Depressive Pferde: Bekommen Pferde auch eine Winterdepression?

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Dass es depressive Pferde gibt, ist seit längerem bekannt. Ebenso die Symptome, die Pferde mit Depressionen zeigen. Es gibt viele Ähnlichkeiten zu uns Menschen. Bedeutet das, dass auch Pferde unter der langen Dunkelheit und weiteren Einschränkungen im Winter leiden? Entwickeln auch sie eine Winterdepression?

Ausgeschaltete Pferde mit stummen Augen – so beschreiben Wissenschaftler depressive Pferde und ziehen damit gewisse Parallelen zu uns Menschen, wenn wir eine Depression haben. Dass auch Pferde depressionsähnliches Verhalten zeigen, ist keine Modeerscheinung. Bereits 2007 bemerkten französische Wissenschaftler bei Schulpferden, dass sich Pferde unter gewissen Umständen zurückziehen und teilnahmslos werden.

Diese Symptome zeigen depressive Pferde

Sie beobachteten Pferde, die „apathisch“ oder „reaktionsunempfindlich“ wirkten, fast wie „ausgeschaltet“. Den Forschern fiel auf, dass einige der Schulpferde ihrer Studie weder entspannt noch aufmerksam in der Box standen, sondern eine ungewöhnliche Haltung einnahmen: Die Pferde trugen Hals und Kopf auf einer Höhe zum Rücken, hatten die Augen offen, ohne etwas zu beobachten. „Stumme Augen“, die nirgendwo hinschauen, beschrieben die Wissenschaftler ihre Beobachtungen. 

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Depressive Pferde tragen laut Wissenschaftlern Kopf und Hals auf einer Linie zum Rücken. (© slawik.com)

Depressive Pferde verhalten sich wie „abgeschaltet“

Doch nicht nur die Körperhaltung unterscheidet sich bei depressiven Pferden von solchen, die sich wohlfühlen. Wie auch Menschen reagieren depressive Pferde in gewissen Situationen teilnahmslos, in anderen hingegen gereizter. Das hatten ebenfalls die Wissenschaftler der Universität von Rennes in einer weiteren Studie herausgefunden. Sie hatten in dieser Studie das Verhalten von 59 Pferden beobachtet und in bestimmten Situationen untersucht. Ziel ihrer Beobachtungen war es, ein Modell aufzustellen, dass auf Depressionen bei Pferden hinweist – als Basis dienten ihnen übrigens Verhaltensbeschreibungen von depressiven Menschen.

So viele Pferde waren in der Studie depressiv:

Etwa ein Viertel der Pferde stuften die Forscher anhand der zurückgezogenen Haltung als depressiv ein. Diese Pferde zeigten bis zu vier Mal innerhalb einer halben Stunde diese atypische Haltung. Des Weiteren beobachteten die Wissenschaftler, dass diese Pferde auch die Ohren nicht bewegten und nicht kauten. Ihr Blick war starr, die Augen bewegten sich nicht. 

Vollkommen gleichgültig 

In Verhaltenstests fiel den Wissenschaftlern auf, dass Pferde mit Depressionen gegenüber Umweltreizen im Stall gleichgültiger reagierten. Normalerweise zittern bzw. zucken Pferde, wenn sich eine Fliege auf ihren Körper setzt. Die Wissenschaftler, die für dieses Szenario eine Art Fliegen-Angel nachgebaut hatten und damit die Pferde berührten, stellten fest, dass die zurückgezogenen Pferde weniger auf die Hautberührung reagierten. Auch wenn sich eine Person ihrer Box näherte, zeigten sie sich weniger aufmerksam. Sie reagierten gleichgültig. 

In bestimmten Fällen reagieren depressive Pferde überempfindlich

In schwierigen Situationen hingegen verhielten sich die Pferde mit Depressionen aber viel emotionaler als Pferde, die sich wohl fühlen. Als die Wissenschaftler einen Käfig mit leuchtenden Flatterbändern in die Reitbahn gestellt hatten und die Pferde frei laufen ließen, zeigten sich diese wesentlich ängstlicher. Das ist ähnlich wie bei depressiven Menschen: Einerseits ziehen sie sich zurück und sind kaum ansprechbar, andererseits sind sie überfordert, wenn etwas von ihnen verlangt wird. 

Verhaltensexpertin schildert einen Fall

Dr. Isabell Marr ist Pferdetrainerin und hat Biologie sowie „Animal Biology and Biomedical Sciences“ an der Tierärztlichen Hochschule Hannover studiert. Seit vielen Jahren widmet sie sich den Themen Tierwohl und -verhalten. Sie hat selbst schon Pferde mit depressionsähnlichem Verhalten erlebt. An einen Fall kann sie sich besonders gut erinnern, eine noch recht junge Stute im Alter von vier Jahren. „Die Stute hat kaum auf Signale reagiert. Wenn man zu einem Pferd hingeht, stellen die Tiere meist die Ohren vor und schnuppern an einem. Die Stute hingegen hat keinerlei Reaktionen gezeigt“, erklärt die Verhaltensexpertin. „Die Stute stand relativ teilnahmslos da. Hat sich oft in den Fressstand des Offenstalls zurückgezogen. Im Umgang hat sie in gewissen Situationen überreagiert.“  

Aus diesen Gründen werden Pferde depressiv

Die Ursache für das Verhalten der Stute war nicht gleich auf den ersten Blick erkennbar. Pferde neigen zu depressionsähnlichem Verhalten, wenn sie nicht artgerecht gehalten und angepasst trainiert werden. Zu intensives oder überforderndes Training stresst sie auf Dauer genauso wie zu langes Stehen in der Box und zu wenig Beschäftigung.  

An den Leitlinien orientieren

In der Natur sind Pferde 60 bis 70 Prozent ihrer Zeit mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt. Dabei bewegen sie sich stetig vorwärts. Im Stall stehen sie 60 bis 70 Prozent des Tages herum und haben nichts zu tun. Die Pferde versuchen, sich anzupassen, was ihnen enormen Stress verursacht. Um Depressionen bei Pferden vorzubeugen, müssen sie die Möglichkeit haben, ihre natürlichen Bedürfnisse so weit wie möglich zu befriedigen. Orientieren kann man sich hier zunächst an den Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen des Bundesministeriums.

Neben dem täglichen Training müssen Pferde mindestens zwei Stunden täglich die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen. Am besten auf einer großen Weide, aber auch eine Allwetterkoppel ist in Ordnung – gerade im Winter ist das bei gesperrten Sommerweiden die einzige Alternative. Ein kleiner Paddock vor der Box reicht hier aber nicht aus. Pferde sollten sich mindestens zwölf Stunden am Tag mit der Futteraufnahme beschäftigen können. Wenn die Futtermenge reduziert werden muss, sind Heunetze zur Fresszeitverlängerung nützlich.

Kontakte zu anderen Pferden sind außerordentlich wichtig, aber hier muss man auch darauf achten, mit wem das Pferd zusammenkommt. Denn Auseinandersetzungen in der Herde können ein Stressfaktor sein. Herdenverbände sollten so wenig wie möglich gestört werden. Wenn ein Pferd in einer Gruppe gemobbt wird, ist es manchmal besser, es mit nur einem sozial gut verträglichen Partner zusammen zu bringen. 

Krankheiten beachten

Die Stute, von der Dr. Isabell Marr berichtet, stand im Offenstall. Sie hatte genug Bewegung, wurde artgerecht gefüttert und im Training moderat gefordert. Dass dies aber für diese Stute ein Problem war, stellte man fest, als die Muskelerkrankung PSSM2 bei ihr diagnostiziert wurde. „Das Problem war, dass die Stute aufgrund ihrer Erkrankung viel Platz brauchte, den sie in der großen Herde mit den vielen Pferden nicht unbedingt bekam. Es gab zu wenig Liegeflächen und die Stute benötigte mehr Ruhe und wegen der Muskelprobleme auch viel Raum, um sich hinzulegen. Die Besitzerin hat sie dann umgestellt und nach der Haltungsänderung wurde die Stute deutlich wacher und aufmerksamer.“ 

Depressive Pferde werden fälschlicherweise als angenehm eingestuft

Dass Pferde, die depressionsähnliches Verhalten zeigen, oft sehr ruhig sind, ist das Fatale für diese Tiere. Oft werden die subtilen Signale, die sie aussenden, nicht bemerkt. „Ich befürchte, dass depressionsähnliches Verhalten bei Pferden häufig vorkommt. Meist wird ein solches Pferd als besonders ruhig oder angenehm beschrieben. In Wirklichkeit aber hat es resigniert“, so Dr. Isabell Marr.  

Gibt es eine Winter-Depression bei Pferden?

Wenn Pferde nicht oder kaum rauskommen und ihre Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Pferde depressionsähnliches Verhalten zeigen, glaubt Dr. Isabell Marr. Wissenschaftliche Studien darüber, ob es deswegen vermehrt im Winter zu Auffälligkeiten kommt, sind ihr keine bekannt. Aber es liegt nahe, so die Expertin. 

Viele Pferde kommen im Winter nicht auf große Weiden – diese würden sich bei Nässe schnell in eine Schlammweide verwandeln und Schaden nehmen. Dadurch steigt auch das Verletzungsrisiko für Pferde. Sind keine geeigneten Alternativen wie große Winterausläufe vorhanden, können Pferde ihrem natürlichen Fress- und Bewegungsverhalten im Winter nicht nachkommen. Sie verbringen viel Zeit im Stall. Kommt dort nicht ausreichend Tageslicht bei den Pferden an, können sie ähnlich wie wir Menschen depressiv werden. Licht beeinflusst unter anderem die Hormone. Bei Dunkelheit produziert der Körper vermehrt Melatonin, das auch Schlafhormon genannt wird. Es macht müde, träge, man wird antriebsloser. Bei Stuten beeinflusst Licht die Fruchtbarkeit. Im Winter, wenn die hellen Tage nur kurz sind, werden sie selten oder gar nicht rossig. Auch der Fellwechsel wird durch Licht bzw. die Tageslänge beeinflusst.

 

 

 

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Kerstin WackermannRedakteurin

Die Redakteurin hinter den großen Ratgeberthemen. Expertin für Pferdemedizin, von Atemweg bis Zysten. Gut vernetzt mit Tierärztinnen und Tierärzten, Universitäten, Hochschulen, Experten und Sachverständigen ist sie die Fachjournalistin, die sich auch seit mehr als 20 Jahren beim St.GEORG mit Pferdehaltungsthemen intensiv auseinandergesetzt und dazu recherchiert hat.

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