Das Gebiss im Pferdemaul
Nicht nur das Pferdegebiss mit seinem anatomischen Aufbau von Kiefer, Zunge und Zähnen ist wichtig und sollte regelmäßig kontrolliert und gepflegt werden. Genauso kommt es auf die Wahl des passendes Gebisses zum Reiten an, damit das Pferd zufrieden und gelöst mitarbeiten kann.
Die Zunge und das Trensengebiss
Die Zunge besteht aus Innen- und Außenmuskeln. Letztere sind zum Teil durch das sogenannte Zungenbein am Skelett des Pferdes befestigt. Wenn das Pferd die Innenmuskeln der Zunge anspannt, versteift sich diese, verkürzt sich unter Umständen, wird schmaler und flacher.
Der FEI-Tierarzt Dr. Peter Witzmann beschäftigt sich ebenfalls mit der Anatomie des Pferdemaules. Er hat die Pferdezunge zuerst mit einem Kontrastmittel versehen und dann das Maul geröntgt. Dabei stellte sich heraus, dass die Zunge die Maulhöhle ohne Gebiss ganz ausfüllt und sich der Gaumenform anpasst. Das bedeutet, dass das Gebiss – egal ob dick oder dünn – die Zunge zwangsläufig zusammendrückt.
Lage und Wirkung des Gebisses
Das Trensengebiss ruht in Höhe der Maulwinkel auf der Zunge. Die Zunge wirkt wie ein Kissen zwischen dem Unterkiefer und dem Gebiss. Auf ihr spürt das Pferd 90 Prozent der Zügelhilfen. Aber auch auf der Lade (der zahnfreie Kieferbereich) kommt indirekt Druck an. Wie stark das Pferd die Gebisseinwirkung spürt, hängt daher auch davon ab, wie dick die Zunge ist und ob das Pferd eher starke, runde oder schmale, spitze Laden hat.
FEI-Tierarzt Dr. Peter Witzmann beschreibt: „Die Zunge ist fast dreimal so breit wie die Auflagefläche des Gebisses auf den Graten der Unterkieferladen. Da muss im Maul einiges passieren, bis die Zunge die Laden freigibt und das Gebiss auf den Unterkieferknochen drücken kann. Nach eigener Erfahrung wäre das zum Beispiel mit einem Stangengebiss oder einem Zungenstreckergebiss möglich, wenn der Zug am Zügel zu stark ist.“
Vermessungen mehrerer Pferdeschädel an der Tierärztlichen Hochschule Hannover haben gezeigt, dass beim Pferdegebiss der Abstand zwischen oberen und unteren Laden individuell variiert und altersunabhängig ist. Der geringste Abstand waren 2,5 Zentimeter, der größte 4,6 Zentimeter. Interessant: Die Abstände waren nicht symmetrisch, sondern auf beiden Seiten unterschiedlich.
Korrekte Verschnallung von Gebiss und Reithalfter
In der Zunge, als einem sensiblen, stark durchbluteten Tastorgan, verlaufen besonders viele Nerven. Von den Kopfnerven kann das Reithalfter am ehesten den wichtigen Infraorbitalnerv beeinflussen. Dieser führt am Nasenbein entlang und wer den Nasenriemen zu fest verschnallt, übt eventuell Druck auf diese Nervenbahn aus.
Aber nicht nur das Reithalfter muss dem Pferd passen. Auch wenn das Gebiss nicht richtig gewählt ist, kann es zu Problemen kommen, weiß Dr. Astrid Bienert-Zeit von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. „In solchen Fällen kann ein Gebiss sogar gegen den Gaumen drücken“, sagt sie. „Das Pferdemaul ist eigentlich nicht dafür gemacht, dass ein Gebiss hineingelegt wird“, so Dr. Bienert-Zeit.
Die Maulhöhle ist allein mit der Zunge schon vollständig ausgefüllt, zwischen ihr und dem Gaumen hat die Natur keinen Raum für ein Metallstück vorgesehen. „Schiebt man bei einem aufgetrensten Pferd die Lippen auseinander, sieht man, dass die Schneidezähne nicht mehr aufeinander liegen, sondern ein kleiner Abstand zwischen Ober- und Unterkiefer besteht“, sagt Dr. Witzmann.
An sich bereitet das dem Pferd aber keine Probleme bzw. Schmerzen. Wichtig dabei ist, dass das Reithalfter nicht zu eng verschnallt wird. Denn nur dann hat das Pferd auch die Möglichkeit, das Maul zu öffnen und dem Druck des Gebisses nachzugeben.
Das Pferd muss nachgeben können
Laut den Richtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) muss zwischen Nasenrücken und Reithalfter Platz für zwei Finger sein, dann hat das Pferd die Möglichkeit, Kaubewegungen auszuführen.
Auch die Backenstücke, an denen das Gebiss an der Trense befestigt ist, dürfen nicht zu kurz verschnallt werden und oberhalb des Gebisses sollte sich an den Maulwinkeln möglichst nur eine Falte bilden. Ansonsten ist der Zug auf die Maulwinkel bereits mit hingegebenen Zügeln schmerzhaft.
Manche Reiter fetten diesen Bereich vor dem Reiten ein, um ihn zu schonen. Das kann zwar die Haut vor Rissen schützen bzw. bei alten Verletzungen helfen, dass sie nicht wieder aufreißen, ist das Gebiss jedoch ordnungsgemäß verschnallt und die Hilfengebung pferdefreundlich, ist dieses Risiko gering.
Gebiss und Einwirkung der Reiterhand
Um wirklich feiner einzuwirken, kann die Wahl eines anderen (Trensen-)Gebisses helfen, doch auch das kann nur so weich sein wie die Reiterhand am anderen Ende des Zügels. Prinzipiell kann mit jedem Gebiss so starker Druck auf die Zunge übertragen werden, dass dem Pferd dadurch Schmerzen entstehen.
Eine starre und verkantete Reiterhand macht weiches, elastisches Einwirken unmöglich. Nur mit einer aufrechten Handhaltung kann der Reiter wahrnehmen und einschätzen, wie er seine Hilfen dosieren muss. Dabei darf man die Hand nicht isoliert sehen, Stichwort „handunabhängiger Sitz“.
„All unsere Bewegungen sind von den Armen gesteuert“, weiß Uwe Kröll, Ausbilder und geschäftsführendes Mitglied von Xenophon. „Um wirklich weich mit den Händen einzuwirken, muss der Reiter lernen, die Gewichts- und Schenkelhilfen unabhängig von den Zügelhilfen einzusetzen.“
Deswegen empfiehlt er jedem, der weichere Zügelhilfen geben möchte, regelmäßige Sitz- und Gleichgewichtsschulungen zu machen – eine gute eigene körperliche Fitness ist natürlich Voraussetzung für einen ausbalancierten Sitz. Für Uwe Kröll ist feine Hilfengebung eine Aufgabe, der man sich jeden Tag aufs Neue stellen sollte.
Es hilft, so der Grand Prix-Ausbilder, wenn man unterschiedliche Pferde reitet. Jedes Pferd ist anders, fordert den Reiter, schärft das Feingefühl in der Reiterhand.
Zungenfehler durch Gebisse und Einwirkung
Klappt es mit der weichen Hilfengebung nicht, können Zungenfehler eine mögliche Folge von zu starker Handeinwirkung sein. Ein Problem, das unmittelbar angegangen werden sollte, denn schnell wird das Verhalten zur Gewohnheit. „Normal ist so ein Verhalten nicht. Pferde die so etwas tun, haben auch einen Grund dafür“, weiß Dr. Bienert-Zeit. Liegt die Ursache nicht beim Reiter, sollte das Pferd von einem Tierarzt untersucht werden.
Vielleicht hat es auch einen Fremdkörper in der Zunge? Dr. Witzmann behandelte schon einen Patienten, der ein Stück Draht in der Zunge hatte und sie beim Reiten herausstrecke, um den Schmerzen auszuweichen. Ebenso kennt er Fälle, in denen sowohl haltungsbedingter Stress als auch eine zu starke Reiterhand als Ursache ausgemacht werden konnten. Ein Pferd fing nach einem Trauma an, die Zunge herauszustrecken, ohne dass die Maulhöhle von dem Unfall betroffen gewesen war.
Genauso schwierig, wie die Ursache herauszufinden, gestaltet sich das Beheben eines Zungenfehlers. Ein Patentrezept gibt es nicht. Liegt es an einer zu starken Reiterhand, muss die Reitweise geändert werden, ist der Grund ein anderer, muss ausprobiert werden, mit welchem Gebiss sich das Pferd am wohlsten fühlt – wenn nicht anders möglich, auch ohne Gebiss.
Schokoladenseite beim Pferd
Ein weiteres Problem ist bei manchen Pferden, dass sie auf einer Seite im Maul besser nachgeben als auf der anderen. Grund dafür ist nicht unbedingt ein Reiterfehler. „Jedes Pferd hat eine gute und eine schlechte Seite“, sagt Dr. Peter Witzmann. „Das zieht sich durch den ganzen Körper.“ Heute sei es durch die Zucht besser geworden, früher habe man beim Reiten beobachten können, dass das Pferd auf einer Seite im Genick steifer gewesen sei als auf der anderen, so Witzmann.
Auch Frau Dr. Bienert-Zeit weiß: „Dass Pferde auf einer Seite besser nachgeben als auf der anderen ist häufig gar kein Problem direkt im Maul, sondern im Hals oder Genick.“
Dennoch sollte man auf Nummer sicher gehen und abklären, ob nicht doch ein Wolfszahn drückt, ein Backenzahn entzündet ist oder eine andere organische Ursache vorliegt. Sind diese Krankheitsbilder ausgeschlossen, empiehlt die Veterinärmedizinerin einmal einen fremden, erfahrenen Reiter auf das Pferd zu setzten – manchmal trügt das eigene Gefühl und nicht das Pferd, sondern man selbst ist derjenige, der sich fest macht. Longenarbeit und geraderichtende Biegearbeit – auch das kann letztendlich zu einer weicheren Hand und feinerem Reiten führen.
„Aufstützen“ aufs Gebiss und „verkriechen“ hinter dem Zügel
In der Anlehnung können sich Probleme im Pferdegebiss beispielsweise auch darin äußern, dass sich ein Pferd mit viel Gewicht auf der Hand abstützt. Auf einmal scheint das Pferdemaul nicht mehr empfindlich. Spüren Pferde, die so reagieren, weniger Schmerz?
„Manche Pferde sind von Natur aus tatsächlich unempfindlicher im Maul als andere“, weiß Dr. Bienert-Zeit. Dr. Witzmann erklärt sich das Verhalten so, dass die Pferde versuchen, sich so einem anderen, größeren Unbehagen zu entziehen, sie nehmen das kleinere Übel in Kauf. Außerdem, so Dressurausbilder Uwe Kröll, würden sich die Pferde durch dieses Verhalten die Blutzufuhr in Kiefer und Maul immer weiter abschnüren und somit weniger Schmerzen empfinden.
„Das Pferd sollte zuallererst von einem Tierarzt durchgecheckt werden“, sagt Uwe Kröll. Und zwar das ganze Pferd. „Selbst eine versteckte Lahmheit kann sich teilweise so äußern.“ Denn schließlich ist die Maultätigkeit immer im Gesamtzusammenhang zu sehen. Das Pferd soll sich am Gebiss „abstoßen“, es soll „von hinten über den Rücken ans Gebiss herantreten“.
Hinter dem Zügel verstecken
Wo sich manche Pferde zu viel Druck suchen, dehnen sich manche zu wenig an das Gebiss heran. Sie werden eng im Hals, spielen mit dem Gebiss, „ekeln“ sich vor der Reiterhand. „Das ist schwieriger zu korrigieren als das Auf-die-Hand-Legen“, sagt Uwe Kröll.
Dr. Bienert-Zeit rät, im Zweifelsfall einen Tierarzt um Rat zu fragen: „Eventuell hat das Pferd akute Entzündungen im Maulbereich und deshalb Schmerzen, wenn es an das Gebiss herantritt.“ Ist dort nichts zu finden, kann das Pferd entweder von Natur aus sehr sensibel im Maul sein oder aber es hat schlechte Erfahrungen mit der Reiterhand gesammelt.
In beiden Fällen muss das Pferd Vertrauen zur Anlehnung finden.
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