Bodenarbeit ist so viel mehr, als ein Pferd dazu zu bringen, durch einen Flattervorhang zu gehen. Es ist Teambuilding – für den Alltag, Turniere und für Stresssituationen. Ein Plädoyer für die Arbeit am Boden.
Die Bodenarbeit fristet in der Pferdeausbildung eher ein Nischendasein – nicht nur, aber vor allem auch bei Pferdewirtinnen und Pferdewirten. Dabei sollte man wissen: Es heißt zwar Bodenarbeit, ist aber eigentlich die Grunderziehung für Pferde – also wichtig für jede und jeden im Umgang mit Pferden. Vieles passiert zwar „automatisch“ im täglichen Umgang, man könnte sich aber das (Pferde)Leben wesentlich einfacher machen – und vor allem risikofreier und pferdefreundlicher –, wenn man sich ein bisschen intensiver mit dem Thema Bodenarbeit auseinandersetzen würde. Besonders für Pferdewirte auch ein wichtiges Thema im Bereich der Kundenberatung.
Gute Manieren
Ute Limbach und Waltraud Böhmke sind Expertinnen auf dem Gebiet. Die beiden Pferdewirtschaftsmeisterinnen geben Lehrgänge und schulen u. a. Auszubildende Pferdewirte in Bodenarbeit (siehe auch www.berufsreiter.com). Seit 2014 ist die Bodenarbeit in der Ausbildungsprüfung (APO) der FN verankert. Es gibt die Möglichkeit, das Bodenarbeitsabzeichen abzulegen genauso wie ein Longierabzeichen und den Pferdeführerschein Umgang. In der Pferdewirt-Abschlussprüfung der Fachrichtung Pferdehaltung und Service ist das Fach Kundenberatung und Ausbildung ein Sperrfach.
Fällt man durch, muss die ganze Prüfung wiederholt werden. Eines der Themen in diesem Fach ist die Bodenarbeit. „Häufig wird die Bodenarbeit belächelt“, berichtet Ute Limbach aus ihrer Erfahrung, „dabei bedeutet ein Pferd am Boden zu arbeiten, es zu erziehen und den korrekten Umgang zwischen Mensch und Pferd zu fördern, einen harmonischen und pferdefreundlichen Rahmen zu schaffen, und das Unfallrisiko zu minimieren.“ Bodenarbeit ist das Erlernen von „guten“ Manieren im Alltag für das Führen, Anbinden, Putzen und Stillstehen genauso wie für das Vormustern, Longieren und Verladen. Und mit einem gut am Boden gearbeiteten Pferd habe ich weniger Stress in herausfordernden Situationen. „Das problemlose Verladen beispielsweise ist ein Abfallprodukt guter Bodenarbeit – ganz lapidar gesagt“, so Ute Limbach. „Wenn mein Pferd mir vertraut und mich respektiert, geht es ohne weiteres mit mir über eine Plane oder eben in einen Anhänger!“
Waltraud Böhmke sieht in der Bodenarbeit vor allem auch die Vorteile für das Reiten: „Das junge Reitpferd lernt, im Laufe der Zeit auf neue Eindrücke gelassen zu reagieren. Die Bodenarbeit ist eine gute Vorbereitung für das Anreiten und über das Geschicklichkeitstraining lernt das Pferd die Arbeit mit Stangen kennen. Der Mensch lernt das Pferd besser kennen, welche Voraussetzungen und Eigenschaften es mitbringt.“
Es geht darum, eine Partnerschaft mit dem Pferd aufzubauen, sodass der Mensch ranghoch ist – das heißt aber nicht, dass er das Pferd dominiert. Das impliziert zu sehr ein Machtverhältnis. „Der Mensch soll nicht mit Angst arbeiten“, betont Ute Limbach. „Die richtige Umschreibung ist ,souverän‘. Der Mensch muss souverän reagieren, er muss wissen, wie er in bestimmten Situationen richtig reagiert, wenn das Pferd Unmut zeigt, wenn es Angst hat, wenn es aufmüpfig ist … Der Mensch muss das Pferd einschätzen können. Er gibt dem Pferd Sicherheit durch klare Regeln. In der Rangordnung der Pferde ist klar, wer was wann wie machen darf. Pferde sprechen subtil miteinander, wenn z. B. das Ohr ein Stück zurückgeht, hat das für das andere Pferd schon eine Bedeutung. Das müssen wir uns auch aneignen. Kleine Gesten erkennen und einsetzen ist entscheidend.“
Das ist Bodenarbeit
Bodenarbeit ist in vier Bereiche aufgeteilt, die aufeinander aufbauen. Das Führtraining ist die Grundlage.
Trainiert wird, dass das Pferd flüssig vorwärts und rückwärts später auch seitwärts geht und anhält. Tempowechsel und Gangartenwechsel werden geübt genauso wie der Seitenwechsel des Führenden vor dem Pferd und Hufschlagfiguren. Außerdem wird es auf beiden Seiten geführt – das baut Vertrauen auf und hat einen erzieherischen Wert. Wenn es ein Pferd gewöhnt ist, auch von rechts geführt zu werden, und Angst hat, an etwas auf seiner rechten Seite vorbeizugehen, kann der Mensch zwischen der „Gefahr“ und dem Pferd gehen.
Im weiteren Verlauf der Bodenarbeit kommen Wendungen um Pylonen hinzu, die einen gymnastischen Effekt auf das Pferd haben. „Der Slalom um Pylonen im Trab ist eine Übung, die so einfach aussieht“, berichtet Ute Limbach. „Aber genau bei dieser Übung haben ganz viele Schwierigkeiten, weil das Pferd aus der Linie herauslaufen will. Ich muss als Mensch das Pferd dazu bringen, mit mir den Richtungswechsel zu machen.“
Seitengänge mit dem Pferd in der Bodenarbeit
Sobald das Führen im Geradeaus gelingt, beginnt man mit dem Führen in unterschiedlichen Gangarten und Tempi, zunächst im Schritt, später auch im Trab. Zur Einwirkung nutzt man die treibenden und verhaltenden Impulse von Stimme, Körpersprache und Führseil wie beim Anführen beschrieben. Pylonen helfen, Aufgaben genauer darzustellen und Wege exakter vorzugeben. Insofern unterstützen sie die Arbeit mit dem Pferd am Boden und unter dem Sattel. Sie geben dem Pferd und dem Führenden eine deutliche optische Orientierung zum Anhalten oder für die Tempounterschiede. Als Slalom aufgestellt (im Schritt ca. sieben Meter-Abstände) eignen sie sich hervorragend, um die Geschmeidigkeit in der Längsbiegung des Pferdes zu verbessern.
Der Führende achtet dabei auf eine entsprechend der Linie angepasste Stellung des Pferdes. Durch die richtige Wahl des Tempos und mit der Körpersprache kann man auf die Längsbiegung Einfluss nehmen. Im Rechtsbogen geht man tendenziell etwas weiter vorne neben dem Pferdekopf, verzögert beim Pferd ein wenig das Tempo und stellt den Pferdekopf in die Richtung der Wendung, gleichzeitig gibt man mit dem Führseil ein seitwärtsweisendes Signal hinter dem eigenen Körper in Richtung Pferdeschulter, damit diese nicht nach links ausweicht. In dem folgenden Linksbogen dreht man sich selber in der Körperachse etwas nach links und führt mit der rechten Hand das Pferd deutlich neben sich in diese Wendung. Dazu wird der rechte Unterarm nach rechts vom eigenen Körper weggenommen und unterhalb des Pferdekopfes gehalten. Das Pferd wird durch Treiben mit dem Führseil ein wenig fleißiger gemacht, sodass man in dieser Wendung mehr in Höhe der Pferdeschulter geht. (aus Waltraud Böhmkes „Die Grundschule des Pferdes“, FNverlag)
Bodenarbeit mit Stangen
Der zweite Bereich ist das Geschicklichkeitstraining über verschiedene Stangenhindernisse. Das bringt Abwechslung, motiviert und fördert die Koordination, Aufmerksamkeit, Konzentration sowie die Balance des Pferdes. Außerdem wird es geschickter, geschmeidiger und ausgeglichener. Im großen Labyrinth zum Beispiel muss man das Pferd um 180 Grad wenden – dabei muss sich das Pferd deutlich biegen lassen, es muss im Takt bleiben und die Schritte verkürzen und verlängern können – das muss vorher erarbeitet werden. Alle Hindernisse werden immer von beiden Seiten geübt.
Die „Desensibilisierung“ bildet den dritten Bereich und beinhaltet das Training mit Schreckhindernissen wie einem Flattervorhang, Ballons, unterschiedlichen, farbigen Planen, einer Karre mit Konservendosen o. ä., einem Bällebad, einem Rappelsack oder auch Bällen, die hinter einer Hecke hervorrollen – also Hindernisse aus dem täglichen Leben. Die Schreckreize werden stufenweise gesteigert. Das Pferd lernt bei diesem Training, dass der Fluchtinstinkt nicht ausgelöst wird, auf den Menschen zu warten und sich Dinge anzuschauen, also zum Beispiel an die Plane heranzugehen, zu schnuppern, vielleicht mit dem Huf daran zu kratzen, es kennenzulernen. Im besten Fall kann sich der Mensch dabei die Neugier des Pferdes zu Nutze machen. Besonders skeptischen Kandidaten kann man mit einem Führpferd helfen oder zunächst die Plane kleiner legen. Bei diesem Training wird die Schreckhaftigkeit des Pferdes herabgesetzt, das Ziel ist ein nervenstarkes und gelassenes Pferd – was wiederum auch ein höheres Maß an Sicherheit für Mensch und Pferd bedeutet. Für das Grundverständnis für die Desensibilisierung muss man wissen, wie das Fluchttier Pferd reagiert. Man umschreibt die Fluchtreaktion eines Pferdes so:
Flight/Flucht (wegstürmen, ausbrechen), Fight/Kampf (schlagen, beißen), Freeze/Erstarrung (Ganzkörperstarre, hocherhobener Kopf, hohe Fluchtbereitschaft), Flirt/Untersuchung (aus Ferne hinschauen, annähern, schnorchelnde Atmung, berühren, mit der Nase untersuchen, Abklopfen, Scharren zur Untersuchung).
Ein Pferd am Boden zu arbeiten, bedeutet aber nicht nur Training für das Pferd. „Bei der Bodenarbeit muss man ganz viel am Menschen arbeiten“, so Ute Limbach. „Man muss beobachten, wie er die Situation einschätzt, wie er die Hilfen gibt und wie er wahrnimmt, was neben ihm passiert, ohne das Pferd anzuschauen. Die Pferde reagieren schon auf das Drehen des Kopfes und der Schulter.“
Die Krönung der Bodenarbeit ist die sogenannte Freiarbeit – also das Training am Boden ohne Seil. Für die Arbeit am Boden eignen sich am besten ein umzäunter Platz oder eine Reithalle. Wie für das Training unter dem Sattel gilt, dass man das Training systematisch aufbauen sollte, vom Einfachen zum Komplexen, vom Bekannten zum Unbekannten, von der Grobform zur Feinform, vom Langsamen zum Schnellen und den Schwierigkeitsgrad nur so weit steigern, wie das Pferd noch willig mitarbeitet. Ute Limbach erklärt: „Das Pferd ist mental sehr beschäftigt bei der Bodenarbeit. Trainingseinheiten dauern je nach Konzentrationsfähigkeit des Pferdes zwischen 15 und 30 Minuten.“
Wichtiger Bereich für Kunden
Das Wissen über die Grunderziehung und den richtigen Umgang mit dem Pferd ist für Pferdewirtinnen und Pferdewirte gleich doppelt wichtig – zum einen für ihr eigenes Handeln und zum anderen für das Vermitteln an ihre Kundinnnen und Kunden – angefangen bei Kindern und Jugendlichen, den Eltern der Kinder bis hin zu Schülern jeden Alters, Wiedereinsteigern, Einstellerinnen und Einstellern bis hin zu ambitionierten Freizeit- und Turnierreitern und Kunden, die sich ein junges Pferd gekauft haben. Bodenarbeit macht Spaß! Viele sind nicht nur ambitioniert, sich im Sattel zu verbessern und Traversalen, Fliegende Galoppwechsel oder einen M-Oxer zu absolvieren – die Arbeit am Boden bereitet Freude, gibt Selbstvertrauen und stärkt die Bindung zum Pferd.
Das Vermitteln der korrekten Arbeit am Boden begegnet Profis im alltäglichen Umgang. Genauso sind aber auch gezielte Angebote möglich – man könnte also z. B. zu einem zweiteiligen, aufeinander aufbauenden Lehrgang zur Vorbereitung auf Bodenarbeits- oder Longierabzeichen einladen. Genauso kann man Bodenarbeit in Verbindung mit einem Verladetraining oder in Vorbereitung auf eine Gelassenheitsprüfung (GHP) auf einem Breitensport-Turnier anbieten. „Wenn ich mit einem Springpferd nicht über ein Cavaletti komme, kann ich keinen Parcours reiten – ohne Bodenarbeit keine GHP!“, so Ute Limbach.
Bodenarbeit und ihre Inhalte in der Übersicht: Die Arbeit am Boden ist in vier Bereiche unterteilt, die aufeinander aufbauen: |
Ausrüstung Die Ausrüstung für das Pferd: ein Knotenhalfter (feinere Einwirkung möglich als mit einem Stallhalfter): aus weichem, aber zugfestem Material, relativ enger Sitz, Knoten sollte nicht auf dem Nasenbein liegen. Niemals ein Pferd damit anbinden! Alternativ ist auch eine Trense möglich Ein Leitseil ohne Panikhaken, je nach Aufgabenstellung 3,50 bis 6 Meter lang, am Ende mit Lederschlag. Alternativ: Führstrick ggf. Beinschutz.Ausrüstung für den Führenden: feste, bequeme Schuhe, eng anliegende, zweckmäßige Kleidung Handschuhe ggf. eine Gerte |
Aus der „Serie: Richtig unterrichten – Teil 1, Bodenarbeit“.
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