In den Kürprüfungen der Ponyreiter und der Jungen Reiter hatten die Rothenberger Geschwister das Zepter fest in der Hand. Zwei Siege und ein zweiter Platz sprechen für sich.
Gerade lugte die Sonne hinter den hohen Schlosspark-Bäumen hervor, als die Jüngsten am Pfingstmontagmorgen ins Dressurviereck vor dem Biebricher Schloss einritten. Die Allererste war die Allerjüngste: Semmieke Rothenberger, die 2011 mit gerade mal elf Jahren die jüngste Ponyreiterin war, die jemals bei einer EM Team-Gold gewann, eröffnete die Kür auf L-Niveau mit einer Vorstellung wie aus einem Guss mit ihrem 13-jährigen Palomino-Ponyhengst Deinhard B, der wie ein Uhrwerk alle Lektionen mit großer Präzision und ausdrucksvoll ging. Allerdings hätte ihn seine junge Reiterin manchmal mit der Nase etwas mehr vor lassen dürfen, aber das mag dem Umstand geschuldet sein, dass sich der Sieger des Preis der Besten zwei Tage zuvor in der EM-Mannschaftsaufgabe von der Zuschauerkulisse beeindruckt zeigte und nur Zehnter geworden war. Mit 75,90 Prozent setzte die Reiterin aus Bad Homburg den Maßstab, den keiner der nachfolgenden Teilnehmer mehr knacken sollte außer sie selbst. Mit der zehnjährigen Palomino-Stute Golden Girl übertraf sie mit 77,65 Prozent noch einmal ihr eigenes Ergebnis. Die hübsche Stute zeigte alle Vorzüge von Deinhard B und ging zudem in noch schönerer Selbsthaltung. Beim Preis der Besten hatte Semmieke mit Deinhard B an der Spitze gestanden und ganz abgeklärt stellte sie fest: „Der Preis der Besten war das Turnier von Deinhard, hier ist das Turnier von Golden Girl. Welches der beiden Ponys ich für die EM nehmen werde, wird am Ende die Bundestrainerin entscheiden. Ich werde noch die zweite Sichtung in Hagen reiten und dann schauen wir mal.“ Auf Nachfrage, welches ihr Lieblings-Pony sei, meinte sie: „Ich habe kein Lieblings-Pony, ich mag alle meine Ponys gleich.“
Direkt hinter Semmieke platzierte sich wie schon am Samstag Anouk Wiemers mit ihrer siebenjährigen Ponystute Die feine Chanel. Mit einer sehr flotten Kür-Vorstellung zu einem Rock`n Roll-Medley erzielte die Krefelderin mit 75,25 Prozent Platz drei. Nach dem Ausfall der mit Anouk Wiemers in der Mannschafts-Aufgabe gemeinsam auf Platz zwei platzierten Anna-Christina Abbelen und Dornik’s Donovan gingen die Plätze vier (75,1) und fünf (74,6) in der Kür mit Equestrions Lord Champion und Don Davidoff an die Rheinländerin Lena Charlotte Waltenscheidt. Besonders positiv fiel bei der bereits hochgewachsenen, gut sitzenden Reiterin die Musikauswahl aus. Bei vielen Küren nicht nur im Jugendbereich ist die Musik mehr ein untermalender Einheitsbrei, der oft im Rhythmus wenig mit der Gangart des Pferdes zu tun hat. Der im Reglement festgelegte Anspruch der Kür, dass in ihr die Musik interpretiert werden soll, geht fast immer verloren. Dass man aber selbst mit den Elementen einer L-Dressurkür sehr wohl eine gute Abstimmung und durchaus eine Interpretation der Musik erzielen kann, zeigte Lena Charlotte Waltenscheidt insbesondere mit ihrer Musikauswahl und Abstimmung bei den Einfachen Galoppwechseln. Interessanterweise war gerade die Musikauswahl bei den Ponyreitern sehr vielfältig reichte von Klassik über Schlager und Rock`n Roll bis zu Lena-Songs und aktuellen Musiktiteln und war selten mit monotonen Poprhythmen überdeckt, was bei den Jungen Reitern weitaus häufiger der Fall war. In einer Kür war dies so extrem, dass mehr der zum Ritt nichtssagende Bass im Herzschlagrhythmus zu hören war als die eigentliche Musik.
In der zweiten Wertungsprüfung der EM-Sichtung der Jungen Reiter, einer Kürprüfung auf S-Niveau, siegten die Zweiten der Mannschaftsaufgabe: Sanneke Rothenberger und die locker gehende, 13-jährige Wolkenstein-Tochter Wolke Sieben (76,75 Prozent), von der ihre Reiterin sagt, sie würde nun richtig aufblühen, weil sie mehr Beachtung fände. Zweite wurde Louisa Lüttgen mit dem 15-jährigen Hannoveraner Hohenstein-Sohn Habitus (73,30). Den dritten Platz belegte sie außerdem mit der zehnjährigen Diamond Hit-Tochter Diamantenbörse OLD (73,2). Sowohl die Bad Homburgerin als auch die Bonnerin sind bereits für das EM-Team gesetzt und beide werden sich am Ende für eines ihrer zwei möglichen Pferde entscheiden müssen. Das bisherige Championatspferd von der 13-fachen EM-Gold-Gewinnerin Sanneke Rothenberger war Deveraux OLD, mit dem sie in Balve in der U25-Tour im Grand Prix starten wird. Dennoch so Jugend-Bundestrainer Hans-Heinrich Meyer zu Strohen bleibt ihr der Weg zur EM offen: „Wir werden dies nach Hagen besprechen, aber die Familie Rothenberger achtet so sehr auf eine korrekte Grundausbildung der Pferde, dass ich davon ausgehe, dass es für Deveraux kein Problem sein würde, von Grand-Prix-Niveau wieder auf Prix St. Georges-Niveau zurückzukehren.“
Weniger gut lief die Kür bei den Siegern der Mannschaftsaufgabe am Sonntag und den Gesamtsiegern des Preis der Besten, Charlott-Maria Schürmann und dem neunjährigen Fuchshengst Burlington, die vor allem zu Beginn der Vorstellung mit Anlehnungsproblemen zu kämpfen hatten und in der Kür mit 69,75 Prozent nur Achte wurden. Was immer wieder auch bei den Top-Senioren ein Diskussionsthema ist, ob die versammelten Tempi heutzutage nicht viel zu frei und stark vorwärts geritten werden, fiel bereits bei den Jungen Reitern auf. Bei manchen Pferden besteht der Eindruck, dass der versammelte Trab bereits einem Mitteltrab gleichkommt. Hier würde sicherlich Diskussionsbedarf bestehen. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass Notenunterschiede von sechs Prozent was in der Platzierung nicht selten sechs, sieben Plätze ausmachte die Regel und nicht die Ausnahme in allen Jugendprüfungen waren. Ein weiteres Thema ist der korrekte Sitz, wenngleich der Gesamteindruck hier weitaus positiver ist als bei den niederländischen Nachwuchsreitern, muss auch hieran in Deutschland weiter gearbeitet werden (auffallend ist u.a., wie viele Reiter schon im Ponybereich ständig ins Pferd schauen, anstatt mit aufrechter Kopfhaltung zu reiten). Immer wieder an einem guten Sitz zu arbeiten, diese Notwendigkeit sieht auch Hans-Heinrich Meyer zu Strohen: „Wirklich zufrieden mit dem Sitz bin ich nur bei zwei, drei Reitern pro Altersgruppe. Es ist leider nicht zu bestreiten, dass einfach an Sitz und Haltung viel zu wenig gearbeitet wird. Wir müssen deshalb konsequent darauf aufmerksam machen. Den Grundstock für einen korrekten Sitz zu legen, geht nur in dem Alter, in dem sich die Reiter jetzt befinden, später ist eine Verbesserung nicht mehr möglich.“
Birgit Popp
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