größere, spektakulärere (…) Bewegung ausführen, als es das kann, wenn der Ansatz, der dahin gehört, eben da ist, und das so ein bisschen ‚blockiert’. (…) Tatsächlich aber ist es so, dass es nicht blockiert, sondern stabilisiert.” Intensives Management könne manchen Pferden ein gutes Leben ermöglichen, aber: „Ich möchte nicht in zehn Jahren dieses Problem größer haben. Ich möchte gerne in 20 Jahren sagen können, die Pferde sind wieder stabiler geworden.“


Interview mit Dr. Katharina Ros: „Sorge um das Kulturgut Pferd“

Weil sie irgendwann nicht mehr ruhig schlafen konnte, hat Tierärztin Dr. Katharina Ros sich entschlossen, über das, was ihr in ihrer Praxis begegnet, offen zu sprechen. Das Ergebnis findet sich unter der Überschrift „Fehlentwicklungen in der Pferdezucht“ auf YouTube. 

St.GEORG: Mehr als 70.000 Aufrufe auf YouTube und das nur zwei Wochen, nachdem das Interview veröffentlicht wurde, hunderte Kommentare und annähernd 2.500 Daumen, die in der Bewertung nach oben zeigen. Was hat Sie dazu bewogen, die Interviews ins Internet zu stellen?
Dr. Katharina Ros: Immer, wenn wir unter Tierärzten oder Pferdebesitzern gesprochen haben, kamen wir schnell auf die Problematik zu sprechen. Pferde, die instabil sind, die viel zu früh lahm sind. Pferde, die bei vielen Tierärzten waren und bei denen es beim Antrainieren immer wieder nicht klappt, weil die nächste Baustelle sich auftut. Und Kolleginnen und Kollegen berichten von immer mehr Jungpferden, die gesundheitlich einfach nicht halten. Wenn die Pferde bis achtjährig im Sport waren – was ja auch noch kein Alter ist –, dann könnte man es ja vielleicht noch verstehen. Es sind die jungen Pferde, die instabil sind, weil sie den Brustkorb nicht anheben können und damit eben auch schwerlich ein Reitpferd werden können, das Last aufnimmt, sprich den Reiter. Häufig sind das die Pferde, bei denen wir Problematiken in allen Strukturen der Halswirbelsäule und Veränderungen der ersten Rippe finden.  

In St.GEORG 2/23 (erhältlich ab 19. Januar) finden Sie das Interview in voller Länge mit Dr. Katharina Ros, in dem es unter anderem um die Reaktionen auf die Videos geht, darum, was sie dazu bewogen hat, diese ins Netz zu stellen und welche Veränderungen sie sich wünschen würde. 


ECVM Symptome (Nicole Kernot et al., A Systematic Review of Clinical Signs Associated With Degenerative Conditions and Morphological Variations of the Equine Caudal Neck, Journal of Equine Veterinary Science, September 2022)

Schmerzen in der Halswirbelsäule, Ataxie, Störung der Propriozeption (Wahrnehmung), Vor- und Hinterhandlahmheiten, bodenweiter Stand der Vorderbeinejordan retro shoes mens release dates | The Global Destination For Modern Luxury

#doitride-Newsletter   Sei dabei und unterstütze die #doitride-Kampagne! Mit unserem Newsletter verpasst Du keine Neuigkeiten rund um #doitride. Jetzt aktivieren!

stgeorg_newsletter_booklet
  1. Doris

    Danke für das tolle Interview mit Frau Dr. Ros. Sehr offen, sehr mutig und sehr emotional. Man merkt sehr deutlich, dass ihr die betroffenen Pferde, die dann i.d.R. nicht alt werden, sehr leid tun. Mir übrigens auch. Die genannte Problematik bedeutet auch großen Kummer für so manche/n Besitzer/in, emotional und finanziell.

  2. mari

    Es wäre wichtig, die Hengste vor der Körung wegen ECVM zu röntgen, damit es nicht vererbt wird. Auch wenn man dann vielleicht weniger „Gestrample“ hat, die Gesundheit ist wichtiger.

  3. Ann-Christin Klaus

    Den Leidensbericht meines Pferdes werde ich nach Abschluß der aktuell stattfindenden HWS-Operationen, die hoffentlich das Ende seiner zwei Jahre langen Tortur sein werden, an alle zuständigen Stellen (Zuchtverband, FN und Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft als oberste zuständige Stelle) schicken und ich kann nur hoffen, dass viele Betroffene dieses auch tun, um genug Druck auszuüben, dass zum einen mehr geforscht wird und zum anderen diese Genetik nicht mehr zur Zucht eingesetzt werden darf!

  4. A.S.

    Sehr mutig insbesondere das Interview von Frau Dr. Ros, aber auch die weiteren Interviews von fachlich Kompetenten Pferdeleuten.
    Leider ist es traurig, dass in der doch einst so guten und geschätzten deutschen Pferdezucht, nur noch der Profit im Vordergrund steht.
    Einst als Überflieger verkaufte Pferde, landen letztendlich beim Freizeitreiter oder Reiter in den unteren Turnierklassen, der sich nach besten Wissen und Gewissen ein tolles Pferd gewünscht und gekauft hat. Leider beginnt nach kurzer Freude und ggf. auch Erfolgen die Odyssee mit Untersuchungen, Therapien…… Ich denke viele Reiter kennen das.
    Es kann doch nicht angehen, dass es nur wenige Züchter und Verantwortliche gibt, die hier sehen, auf welchen Abgrund die deutsche Pferdezucht zusteuert.
    Nur gemeinsam lässt sich hier auf lange Sicht, wieder eine qualitative und gesunde Zucht wieder herstellen. Das wünsche ich mir für unsere geliebten Pferde, dass sie wieder gesund sind und lange Freude bereiten, nicht nur im großen Sport.


Schreibe einen neuen Kommentar