Sie sollen bei der Hilfengebung und Zügelführung wahre Wunder wirken: Die sogenannten Reitbommel. Kurze Seile, am Sattel befestigt, werden in die Hand genommen und los geht’s. St.GEORG wollte wissen: Was können die Bommel und wo sind ihre Grenzen?
Es führt kein Weg daran vorbei: Der Prozess des Reiten lernens dauert einfach seine Zeit und hört auch nie auf. So wie ein Pferd anhand der Skala der Ausbildung Schritt für Schritt an immer komplexere Aufgabenstellungen herangeführt wird, muss auch der lernende Reiter anhand einer Skala der Reiter-Ausbildung langsam und stetig einen Schritt nach dem nächsten tun. Manch einer braucht vielleicht aufgrund seines Bewegungsgefühls nur einige wenige Reitstunden, bis er sein Gleichgewicht auf dem Pferd gefunden hat und eine der wichtigsten Forderungen erfüllt: nämlich unabhängig von der Hand zu sitzen. Andere dagegen brauchen dafür Jahre und weiterhin fällt es ihnen schwer.
Da ist es sehr verlockend zu hören, dass allerlei Hilfsmittel auf dem Markt sind, die damit werben, einem das nötige Bewegungsgefühl fürs Reiten etwas zügiger zu vermitteln. St.GEORG berichtete bereits über hilfreiche Aufwärmübungen, über den Balimo, über Franklin-Bälle, über sinnvolle Sitzübungen und vieles mehr. Immer unter der Fragestellung: Wie stellen sich die angebotenen Hilfsmittel in der Praxis dar? Kann man sehen, dass sie etwas verändern? Kann der Reiter das fühlen? Und lässt sich die Veränderung, die bestenfalls bei Pferd und Reiter sicht- und spürbar ist, auch noch erklären?
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Kleine Seile für feines Reiten?
Diesmal im Fokus: Die sogenannten Reitbommel. Ihre Erfinderin ist Miriam Flower, eine Hobbyreiterin aus Boppard, Rheinland-Pfalz. Sie preist die kleinen Seile, die sie in Handarbeit fertigt, als viel versprechende Helfer für alle Notlagen der Zügelführung an. Die Bändchen sollen den Reiter darin unterstützen, einen ausbalancierten Sitz zu finden. Sie sollen dazu beitragen, dass der Reiter die maßvolle Zügelführung und korrekte Handhaltung schneller lernt. Und schließlich sollen die Reitbommel auch noch das Pferdemaul schonen, weil der Reiter durch das Anfassen der kleinen Seilchen nicht mehr unkontrolliert im Maul rucken kann. Gemeinsam mit der Pferdewirtin Janine Weber und diversen Reitern haben wir die Bommel getestet. Die Erfahrungen der Reiter, der Ausbilderin und eine Analyse des Experten für Bewegungslehre, Eckart Meyners, führten zu spannenden Antworten auf die zentrale Frage: Wie sinnvoll ist das Reiten mit Reitbommeln im Hinblick auf die Skala der Ausbildung des Pferdes – und im Hinblick auf den Bewegungsspielraum des Reiters?
Im Praxistest waren die genauen Fragestellungen:
- Was können die Reitbommel wirklich leisten?
- Ist ihr Einsatz für alle Reiter gleich sinnvoll?
- Lassen diese Bändchen dem Reiter genügend Spielraum, um der Nickbewegung des Pferdekopfes in den verschiedenen Gangarten zu folgen?
Die Experten
Eckart Meyners: Der Sportwissenschaftler war fast vier Jahrzehnte Dozent an der Universität Lüneburg und widmet sich seit ebenso langer Zeit den vielfältigen Aspekten des Bewegungslernens – unter anderem beim Reiten. Er ist ein international anerkannter Experte auf diesem Gebiet, hat unzählige Lehrgänge veranstaltet sowie Bücher und Fachbeiträge verfasst. Meyners hat etliche Hilfsmittel zum Bewegungslernen in den Reitsport eingeführt (z.B. Balimo, Franklin-Bälle) und die Zusatzausbildung für Berufsreiter zum „Bewegungstrainer EM“ ins Leben gerufen.
Janine Weber: Die 36-jährige „doppelte“ Pferdewirtin (Zucht und Haltung sowie Reiten) und Richterin war von jeher offen für alle Hilfsmittel, die das Reiten lernen erleichtern und hat im Rahmen ihrer Lehrgangstätigkeit sowie mit ihren regelmäßigen Reitschülern schon vieles ausprobiert. „Nicht alle Hilfsmittel sind wirklich effektiv“, hat sie beobachtet. Ob und wie die Reitbommel in der Ausbildung von Reiter und evtl. sogar Pferd helfen können, wollte sie gemeinsam mit dem St.GEORG herausfinden. www.sporting-performance.com
Problem 1: Unruhige Hand
Die Hand steht still und sie bewegt sich doch“, ist einer der bekanntesten Lehrsätze des unvergessenen Karlsruher Reitmeisters Egon von Neindorff. Das heißt: Zwar sieht es für den Betrachter so aus, als würde der Reiter seine Hand immer an derselben Stelle halten, aber in Wirklichkeit sind kleine Bewegungen mit der Faust oder ein leichtes Vor- oder auch Zurückgehen mit der Hand für gefühlvolles Reiten unerlässlich. „Die Reitbommel animieren mich, meine Hände kontrolliert zu bewegen“, beschreibt Testreiterin Elke das Reitgefühl. „Ich würde sonst wahrscheinlich mehr mit der Hand einwirken. Das kann ich jetzt nicht. Das stört mich zwar ein bisschen, aber ich spüre gleichzeitig, dass mein Pferd sich unter mir wohler fühlt als sonst.“ Elkes Pferd spiegelt wider, was sie sagt: Zunächst zeigt es sich besonders in Wendungen eher fest, doch schon nach rund zehn Minuten mit den Reitbommeln lässt der Wallach sichtbar los, schwingt besser über den Rücken und entspannt seine Oberlinie.
Das sagen die Experten
Janine Weber: Elke hat eigentlich eine recht ruhige Hand. Aber in Wendungen verkürzt sie den inneren Zügel etwas zu stark und zieht die Hand etwas zu weit zurück. Darum ist ihr Pferd im Hals zu deutlich abgestellt und kann seine Linie nicht halten. Die Reitbommel beschränken Elkes Zügeleinwirkung positiv und es wird schnell sichtbar, dass hier das Prinzip „weniger ist mehr“ zum Tragen kommt: weniger Zügelhilfe führt zu einer besseren Gesamt-einwirkung der Reiterin.
Eckart Meyners: Je mehr sich die Aufmerksamkeit des Reiters auf eine Bewegungsausführung richtet, desto größer ist die Gefahr, dass er sich verkrampft. Oft wird im Reitunterricht die Zügelführung besonders intensiv „bearbeitet“ – dabei haben Fehler in der Zügelführung ihre Ursache oft nicht in der Hand, sondern woanders (z.B. Gleichgewichtsprobleme, unbewegliches Becken, feste Schulter etc.). Wenn sich der Reiter durch die eingrenzende Wirkung der Reitbommel mehr auf andere Einwirkungsmöglichkeiten konzentriert, statt „nur“ daran zu arbeiten, seine Hand ruhig zu halten, verbessert dies oft seine gesamte Einwirkung und damit das losgelassene Gehen des Pferdes.
Fazit
Bei spezifischen Reiterproblemen mit der Zügelführung (zu steife oder zu unruhige, das Pferdemaul störende Hand), beim Erlernen von Seitengängen oder bei der Korrektur einer Reiterhand, die in Wendungen über den Widerrist geschoben wird, kann es sehr hilfreich sein, die Reitbommel phasenweise als Unterstützung einzubeziehen.
Meinung der Testreiterin Carolin T.: Carolin hat sich selbst und ihr Pferd von Klasse A bis M weiter gebracht und versucht nun, über Galopptraversalen und große Pirouettenarbeit den Galoppsprung ihres Pferdes noch besser zu versammeln. „Ich wollte immer mit der Hand in der Pirouette mitwenden, meine äußere Hand wanderte dann schon mal über den Widerrist nach innen“, berichtet sie. „Die Bommel haben mir da eine sinnvolle Grenze aufgezeigt und es gelingt mir jetzt besser, meine äußeren Zügelhilfen begrenzend einzusetzen. Und siehe da, die Pirouetten werden kleiner und der Galoppsprung konzentrierter“, freut sich die Reiterin.
Problem 2: korrekte Handhaltung durch Reitbommel?
Der 2016 verstorbene Major a.D. Paul Stecken bestand darauf, und seine Musterschülerin Ingrid Klimke legt aus gutem Grund ebenfalls viel Wert auf eine vermeintliche Kleinigkeit: Der Daumen soll dachförmig auf der geschlossenen Zügelfaust liegen und die kleinen Finger sollen sich näher sein als die Daumen. Formale Forderungen? Weit gefehlt – anatomisch notwendig (siehe Foto unten)! Testreiterin Kim hat ihre Schwierigkeiten mit der Handhaltung, sie führt die Zügel in der fast flachen Hand, ein bisschen so, als würde sie ein Lenkrad in den Händen halten. Die Ellbogen sind dadurch abgespreizt, die flache Handhaltung erzeugt den Eindruck, als würde Kim etwas stark mit den Zügeln einwirken. Kim kennt die Reitbommel bereits und ist schon mehrfach damit geritten. „Meine Handhaltung hat sich nicht sofort verbessert, aber ich spüre, dass sie sich allmählich verändert“, berichtet sie. „Wenn ich phasenweise die Bommel wieder zusätzlich zu den Zügeln in die Hand nehme, werde ich daran erinnert, wohin ich meine Hände drehen sollte.“
Das sagen die Experten
Janine Weber: Ich trainiere seit längerem mit Kim und die Verbesserung der Handhaltung hat zu vielen positiven Effekten geführt, die ich auf andere Weise wahrscheinlich mühevoller und nur über einen längeren Zeitraum hätte erreichen können. Kim kann jetzt durch die veränderte Handhaltung ihre Zügelhilfen viel gezielter und feiner aus dem Handgelenk statt vorrangig aus der Schulter heraus einsetzen und dies wirkt sich sichtbar positiv auf das Gehen des Pferdes aus. Sie hat nicht nur im Training, sondern auch auf Turnieren bessere Erfolge!
Eckart Meyners: Die formale Forderung nach einer aufrechten Handhaltung und einem dachförmig auf die Faust gelegten Daumen hat einen funktionalen Hintergrund. Vor allem aber muss man aufpassen, dass hier nicht Ursache und (Aus-)Wirkung miteinander vermischt werden: Die Handhaltung allein kann nicht verantwortlich gemacht werden für die Reiterprobleme, mit denen Kim zu kämpfen hat. Die Hand muss sozusagen aus zwei Richtungen optimale Bedingungen vorfinden, um aufrecht getragen zu werden: Erstens muss der Reiter im Becken losgelassen mitschwingen können und zweitens muss er seinen Oberarm aus der Schulter heraus locker am Körper herunterhängen lassen. Nur dann ist es dem Reiter möglich, seine Hand so zu tragen, wie es Reit- und Bewegungslehre vorsehen.
Das Übel an der Wurzel packen
Die Erfahrung zeigt aber, dass es durchaus möglich ist, „das Übel nicht an der Wurzel zu packen“, d.h. nicht Becken und Schulter in Ordnung zu bringen, sondern sozusagen den umgekehrten Weg zu wählen: Die Hände werden mit Unterstützung der Reitbommel in eine funktional korrekte Position gebracht, dies wiederum kann dazu beitragen, dass der Reiter auch in der Schulter- und Beckenpartie entspannter wird. Einen wichtigen Beitrag leisten die Bommel insofern, dass sie dem Ausbilder das Unterrichten deutlich erleichtern: Er muss nicht ständig dieselben Korrekturen aussprechen, weil die Reitbommel den Reiter an eine korrekte Handhaltung „erinnern“. Damit kann der Reitlehrer seinem Schüler die Chance geben, etwas selbstständiger Probleme zu lösen.
Fazit: Wunder gibt es zwar angeblich immer wieder, im Hinblick auf eine korrekte Handhaltung darf man dieses Wunder aber nicht binnen einer einzigen Reitstunde erwarten. Um positive Effekte zu erzeugen, muss der Reiter bereit sein, die Reitbommel über einen längeren Zeitraum immer mal wieder in die Hand zu nehmen. Und sie dann auch wieder loszulassen, um herauszufinden, ob er auch ohne dieses Hilfsmittel zu einer verbesserten Handhaltung kommt.
Problem 3: Helfen die Reitbommel auch noch an anderer Stelle als „nur“ der Hand?
Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen stehen dem Reiter als Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung. Und zwar in dieser Reihenfolge und mit unterschiedlich hoher Intensität! Gewichts- und Schenkelhilfen sollen vorrangig eingesetzt werden, die Zügelhilfen sind quasi nur die Feinabstimmung auf die Gewichtshilfen! Die Realität allerdings liefert ein anderes Bild: Die Zügelhilfen „übertönen“ häufig die anderen Hilfen. Gewichts- und Schenkelhilfen fallen, wenn’s schlecht läuft, in eine Art Dornröschenschlaf. Wir wollten wissen: Ist es wirksamer, den Reiter mit Reitbommeln darauf aufmerksam zu machen – oder genügen ermahnende Worte in der Reitstunde? Mehrere Testreiter, die an mehreren Tagen mit den Reitbommeln trainierten, stellten fest, dass ihnen das Reiten mit den feinen Seilchen deutliche Signale gab, dass man auf dem falschen Weg war: „Wenn ich durch den Zirkel wechseln wollte, war da plötzlich dieser Stop an der Hand“, berichtet zum Beispiel Sabine. „Und weil es mit der Hand nicht weiterging, war es für mich leichter, meine Gewichts- und Schenkelhilfen wieder vermehrt zu nutzen.“ Maria, eine weitere Testreiterin, konnte zwar ihr Pferd sichtbar besser zwischen den Hilfen führen, aber ihr Gefühl war ein anderes: „Ich habe den Unterschied zu vorher nicht so deutlich gefühlt wie er wohl von unten zu sehen war“, sagte die Reiterin.
Das sagen die Experten
Janine Weber: Man kann von unten gut sehen, dass die Reitbommel nicht nur Einfluss auf die Zügelführung und Handhaltung haben, sondern auf die gesamte Hilfengebung. Besonders sichtbar ist dies natürlich bei Reitern, die noch nicht allzu weit fortgeschritten sind. Aber auch bei erfahrenen Reitern können die Bommel dazu beitragen, das Zusammenspiel der Hilfen noch harmonischer zu machen.
Eckart Meyners: Oft hilft etwas nicht nur dort, wo es eingesetzt wird, sondern noch an ganz anderen Stellen. Die Reitbommel fixieren ja die Gedanken erst einmal auf alles, was mit den Händen zu tun hat – denn Handfehler sind halt sofort und für jeden schnell erkennbar. Ein gut oder nicht so gut mitschwingendes Becken ist da schon schwerer zu erkennen. Viele Reiter sind nicht so geschult in Selbstreflexion, dass sie dies wahrnehmen. Das erklärt für mich auch die Reaktion von Maria, die keinen Unterschied spürte, obwohl sich sichtbar etwas verändert hat.
Fazit: Besonders für Einsteiger bieten die Reitbommel eine gute Unterstützung auf dem Weg zum Erspüren des Zusammenspiels der treibenden und verhaltenden Hilfe. Der Ausbilder hat hier eine wichtige Rolle: Er muss sehen, was sich positiv verändert und den Schüler darauf aufmerksam machen, damit die Veränderung als positiv abgespeichert wird.
Meinung der Testreiterin Lia E.: Lia bildet zum ersten Mal ein junges Pferd aus – eine Herausforderung. In Wendungen tendiert ihr Youngster dazu, in die entgegengesetzte Richtung auszubrechen, und Lia wollte dem mit verstärkten Zügelhilfen entgegenwirken. Als das nicht klappte, hat sie die Bommel am Sattel befestigt. „Ich werde jetzt im Einsatz meiner Zügelhilfen begrenzt. Und weil ich ja trotzdem wenden will, benutze ich den Zügel nur noch als eine Art Signal und konzentriere mich danach mehr auf meine Gewichts- und Schenkelhilfen. Damit werden die Wendungen zuerst möglich und später insgesamt sogar spürbar harmonischer!“
Was ist ein gutes Hilfsmittel?
In der Bewegungswissenschaft wurden diverse Kriterien entwickelt, anhand derer sich die Frage, was ein gutes Hilfsmittel ausmacht, beantworten lässt – egal, ob es die Schwimmflügel für Kinder zum Schwimmen lernen sind, das Trampolin für den Leichtathleten zum Hochspringen lernen oder der Reitbommel für den Reiter, um seine Zügelführung zu verbessern. Im Wesentlichen sollen die Kriterien Aufschluss darüber liefern, ob das Hilfsmittel eher hilft – oder eher behindert. Ein gutes Hilfsmittel muss Bewegungen zulassen und fördern – und zwar jene, die man auch ohne Hilfsmittel machen würde. Es muss möglich sein, die Bewegungen zu jeder Zeit auszuführen, und der Reiter muss die Chance haben, zu spüren und zu verstehen, in welcher Weise das Hilfsmittel hilft – entweder direkt in der Anwendung oder auch hinterher ohne Hilfsmittel. Und schließlich sollte es idealerweise so sein, dass das Hilfsmittel im Laufe der Zeit nicht mehr benötigt wird, weil der Reiter die geforderte Bewegung nun auch ohne Unterstützung bzw. ohne Hilfsmittel korrekt ausführen kann.
Was heißt das für die Reitbommel? Es wird Bewegungsspielraum zugelassen – aber in Maßen. Somit ist es möglich, die erforderlichen Hilfen zum korrekten Zeitpunkt zu geben. Inwieweit Reiter längerfristig ihre Zügelführung, Handhaltung oder ihre Einwirkung durch die Reitbommel verbessern, lässt sich aufgrund der Kürze des Testzeitraumes nicht beantworten.
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