Kein Gelenk ist so kompliziert aufgebaut wie das Knie. In diesem komplexen Gelenk gibt es zwischen Ober- und Unterschenkel viele Hohlräume, die selbst mit Hilfe der Röntgentechnik nicht gut zu durchleuchten sind. Wenn ein Problem auftaucht, wird der Tierarzt zum Detektiv.
Chico lahmt. Hinten rechts, soviel ist klar. Aber wo sitzt das Problem? Keine pochende Schwellung, kein heißerer Bereich lässt sich am Bein ausmachen, von einer klaffenden Wunde mal ganz abgesehen. „Es kommt irgendwie von oben“, hieß es im Stall. „Irgendwie von oben“ – ist das die Hüfte? Der Beckenbereich oder der Rücken? Chicos Fall ist typisch, wenn es um Probleme im Knie geht. Überhaupt Knie – welcher Reiter kann schon die Position dieses Gelenks zeigen?
Und diejenigen, die die Stelle etwa am Übergang des Hinterbeins zur Flanke lokalisieren können, haben nicht unbedingt vor Augen, dass mit dem Begriff Knie eigentlich mehr als nur ein einziges Gelenk und damit keine klar umrissene Problemzone bezeichnet wird.
Knieprobleme: wo liegt die Ursache?
Auf mögliche Ursachen angesprochen, sprudelt es aus Dr. Bernhard Rademacher heraus: „OCD, Knorpelschäden, Verletzungen der diversen Bänder (beispielsweise Außen-, Innen- und Kreuzbänder, Kniescheibenbänder), Meniskusprobleme, Arthrose…“
Dem Knie ist natürlich schon mehr als nur eine tiermedizinische Doktorarbeit gewidmet worden. Entsprechend viele Diagnosemöglichkeiten gibt es: Für Röntgen, Ultraschall und Szintigraphie reicht eine Sedierung, für den Blick direkt ins Gelenk, die Arthroskopie, muss das Pferd immer in Vollnarkose gelegt werden.
Hangbein- oder Stützbeinlahmheit?
Als erstes schaut sich der Tierarzt den Bewegungsablauf an: Auf ebenem, festem Untergrund wird der Patient vorgetrabt. Ist es eine Hang- oder Stützbeinlahmheit? „Gerade bei Lahmheiten, die mit dem Knie Zusammenhängen, ist es nicht zwangsläufig das eine oder das andere. Je nach Problemlage gehen die Patienten stärker unklar in dem Moment, in dem das Hinterbein vorschwingen soll, also in der Schwebe ist (Hangbeinlahmheit) oder wenn sie auffußen (Stützbeinlahmheit).“
Diagnostik Kniegelenk
Eine Beugeprobe steht am Beginn der klinischen Untersuchung. Während bei Lahmheiten der Vordergliedmaßen ungefähr 80 Prozent der Probleme vom Karpalgelenk abwärts angesiedelt sind, verteilen sich Ursachen bei Hinterhandslahmheiten gleichmäßiger. Tierärzte mit Erfahrung sind gefragt, denn ob das Pferd wegen Schmerzen im Knie oder wegen Problemen am Fesselträger lahmt, kann sich im Gangbild recht ähnlich darstellen.
Dr. Rademacher hat stets das gesamte Pferd im Blick. So achtet er auf die Symmetrie in der Kruppe oder auch auf die Vorderspitze der Hinterhufe. Ist die abgerieben, lässt das Rückschlüsse auf eine Schonhaltung zu – typisch bei Pferden mit einer Kniegelenksentzündung.
Vortraben auf weichem und hartem Boden
Bevor das Pferd in der Halle auf weichem Boden longiert wird, muss es auf einer engen Volte auf festem Untergrund getrabt sein. „Pferde mit Knieproblemen traben auf weichem Boden oftmals schlechter, ähnlich wie bei Fesselträgerentzündungen“, weiß der Experte.
„Bei bestimmten Formen der Spaterkrankung, einer anderen, häufig diagnostizierten Problematik der Hintergliedmaßen, wird die Lahmheit eher auf hartem Untergrund deutlich.“ Nach der Ausschlussdiagnostik, also dem systematischen Betäuben bestimmter Beinbereiche mit anschließendem erneuten Vortraben, wird der Problembereich eingekreist.
Bewegt sich der Patient nach einer Anästhesie des Knies deutlich besser, geht die Feindiagnostik mit unterschiedlichen bildgebenden Möglichkeiten, die die Medizintechnologie anbietet weiter.
Röntgen, Ultraschall, Szinigraphie oder Arthroskopie
Je nach Befundlage wird zunächst geröntgt, anschließend können Ultraschall und Szintigraphie weiterhelfen. Wie es aber wirklich im Gelenk aussieht, kann nur der erfahren, der direkt hineinschaut. Die Gelenkspiegelung oder Arthroskopie ist ein Routineeingriff. Trotzdem ist sie nicht ohne Risiko, der Patient muss in Vollnarkose gelegt werden.
Gesundes Knie durch gesunde Aufzucht
Schon im frühen Alter können Knieprobleme auftreten. Fohlen mit deutlich geschwollenen Kniegelenken, die in schweren Fällen kaum noch auftreten mögen, leiden häufig an Osteochondrose (OC).
Sie gehen kurz im Schritt, fußen mitunter auf der Zehenspitze auf. „Dabei ist in den meisten Fällen der äußere Rollkamm des Oberschenkels betroffen. In Extremfällen kann die Kniescheibe sogar über den beschädigten Rollkamm nach außen rutschen.“ Viel ist über diese, die sogenannten Chips verursachende Krankheit geforscht worden.
Sie kann unterschiedliche Ursachen haben – von erblichen Faktoren bis zu Traumata (Prellungen oder Verdrehungen durch Weg rutschen). Vor allem aber unsachgemäße Aufzucht lässt dieses Problem bereits in den ersten Lebensmonaten auftreten.
Gelenkmäuse: Chip im Kniegelenk
Ist erst einmal ein Chip da, lässt er sich meistens minimalinvasiv aus dem Kniegelenk entfernen. Und das muss er in vielen Fällen auch, denn die sogenannten Gelenkmäuse können Knorpelschäden an den Oberschenkelrollkämmen und an der Kniescheibe verursachen.
„Wie Sand im Getriebe“ kann so ein Chip mitten im Gelenk sein, sagt Dr. Rademacher. Egal ob Fohlen oder Reitpferd – nach einer Chip-OP, bei der das Gelenk arthroskopiert und das Ärgernis so entfernt wird, sind zwei bis drei Wochen Boxenruhe zur Wundheilung der Einstichstellen nötig.
In den folgenden sechs bis acht Wochen steht kontrollierte Bewegung auf dem Programm, in einer Box oder einem größeren Laufstall kann der Patient gehalten werden. Weidegang ist noch tabu.
Gefährliche Entzündungen im Knie
Nicht immer müssen Chips Ursache für eine akute Entzündung im Knie sein. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen septischen und aseptischen Gelenksentzündungen.
Septische Entzündung
Bei der septischen Variante ist eine Infektion der Auslöser, etwa durch das Eindringen eines Fremdkörpers, ein „Klassiker“, so bitter es klingt, ist der Stich mit einer Forke. Hier besteht Lebensgefahr, besiedeln Bakterien das Gelenk, kann es schnell zu einer dramatischen Entzündung kommen.
Das Gelenk muss gespült werden: Unter Vollnarkose werden große Flüssigkeitsmengen antibiotischer Lösungen durch das Gelenk geschleust. Mit Glück bleiben keine Schäden zurück. Mindestens acht Wochen, häufig deutlich länger, muss das Pferd danach pausieren, und danach vorsichtig antrainiert werden.
Aseptische Entzündung
Aseptische Kniegelenksentzündungen können durch ein Vertreten, ein Wegrutschen oder das Verdrehen des Gelenks entstehen. Das Pferd wird ruhig gestellt und ergänzend mit entzündungshemmenden Medikamenten versorgt. Eine Gelenkspiegelung gibt Aufschluss über das Ausmaß des Schadens.
Danach sollte das Pferd mindestens zehn Tage stehen. Während man bei Menschen recht früh damit beginnt, das Gelenk wieder zu bewegen, müssen Pferde länger geschont werden.
Der Grund: Sie müssen ihr Gewicht selbst tragen, während Menschen, die auf Krücken ihren Knieschaden ausheilen, dosiert auftreten können.
Patellaluxation – Wenn die Kniescheibe aushakt
Die Kniescheibe ist für die Kraftübertragung vom Ober- zum Unterschenkel wichtig. Sie wird durch die Kniescheibenbänder an ihrer Position gehalten. Eine besondere Rolle in diesem Ablauf kommt dem medialen Kniescheibenband zu, das gerade bei jungen Pferden über dem inneren Oberschenkelrollkamm kurzzeitig oder permanent festhaken kann.
Entweder nur für wenige Augenblicke, dann sprechen Tierärzte von einer habituellen Kniescheibenfixation nach proximal. Oder permanent, dann spricht man von einer stationären Fixation.
Die Folge: Die Kniescheibe kann sich nicht mehr bewegen, das Knie wird gestreckt, kann aber nicht mehr angewinkelt werden. Knie- und Sprunggelenk werden unbeweglich, das Pferd geht lahm.
Das Knie knackt
Beim Aushaken kann man mitunter ein knackendes Geräusch vernehmen. Laien sprechen von „festhängender“ oder „ausgerenkter“ Kniescheibe. Bei Pferden im Wachstum, die noch nicht lange unter dem Sattel gehen, kann das häufiger auftreten. Das Training sollte auf Muskelaufbau abzielen, möglichst viel geradeaus und nicht auf gebogenen Linien.
Zusätzlich können die Kniebänder „umspritzt“ werden. Künstlich wird eine Entzündung provoziert, die Medikamente sollen bewirken, dass das betroffene Band sich verkürzt. Als letzte Möglichkeit kann das Band auch durchtrennt werden. Der Eingriff dauert ca. eine halbe Stunde und kann unter örtlicher Betäubung durchgeführt werden. Mindestens 14 Tage Boxenruhe, danach sechs bis acht Wochen Schritt schließen sich an.
Der Nachteil: Die Kniescheibe wird leicht aus ihrer ursprünglichen Lage gebracht, wodurch sich in seltenen Fällen andere Probleme einstellen können.
Verlagerung der Kniescheibe
Die Verlagerung der Kniescheibe kann in unterschiedliche Richtungen geschehen. Die weitaus häufigste Form ist die oben beschriebene Verlagerung nach oben. In seltenen Fällen verlagert sie sich nach unten oder nach außen. Einige Kleinpferderassen scheinen für diese Variante anfällig zu sein.
Hier ist eine größere Operation vonnöten, bei der die Rollfurche des Oberschenkels vertieft und die Gelenkkapsel gerafft wird. Es besteht zwar Aussicht auf Erfolg, aber Optimismus ist bei dieser Diagnose fehl am Platz.
Noch ‘ne Scheibe – der Meniskus
Bei Knie denken viele zuerst an den Meniskus. Ist dieser Puffer zwischen den großen Gelenkflächen in Mitleidenschaft gezogen, lässt sich das vor allem per Ultraschall oder Arthroskopie erkennen. Auslöser sind meist äußere Einwirkungen, etwa ein plötzliches Verdrehen des Gelenkes oder aber auch Verschleißerscheinungen, z.B. durch intensive Nutzung oder einfach durch das Altern des Pferdes. Häufiger sind der innere Meniskus, bzw. seine Haltebänder betroffen.
Es bilden sich Einrisse oder Schlitze im Meniskus, die je nach Ausprägung zu einer dauerhaften Lahmheit führen können. Oft sind sie begleitet von Knorpelschäden, die zusätzlich die Prognose für eine Ausheilung verschlechtern.
Arthroskopie des Kniegelenkes
Bei einer diagnostischen und therapeutischen Arthroskopie des Kniegelenkes kann das Ausmaß der Schädigung am besten festgestellt werden und im gleichen Eingriff kann durch das möglichst schonende Entfernen und Glätten der freiliegenden Fasern die Chance auf Ausheilung verbessert werden.
Liegt eine größere Verletzung der Kreuzbänder vor, muss man sich in den meisten Fällen auf eine chronische Lahmheit des Pferdes einstellen. Nur bei leichtem Schaden besteht eine realistische Hoffnung auf eine dauerbelastbare Lahmfreiheit des Patienten.
Durch die enormen Kräfte, die am Knie des Pferdes ansetzen, ist eine Kreuzbandplastik, wie sie beim Menschen und zum Beispiel auch beim Hund erfolgreich eingesetzt wird, beim Pferd nicht realistisch durchführbar.
Knorpelschäden im Knie
Viel Gelenkoberfläche gleich viel Knorpelstrukturen, und damit auch viel Platz für Probleme. Eine vielleicht einfache, aber nicht ganz falsche Gleichung. Verletzter Knorpel wird je nach Grad der Schädigung in vier Kategorien unterteilt
Knorpelschäden Grad I und II
Grad I und II bezeichnen oberflächliche Schäden, der Knorpel ist weich, die Oberfläche wellig. Hier ist keine Operation notwendig. Ins Gelenk wird Hyaluronsäure gespritzt, häufig in Verbindung mit Glucocorticoiden. Immer häufiger kommt auch die „irap-Therapie“ zum Einsatz. Dabei wird aus dem Blut des Pferdes ein entzündungshemmendes Serum gewonnen, das dann ins Gelenk gespritzt wird. Bei leichten Knorpelschäden hat sich diese Behandlungsmethode in der Pferdeorthopädie etabliert.
Einen anderen Ansatz verfolgt die PRP-Therapie, bei der aus dem Blut des Patienten ein Plasma hergestellt wird, das mit Thrombozyten (Blutplättchen, die bei der Blutgerinnung eine Rolle spielen) und mit bestimmten Wachstumsfaktoren angereichert wird.
Des Weiteren gibt es noch die Möglichkeit, mit adulten (ausgewachsenen) Stammzellen einen Heilungsprozess in Gang zu setzen oder zu unterstützen. Hierfür werden aus dem Knochenmark oder aus dem Fettgewebe des Pferdes Stammzellen entnommen und nach Vermehrung zusammen mit körpereigenem angereicherten Plasma direkt in ein Gelenk oder in eine andere beschädigte Struktur (z.B. Fesselträger und Sehnen) verabreicht.
Knorpelschäden Grad III und IV
Bei Schädigungsgrad III, wenn tiefere Knorpelschichten verletzt worden sind oder bei der sogenannten „Knorpelglatze“, wenn der Knorpel nicht mehr existent ist (Grad IV), wird der Tierarzt zum Feinmechaniker: Mit feinsten Fräsen, sogenannten Shavern, wird die obere Knorpelschicht abgetragen. Eine glatte Oberfläche, quasi „Reparaturknorpel“, entsteht.
Zur Unterstützung kann man mit kleinen Meißeln drei Millimeter tiefe Löcher in freiliegende Knochen in regelmäßigen Abständen einschlagen („Mikrofrakturierung“). Es entstehen zunächst Blutgerinnsel, die darin enthaltenen Stammzellen sollen den neuen Knorpel bilden, der allerdings nie die Festigkeit des ursprünglichen hat.
Das gleiche Ziel verfolgt das Einbohren von Knorpel-Rekonstruktions-Pins aus Kohlenstoff in den freiliegenden Knochen. Bei Menschen werden beide Methoden erfolgreich angewandt. „Aber,“ schränkt der Praktiker aufkeimende Euphorie ob der neuen Methoden aus der Humanmedizin ein, „wir dürfen nicht vergessen, dass wir bei einem Menschen schon von Erfolg sprechen, wenn er unter Schmerzen wieder langsam eine Treppe hinunter gehen kann.
Der Mensch begnügt sich mit Schmerzreduktion, ein Pferd wäre dann immer noch nicht gebrauchsfähig. „Man muss sich nichts vormachen, die Heilungsaussichten bei Schädigungsgrad III und IV sind nicht besonders hoch.“
Arthrose im Knie?
Was aber, wenn der Sportpartner zwar nicht mehr gut zu Fuß ist, aber doch noch vital und zufrieden in seiner Box steht? Arthrotische Veränderungen, ausgelöst durch eine Gonitis, eine chronische Kniegelenksentzündung, müssen kein Todesurteil sein. Auch hier kann man wie bei den Knorpelproblemen Vorgehen und intraartikuläre (ins Gelenk) Injektionen vom Tierarzt durchführen lassen.
Außerdem hat die Praxis vieler Pferdehalter ergeben, dass unterstützende Futtermittel mit Inhaltsstoffen wie beispielsweise Glucosaminoglykane, Ingwer, Teufelskralle oder Gelatine helfen können.
Zwar stehen immer noch wissenschaftliche Studien aus, die die Wirkung dieser Präparate belegen. Dennoch will Dr. Rademacher den positiven Einfluss nicht in Abrede stellen. Neben der Ernährung ist die Haltung ein wichtiger Faktor. Ausreichend Bewegung, selbst wenn das Pferd nach längerer Boxenruhe vielleicht anfangs noch nicht so recht möchte, können den Patienten buchstäblich wieder auf die Beine bringen.
© Texte St.GEORG men’s new jordans release dates | michael kors outlet store woodbury commons
0 Kommentare
Schreibe einen Kommentar