Haya fordert zur Denkpause auf

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Die „Progressive List“, die die Behandlung angeschlagener Pferde im Wettbewerb erlaubt,  soll bis Ende 2010 ausgesetzt werden. ST.GEORG hat den Originalbrief, den Prinzessin Haya an die nationalen Reiterlichen Vereinigungen verschickt hat, erhalten:

Die Präsidentin der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI), Prinzessin Haya, hat sich mit der Bitte, die Einführung der sogenannten Progressive List, die das Fitspritzen verletzter oder erschöpfter Pferde für den Wettkampf erlaubt, auszusetzen, an die 134 nationalen Reiterverbände  gewandt. Stattdessen soll ab April 2010 die sogenannte 20. Oktober-Liste angewendet werden, eine Liste, die erstmalig namentlich verbotene Medikamente anstatt Wirkstoffgruppen aufführt. Diese Liste wurde von der Veterinärkommission der FEI ausgearbeitet, sie war bei der Generalversammlung der FEI in Kopenhagen der Progressive List, die bestimmte Entzündungshemmer und Schmerzstiller zulässt, mit 48 zu 53 Stimmen unterlegen. Juristen streiten sich zur Zeit, ob die Regeln gestatten, eine in der Abstimmung unterlegene Liste einzuführen. Der Wortlaut des Briefes von Prinzessin Haya wurde der ST.GEORG-Redaktion von ausländischen Kollegen zur Verfügung gestellt. Hier die deutsche Übersetzung:

 

„Liebe Mitgliederföderationen der FEI,

in Zusammenhang mit dem Disput, der innerhalb unserer Familie entbrannt ist, über den besten Weg unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen, nämlich Doping auszumerzen und das Wohlergehen des Pferdes zu schützen, schreibe ich Ihnen heute, um Ihre Unterstützung zu erbitten.

Vor allem bitte ich Sie, Ihre schriftliche Einwilligung zu geben, die 20. Oktober-Liste  mit den neuen Regeln  im April 2010 einzuführen und das Thema der NSAID-Politik auf die Tagesordnung der Generalversammlung 2010 zu setzen. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass dieses Thema bei der Generalversammlung 2010 zur Wahl gestellt wird und dass bis dahin die FEI-Geschäftsstelle, als vorrangiges Vorhaben, Sie bis dahin mit den notwendigen wissenschaftlichen Überlegungen und Forschungsergebnissen versorgen wird, damit Sie aufgrund Ihrer Informationen eine Entscheidung treffen können. Ich bitte Sie, mir Ihre Unterstützung beziehungsweise deren Fehlen durch Antwort auf diese Email mitzuteilen.

Wie Sie wissen, hat die FEI-Generalversammlung die neue Equine Anti Doping und Controlled Medication Regulations (deutsch: Antidoping und Medikationskontrollbestimmungen im Pferdesport) und die Empfehlungen der Kommissionsvorsitzenden Professor Arne Ljungqvist und Lord Stevens mit einer deutlichen Mehrheit von 95:5 Stimmen am 19. November akzeptiert. Mit dieser Abstimmung hat unsere Gemeinschaft ihren klaren und unerschütterlichen Einsatz für das Ethos vom sauberen Sport zum Ausdruck gebracht. Diese weitreichende Entscheidung folgte einer Serie von zutiefst beunruhigenden Vorfällen, die deutlich die Notwendigkeit zeigten, schnell und gründlich unseren Sport zu säubern, wollte man nicht der Gefahr ins Auge sehen, dass das Dopingproblem unsren Sport beherrscht.

Unser Einsatz gegen Doping ist klar und eindeutig. Leider wird unsere Einigkeit durch einen zunehmend bitteren Disput über non-steroide entzündungshemmende Medikamente (NSIADs) auf die Probe gestellt. Diese Meinungsverschiedenheiten sind nicht neu. Das FEI-Verbot von Phenylbutazon wurde vor 16 Jahren mit einer knappen Mehrheit eingeführt. Die Debatte, ob NSAIDs im Pferdesport verboten sein sollen, ist seitdem eine brennende Frage, die unsere Gemeinschaft seitdem gespalten hat.

Innerhalb des Prozesses, neue Maßnahmen für sauberen Sport zu ergreifen, hat die FEI auch die Liste der verbotenen Substanzen überprüft. Eine ursprüngliche Liste wurde den nationalen Vebänden am 20. Oktober vorgelegt zur Bewertung und Kommentierung. Die Antwort zeigte eine tiefe Kluft  zwischen dem, was im Pferdesport unter Doping zu verstehen ist. Eine Mehrheit in den Reihen Ihrer nationalen Verbände signalisierte den Wunsch nach eine Politik, die begrenzten therapeutischen Gebrauch von NSAIDs zulässt. Die FEI reagierte darauf und offerierte der Generalversammlung eine Wahlmöglichkeit.

Die Generalversammlung hatte zwei Optionen: Die 20. Oktober-Liste und die Progressive Liste. Die Progressive List klassifizierte bestimmte NSAIDs bis zu einem bestimmten Level als erlaubte Medikationen und entfernte sie von der 20. Oktober-Liste. Die Generalversammlung stimmte mit einer knappen Mehrheit von 53:48 Stimmen für die Progressive Liste.

Der Wechsel in der Strategie und die darauffolgende lautstarke Debatte berührt jeden Sektor des Pferdesports, seien es die FEI-Disziplinen, der Rennsport, Polo oder jede andere befreundete Disziplin. Wir sollten vor dieser Debatte nicht zurückschrecken, weil diese Angelegenheit lebenswichtig für die Integrität des Pferdesports ist. Es ist an der Zeit, dass alle Stimmen ohne Vorurteil und ohne jede Diskriminierung gehört werden. Wenn Pferde uns irgendetwas lehren, dann ist es Verständnis und Toleranz, und das Beispiel muss uns von höchster Wichtigkeit sein.

Um die Debatte zu erleichtern, hat das Bureau in dieser Woche beschlossen, die Einführung der Progressive List und die begleitenden Equine Anti-Doping and Controlled Medication Regulations (EADCMR) bis zum 5. April 2010 zu verschieben. Aber einige nationale Verbände haben bereits die Meinung ausgesprochen,  dass drei Monate nicht genug seinen, eine derartig umstrittene Angelegenheit auszudiskutieren. Es gibt auch logistische Probleme, die die Geschäftsstelle lösen muss, wie etwa den Labors genügend Zeit zur Abstimmung zu geben, und die juristischen  Bedenken weltweit zu überprüfen.

In diesem Licht muss ich Ihnen erneut die Wahl zwischen zwei Richtlinien geben, damit unsere Föderation nicht durch Tierschutz- und Rechtsprobleme gespalten wird und ich bitte Sie deswegen um Ihre Unterstützung, dem Bureau Ihr schriftliches Einverständnis zu geben, die 20. Oktober-Liste mit den neuen Regeln im April 2010 in Kraft zu setzen und das Thema der NSAID-Politik auf die Tagesordnung für die Generalversammlung 2010 zu setzen. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass über die Angelegenheit bei der Generalversammlung 2010 abgestimmt wird (wie die Mehrheit der FNs es schon gefordert hat) und dass die Geschäftsstelle Sie mit den notwendigen wissenschaftlichen Überlegungen und Forschungsergebnissen versorgen wird, damit Sie aufgrund Ihrer Informationen eine Entscheidung treffen können. Diese Aufgabe hat Priorität.

Wir alle stimmen in wichtigen Dingen überein. Jeder, der an der Debatte teilnimmt, will Doping ausradieren. Jeder, der an der Debatte teilnimmt, will das Wohlergehen des Pferdes. Wir alle hätten am liebsten die Null-Lösung. Die Generalversammlung hat sich  deutlich und unmissverständlich  für das Verbot von Substanzen ausgesprochen, die lediglich leistungssteigernd wirken. Davon gibt es keinen Rückzug. Aber der Begriff Null-Lösung ist leicht zu verwenden und leicht zu missbrauchen. Im Humansport entspricht die Null-Lösung der Progressiven Liste. Die Progressive Liste zu akzeptieren, heißt nicht, Doping zu akzeptieren.

Die Debatte wird nicht von geographischen oder kulturellen Unterschieden geprägt. Es ist keine Teilung zwischen Entwickelten und Unterentwickelten oder Armen und Reichen oder Ost und West. Viele der höchst entwickelten FNs haben für die Progressive Liste gestimmt und sind sich sicher, dass der Sport in diese Richtung gehen muss. Ich möchte auch betonen, dass viele der kleinsten und wenigst entwickelten Nationen in unserem Sport ihre großen Bedenken mitgeteilt haben, dass dieser Strategie-Wechsel ihnen nicht gestattet als Reiterverband pflichtgemäß die Pferde in ihrem Bereich zu schützen. Einige befürchteten auch, die Einführung der Progressiven Liste werde sie mit einem weiteren Problem konfrontieren:  Die Ausbildung, wie die Liste anzuwenden sei, sei nicht so schnell möglich, sodass unwissentlich die Regeln verletzt werden könnten.

Natürlich wird es immer skrupellose Menschen geben, die sich einen unfairen Vorteil im Wettbewerb zu sichern versuchen und es wird immer gleichgültige Menschen geben, die den Sieg vor das Wohl des Pferdes stellen. Um diese Leute geht es in dieser Debatte nicht. Niemand vertritt eine Politik, die freiwillig diesen verachtenswerten Auswüchsen dient. Sondern dies ist eine Debatte darüber, wie man mit Substanzen umgeht, die angemessen oder unangemessen verwendet werden können. Wenn sie angemessen angewendet werden, dienen sie dem Wohl des Pferdes. Wenn sie unangemessen angewendet werden, können sie das Wohl des Tieres bedrohen.

Es gibt in dieser Angelegenheit auf beiden Seiten gute Argumente und wir sollten einander mit Bedacht und Respekt zuhören. Unsere vierbeinigen Sportpartner werden die Verlierer sein, wenn wir uns nicht darauf einigen, dieses Thema ruhig und vernünftig zu diskutieren.

Ich als Ihre Präsidentin habe versprochen, niemanden oder irgendeine Situation vorzeitig zu verurteilen und mich immer zu bemühen, jedermanns Argumente anzuhören. Ich habe versprochen, Ihnen allen zuzuhören und mit dem Büro und der Geschäftstelle an Lösungen zu arbeiten. Ich habe auch versprochen, dass ich hinter den Entscheidungen, die die Generalversammlung trifft und hinter der FEI und den nationalen Verbänden stehen werde.

Ich glaube fest an unsere Vollversammlung und Ihre Autorität, diesen internationalen Verband zu führen. Ich respektiere voll und ganz Ihr individuelles Recht abzustimmen, die Kenntnisse und Erfahrungen, persönlich wie professionell, die jeder einzelne von Ihnen in unsere Familie einbringt. Sie zusammen sind unleugbar die FEI und kein Präsident und kein Einzelner ist in der Lage oder sollte es jemals sein, eine Entscheidung umzudrehen, die demokratisch getroffen wurde.

Die Abstimmung in Kopenhagen hat eine Strategie  etabliert, aber die Entwicklung seitdem hat die legitime Frage über ihre Durchsetzung aufgeworfen. Die Labors benötigen Zeit, die neuen Regeln umzusetzen und miteinander abzustimmen. Der Strategiewechsel betrifft die nationalen Föderationen und Veranstalter, die staatliche Gesetze wie auch internationale Regeln berücksichtigen müssen. Er betrifft die Pferdezucht und die Selektion. Es betrifft alle, denen es um Tierschutz  geht, seien sie für oder gegen die progressive List.

Wir müssen auch die Bedenken berücksichtigen, die unsere Schwesterorganisationen geäußert haben, etwa aus dem Rennsport, oder unzählige Gruppen von Tierärzten oder verschiedene Tierschutz-Organisationen. Vor allem aber unser Publikum, denn dieses sind die Menschen, die unserem Sport Leben und Seele geben. Das gilt auch für alle Gruppen, die nicht stimmberechtigte Mitglieder unseres Verbandes sind. Doch auch innerhalb unserer Gemeinschaft von 134 nationalen Verbänden sind wir geteilt und beide Seiten haben starke Überzeugungen.

Auf der anderen Seite des Grabens liegt die Mehrheit, wenn auch eine stillere. Nach vielen Beratungen habe ich die Zurückhaltung derjenigen Verbände bemerkt, die für die Progressive List gestimmt haben, die aber nicht gewillt sind aufzustehen und sich Gehör zu verschaffen. Sie haben vor allem das Gefühl, dass sie das Recht haben, ihre Pferde zu behandeln und sein Wohlergehen zu verbessern innerhalb der Grenzen einer stärkenden Medikation, ohne den Wunsch einer Leistungssteigerung zu erreichen.

Viele der FNs, die für die Progressive Liste stimmten, haben kategorisch erklärt, dass ihre Sportler leidenschaftlich davon überzeugt sind, das dies der richtige Weg für jeden ist, der den Anspruch erhebt, sich um das Wohl seines Pferdes zu kümmern. Und dass es grausamer ist, dem Pferd im Wettkampf eine Behandlung zu verweigern als sie anzuwenden.

Alle diese Ansichten sind legitim und benötigen die Gelegenheit zu breiterer Diskussion und Beratung. Leider sind die Meinungen so tief und leidenschaftlich geteilt, dass sie unsere Föderation zu spalten drohen. Dieses Ergebnis kann niemand von uns akzeptieren. Was immer wir persönlich glauben, so sind wir doch gemeinsam dem Dienst an unserem Sport und unserer FEI-Familie verpflichtet.

Lassen Sie uns diese Auszeit nutzen, sodass wir ruhig und vernünftig über den besten Weg nach vorne diskutieren können und dann über die Strategie bei der Generalversammlung 2010 abstimmen können. Inzwischen (ab 1. Januar) wendet die FEI die Empfehlungen für sauberen Sport an, die nicht im Zusammenhang mit den neuen Regeln stehen, die Sie bereits akzeptiert haben. Sie stellen bereits einen beträchtlichen Fortschritt im Sinne der  FEI-Initiative für sauberen Sport dar.

Wir werden sicherlich nie Einstimmigkeit erzielen, aber indem wir zusammen arbeiten, können wir uns auf einen Ansatz verständigen, der den Interessen des Pferdesportes und der Athleten, Menschen wie Tiere, dient, die ihn ausüben. Das ist schließlich das, was wir alle wollen.

Noch einmal bitte ich Sie um Unterstützung, indem Sie der Einführung der 20. Oktober-Listemit den neuen Regeln zum April 2010 zustimmen, und das Thema der NSAID-Strategie auf die Tagesordnung für die Generalversammlung 2010 setzen. Bitte geben Sie Ihr Einverständnis oder dessen Fehlen, indem Sie auf diese Email antworten.

 

Hochachtungsvoll

Haya Al Hussein“

 

 

 

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