So sehen beim Pferd Stress-Symptome und Schmerzen aus

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Dieses Pferd sperrt sein Maul weit auf. Macht es das häufiger und länger, ist es ein Stress Symptom. Es gibt aber noch viele weitere Anhaltspunkte, die auf Stress und Schmerzen beim Pferd hinweisen. (© www.slawik.com)

Ob ein Pferd Stress Symptome zeigt, ist nicht für jeden so leicht zu erkennen. Verhaltensforscher und Tierärzte haben mehrere konkrete Merkmale aufgestellt, die auf Stress oder Schmerzen hinweisen.

Ein offenes Maul oder häufiges Schweifschlagen sind beim Pferd Stress Symptome, die viele kennen. Aber das ist bei weitem noch nicht alles. Manchmal zeigen Pferde ihre Schmerzen oder ihren Stress viel subtiler. Der Satz „Pferde leiden stumm“ begegnet einem sehr oft, wenn man sich mit dem Wohlergehen von Pferden beschäftigt. Um Schmerzen rechtzeitig zu erkennen und bei gesundheitlichen Problemen eine Therapie einzuleiten, greift man in der Medizin gerne zur sogenannten Horse Grimace Scale, also die Skala der Pferdemimik. Die Skala war 2014 das Ergebnis des EU-Forschungsprojekts „Animal Welfare Indicators“.

Die „Horse Grimace Scale“

Im Rahmen von Kastrationen wurden Schmerzanzeichen dokumentiert und darauf aufbauend sechs verschiedene Gesichtsausdrücke festgelegt, die im Rahmen einer Schmerzbeurteilung wichtig sind: nach hinten angelegte Ohren, Muskelanspannung oberhalb der Augen, zeitweises Schließen der Augen, angespannte, hervortretende Kaumuskulatur, angespannte Nüstern mit abgeflachtem Nasenprofil, angespannte Maulpartie mit hervortretendem Kinn. Für jeden Gesichtsausdruck gibt es drei verschiedene Bewertungsmöglichkeiten mit Punktevergaben von null (zeigt das Pferd nicht), eins (zeigt das Pferd leicht) und drei (zeigt das Pferd stark). Je mehr Punkte nach der Bewertung auf dem Konto eines Pferdes stehen, umso mehr Schmerzen hat es.   

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Typisches Schmerzgesicht eines Pferdes mit Hufrehe. (© www.slawik.com)

Nicht immer lassen sich mit der Horse Grimace Scale (HGS) Schmerzen eindeutig erkennen, das zeigen verschiedene Studien. Bei orthopädischen Schmerzen etwa kommt die Skala an die Grenzen. Leichte Lahmheiten und die daraus resultierenden Schmerzen lassen sich mit der HGS nicht aufdecken, schlussfolgern australische Wissenschaftler in ihrer Studie „Poor Association between Facial Expression and Mild Lameness in Thoroughbred Trot-Up Examinations“, die im Mai 2023 veröffentlicht wurde. Ein Forscher-Team aus Australien, Japan, Brasilien und Großbritannien kommt ebenfalls im Jahr 2023 zu dem Schluss, dass mit der Horse Grimace Scale Schmerzen, die Pferde durch Magengeschwüre haben, nicht erkannt werden können.  

Wie zeigt sich Stress beim Pferd?

Dr. Margit Zeitler-Feicht hat sich spezialisiert auf Pferdeverhalten und tiergerechte Pferdehaltung und kennt beim Pferd die Stress Symptome. Typisch für ein entspanntes Pferd sind ihrer Meinung nach: nach vorne orientierte Ohren, Ohrenspiel, überwiegend entspannte Gesichtsmuskulatur, geschlossenes Maul mit entspannten Lippen, aufmerksame Augen und entspannte Muskulatur um die Augen herum. Stress durch Angst oder Schmerzen ist erkennbar an Verhaltensauffälligkeiten, Ausweich-, Abwehr- oder Unterlegenheitsverhalten, erklärt die Expertin. „Steif, rückwärts gerichtete Ohren sind mittlerweile ein eindeutig nachgewiesener valider Indikator für Schmerzen. Sind die Ohren seitlich gelegt, mit nach hinten unten weisenden Ohrmuscheln, dann ist das ein eindeutiger Hinweis auf Angst und Unterlegenheit“, erklärte die Verhaltensexpertin auf dem Tierschutztag der FN Ende November 2023.

Viel Ohrenspiel – beim Pferd Stress Symptom

„Beim Pferd, das sich unter dem Reiter wohlfühlt, wollen wir, dass es dabei ist, dass es mitmacht, dass es sich akustisch orientiert, aufmerksam ist, die Ohrenstellung überwiegend nach vorne gerichtet ist und ein Ohrenspiel im moderaten Maß stattfindet. Übermäßiges Ohrenspiel ist auch wieder ein Indikator für Stress, kein Ohrenspiel ist immer ein Hinweis auf große Angst und Schmerzen. In der Praxis hört man immer wieder: Ja, wir haben kein Ohrenspiel, weil sie sich gerade bei höheren Dressurlektionen so unglaublich konzentrieren müssen. Es ist richtig, sie müssen sich stark konzentrieren. Aber dass kein Ohrenspiel ein Nachweis ist für hohe Konzentration, hat bis jetzt noch keine einzige wissenschaftliche Studie beweisen können. Was wir nachgewiesen haben ist, dass Ohren, die starr sind und ohne Unterlass nach hinten zeigen, ein eindeutiger Indikator für Stress sind.“

Ein bekanntes Stress Symptom beim Pferd: häufiges Schweifschlagen

Auch die Schweifhaltung lässt Rückschlüsse auf das Wohlbefinden zu und wird von vielen beim Pferd als Stress Symptom beachtet. „Häufiges Schweifschlagen unter dem Reiter ist ein eindeutiger Indikator gegen die reiterliche Einwirkung. Ursache sind Schmerzen, Angst oder Überforderung. Ein eng angelegter, gelegentlich eingeklemmter Schweif ist ein eindeutiger Hinweis, dass dieses Pferd in dem Moment wirklich massiv Angst hat.“ Ein unter dem Reiter entspanntes Pferd trägt seinen Schweif hingegen frei, er pendelt harmonisch und schlägt nur hin und wieder. 

Schmerz und Stress Symptome des Pferdes unter dem Reiter

Die britische Tierärztin und Verhaltensforscherin Dr. Sue Dyson hat sich damit beschäftigt, wie man Schmerzen beim Pferd zuverlässig und objektiv erkennen kann. Sie berücksichtigt ebenfalls nicht nur die Mimik, sondern den gesamten Pferdekörper. Im „The ridden horse pain ethogram“ definiert sie 24 Punkte, die auf Schmerzen hinweisen. Manche Verhaltensweisen können andere Ursachen als Schmerz haben, aber wenn man mehr als acht Punkte erkennt, weist das auf Schmerzen hin. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht: keine Schmerzen, weil das Pferd nicht mindestens acht Punkte des Ethogramms zeigt. Dr. Sue Dyson weist darauf hin, dass es schon vorkam, dass sogar lahme Pferde weniger als acht Punkte zeigten. Dennoch liefert diese Skala gute Anhaltspunkte.

24 Punkte Checkliste für Schmerzverhalten unter dem Reiter

Pferde sollten nach einer Aufwärmphase von zehn Minuten in der Lage sein, ihr Bewegungsrepertoire auszuschöpfen. Wenn man ein Pferd mit diesem Ethogramm bewerten möchte, muss man es von der Seite, von vorne und von hinten beobachten.

Für jedes einzelne Verhalten kann es viele Gründe geben. Ein Gesamtwert des Schmerzethogramms für gerittene Pferde von 8 oder mehr deutet jedoch auf das Vorhandensein von Schmerzen des Bewegungsapparats hin. Einige lahmende Pferde können einen Wert von weniger als 8 haben.

Diese Auffälligkeiten im Kopfbereich zählen beim Pferd als Stress Symptome oder Schmerzen

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Geschlossene Augen sind typisch bei Müdigkeit. Zusammen mit anderen Punkten dieser Checkliste, können sie aber auf Stress oder Schmerzen hinweisen. (© www.slawik.com)

1. Ohren hinter der Vertikalen für fünf Sekunden und länger

2. Augen halb oder ganz geschlossen für zwei bis fünf Sekunden

3. Das Weiß im Auge st zu sehen. (Hinweis: Bei manchen Pferden (blaue Augen oder kleine Iris) erscheint immer das Weiße in den Augen. Dieser Punkt kann bei ihnen nicht gewertet werden. )

4. Ausdrucksloser Blick oder intensives Starren für mehr als fünf Sekunden

5. Maul offen (Zähne auseinander), ständiges Maul öffnen bzw. schließen (mind. zehn Sekunden)

6. heraushängende Zunge oder mehrfaches Herausstrecken der Zunge

7. Gebiss schaut auf einer Seite weiter aus dem Maul (ohne Reitereinwirkung) (Hinweis:Dieser Punkt kann nicht gewertet werden, wenn das Gebiss zu breit fürs Pferdemaul ist.)

Pferd zeigt körperliche Stress Symptome:

8. Kopf auf- und abschlagen (nicht im Rhythmus der Gangart)

9. schräg gehaltener Kopf (mehrfach, ohne Einwirkung)

10. Kopf über Senkrechte (über 30 Grad) 10 Sekunden/länger

11. Kopf hinter der Senkrechten (mehr als 10 Grad) für 10 Sek./länger (ohne Einwirkung)

12. Kopf seitlich hin- und herschlenkern

13. Schweif klemmig oder schief getragen

14. häufiges Schweifschlagen

Pferd zeigt Stress Symptome und Schmerzen in der Bewegung:

15. übereiltes Tempo im Trab (mehr als 40 Tritte in 15 Sekunden) oder irregulärer Rhythmus im Trab und Galopp mit mehrmaligen Tempiwechseln

16. Zu langsames Tempo (Trab weniger als 35 Tritte in 15 Sekunden), passageartig

17. Hinterhand spurt nicht in Vorderhufe (läuft auf drei Hufschlägen)

18. Galoppprobleme: falsches Anspringen, umspringen, Kreuzgalopp

19. spontaner Gangartenwechsel, zum Beispiel Ausfallen vom Galopp in den Trab

20. Hinterhand spurt nicht in Vorderhufe schleifen lassen oder häufiges Stolpern (Hinweis: Wenn das Pferd auf einem Boden trainiert wird, in dem es tief einsinkt, oder auf Gras, kann man diesen Punkt schlecht bewerten.)

21. plötzliches Abwenden oder scheuen

22.Widersetzlichkeit (stoppt, weigert sich weiterzugehen, deutliches Treiben nötig)

23. Steigen

24. Buckeln

Original-Checkliste und Poster

Dr. Sue Dyson bietet ihr Ethogramm auch als mobile Version fürs Handy sowie zum digitalen Download an. Auch ein Poster hat sie dazu gemacht. Alle 24 Punkte werden mit Grafiken anschaulich erklärt, sodass man vor Ort beim Beobachten des Pferdes immer den passenden „Spickzettel“ dabei hat. Wer unsicher bei der Bewertung ist: Auf ihrer Website zeigt ein Film, auf welches Verhalten man achten muss. Dort findet man die Checkliste auch als Download sowie weitere Informationen dazu:  24horsebehaviors.org

 

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Kerstin WackermannRedakteurin

Die Redakteurin hinter den großen Ratgeberthemen. Expertin für Pferdemedizin, von Atemweg bis Zysten. Gut vernetzt mit Tierärztinnen und Tierärzten, Universitäten, Hochschulen, Experten und Sachverständigen ist sie die Fachjournalistin, die sich auch seit mehr als 20 Jahren beim St.GEORG mit Pferdehaltungsthemen intensiv auseinandergesetzt und dazu recherchiert hat.

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