Pferdeerziehung mit Feingefühl – Grenzen setzen, Vertrauen schaffen

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Ist das noch freundschaftlich gemeint oder schon ein dominantes Verhalten des Pferdes? Sein Pferd lesen zu lernen, ist für jeden Reiter wichtig. (© Slawik)

Das Ziel im Umgang ist Respekt, keine Unterwerfung oder gar Angst des Pferdes. Wie muss ich als Mensch dem Pferd gegenüber auftreten, damit es gehorcht, aber trotzdem seine Persönlichkeit zum Ausdruck bringen kann? Unsere Experten sind sich da grundsätzlich einig.

Es sind die kleinen Dinge, die zählen: Etwas „Geknubbel“ an der Jacke oder Schubbern, wenn die Trense nach dem Reiten juckt, oder auch der wortwörtliche Schritt weiter, den das Pferd geht, wenn man selbst stehen bleibt. Viele alltägliche Situationen können, so sie nicht vom Menschen reflektiert und richtig eingeordnet werden, peu à peu immer mehr Probleme im Miteinander von Mensch und Pferd bereiten. Gerade in der Pferdeerziehung zeigt sich, wie wichtig es ist, solche Kleinigkeiten wahrzunehmen und richtig zu deuten. Viele Pferdebesitzer machen sich darum entweder wenig Gedanken oder ordnen solche Situationen falsch ein. Das ist die Beobachtung von Tierarzt und Working Equitation­ Trainer Stefan Schneider.

Der Lebensgefährte von Uta Gräf arbeitet jedes seiner Pferde intensiv vom Boden aus und hat damit auch schon so manches Problem unter dem Sattel lösen können. Wo muss man denn die Grenze ziehen im Umgang mit dem Pferd? Dazu sagt Stefan Schneider: „Das steht und fällt mit dem Pferd, das Pferd entscheidet, wie ich mit ihm umgehe. Es gibt Pferde, die nutzen das aus, gefühlt jede Sekunde. Anderen muss man die Grenzen nur einmal erklären.“ Bodenarbeits­Expertin Bernadette Brune zieht die Grenze auch räumlich: „Ich nenne als große Überschrift die ‚Ein­ Arm­Distanz‘.“ Immer funktionieren muss die Schulterkontrolle. Das Pferd soll den Körper des Menschen nicht ungefragt mit dem Maul o. Ä. berühren. Gesetzmäßigkeiten für das „perfekte“ Zusammenspiel zu beschreiben, ist aber nur schwer möglich. Pferde sind nun mal unterschiedlich. Grob kann man diese laut den Experten in drei Typen einteilen, um ihre individuellen Bedürfnisse und Herausforderungen in der Pferdeerziehung besser zu verstehen.

Pferdetyp erkennen: Neugierig und unbedarft?

Ist das Pferd von Hause aus eher neugierig und unbedarft, wird es eher mal seine Grenzen austesten. Das Maul geht Richtung Körper, wenn man beim Führen stehenbleibt, überholt das Pferd etc. sind Anzeichen dafür, dass das Pferd ein dominanter Typ ist. „Ich glaube, diese Pferde sind oft unsicher. Deshalb lassen sie dann eher mal den Macker raus­ hängen“, sagt Brune.

Neben dem Arbeiten an den Grundsätzen sind für Stefan Schneider bei diesen Pferden Rituale von großer Bedeutung. Beispielsweise das Pferd bewusst vor jeder Arbeit, ob im Roundpen oder im Sattel, warm führen und dabei die Schulterkontrolle abfragen. „Wenn ich solche Rituale bei Pferden nicht befolge, wer­ den sie konfus. Durch gute Erziehung kommen Pferde selbst innerlich besser zur Ruhe.“

Pferdeerziehung: Präzise und konsequente Körpersprache

Sorge

Das Turnier fordert Manieren unter Extrembedingungen. Was Zuhause noch nicht klappt, wird in fremder Umgebung erst recht scheitern. (© Sorge)

Und in der Körpersprache muss man ganz besonders präzise und konsequent sein. Diese Pferde werden Sie als Leitperson tendenziell öfter in Frage stellen. Bernadette Brune versucht sich daher ganz das Zusammenleben von Wildpferden zum Vorbild zu nehmen. „Da die Pferde mich nicht ungefragt berühren sollen, versuche auch ich die Pferde nicht anzufassen. Ich versuche mit einem zischenden Geräusch einen ‚Hallo wach!‘­Moment zu erzeugen, wenn ich das Pferd meiner Schulter weichen lassen will. Oder ich binde Plastik an eine Gerte und nutze diese als Geräusch.

Wenn ein Pferd mich angreift, dann balle ich meine Faust als Huf und antworte umgehend mit einem dumpfen Schlag. Danach bewahre ich sofort Ruhe und versuche das Pferd zu ignorieren. Dabei kann man auch quietschen, was Pferde untereinander ja auch häufig machen. Meine Faust als Huf nutze ich aber nur in extremen Situationen. Und diese kann ich meist vermeiden, da ich mir am Boden schon vorher Respekt verschafft habe.“

Regeln zum respektvollen Umgang: Vertrauen aufbauen

Bei Härtefällen verschafft sich Stefan Schneider schon in der Box Respekt, bevor es in Richtung Roundpen o. Ä. geht. Leichtes Vor­ und Zurückweichen des Pferdes auf die Signale von ihm reicht aus, um erste Fronten zu klären. „Ich zeige zunächst die ‚aktive Schulter‘. Ich stehe dem Pferd gegenüber und sage mit meinem Körper, ‚Weiche rückwärts!‘. Wenn ich sagen will ‚Folge mir!‘, drehe ich mich weg und zeige ihm die passive Schulter.“ Dieses klare Körpersprache-Konzept ist ein wichtiger Bestandteil seiner Pferdeerziehung.

Die Pferde, denen man die Regeln zum respektvollen Umgang nur wenige Male, vielleicht sogar nur ein einziges Mal erklären muss, sind meist schüchterner. Hier ist das Thema Vertrauen besonders wichtig, dieses Ziel stellt Stefan Schneider dann auch schon mal vor das Ziel Respekt, wenn es zum Beispiel um die Bewegung des Pferdemauls in Richtung des eigenen Körpers geht. Das Pferd soll in erster Linie lernen, sich in der Zusammenarbeit mit dem Menschen wohlzufühlen. Bernadette Brune erklärt: „Solche Pferde sind häufig nervöser und ängstlicher. Sie sind anfangs am schwierigsten, aber super, wenn sie einmal Vertrauen gefasst haben.“

Bernadette Brune hat zudem schon Bekanntschaft gemacht mit Pferden, die irgendwie büffelig und lustlos daherkommen. „Stumpfe Pferde, die gar nicht reagieren, sind sehr schwierig. Das ist auch eine Form von Dominanz. Das sind auch Pferde, bei denen mal was passieren kann. Sie sind häufig introvertiert und können ‚explodieren‘. Aber wenn man diese Pferde einmal geknackt hat, werden auch sie wacher“, so Brune. Bei allen Pferden ist das richtige Timing von „Hallo wach“­Momenten, Gehorsam fordern und Pause bzw. Lob essenziell, um die Beziehung zu stärken. Schneider bringt es auf den Punkt: „Ich will Pferde haben, die aus den Augen leuchten, aber trotzdem mich im Blick haben.“

Früchte der Arbeit ernten: Pferdeerziehung

Toffi

Schulterkontrolle bedeutet auch einen sicheren Handlungsrahmen für das Pferd. (© Toffi)

Mit all ihren Pferden absolviert Bernadette Brune ein abwechslungsreiches Programm. Ihr Nachwuchsdressurpferd Despacita BB sah drei- und vierjährig noch kein Turnier. Warum? Weil das Vertrauen noch nicht groß genug war. Brune beschäftigte sich viel mit der Stute vom Boden aus, gewann ihr Vertrauen. Auch dadurch, dass sie sich nicht nur zwischen Stallgasse und Halle hin- und herbewegte, sondern vor allem durch Spaziergänge in ungewohntem Terrain.

„Der Reiter muss sich Zeit nehmen, auch mal was anderes mit seinem Pferd zu machen als das übliche Programm.“ Hat das Pferd in solchen Situationen dann Angst, ging Brune so vor: „Wenn Angst: Anhalten, warten bis das Pferd durchatmet, Neugier abwarten. Es ist die Bodenarbeit, aber auch die Ausbildung vom Reiter, die das Vertrauen des Pferdes stärken“, erklärt Brune. Das erste Turnier lief für Despacita BB dann unaufgeregt, ruhig, wie selbstverständlich und mit positiver Konnotation.

Pferdeerziehung: Wann Hilfe holen?

Immer wieder gibt es Fälle, bei denen das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Wo die falsche Kommunikation und Rollenverteilung schon so gefestigt ist, dass man das alleine nicht mehr auflösen kann. Dann sollte man sich fachkundige Hilfe holen. „Das Pferd ist dein Spiegel, wenn es deinen Körper plötzlich nicht respektiert, stimmt etwas nicht. Hier muss man wieder ein paar Schritte zurück machen, wieder Rückwärts und Vorwärts an der Hand abfragen und im Roundpen arbeiten. Kann man sich selbst keinen Respekt mehr verschaffen und das Pferd kommt einem wieder zu nah oder entwickelt sogar vorher nie dagewesene Unarten, sollte jemand von außen draufgucken“, so Schneider.

Es gibt auch das andere Extrem, erklärt er: „Man kann es auch übertreiben mit der Bodenarbeit. Für mich ist sie ein Werkzeug zum Umgang mit dem Pferd und eine Vorstufe der Reiterei. Ich will ein feines Reitpferd haben, ist es vom Boden aus gut zu dirigieren, lässt sich diese Leichtigkeit auch im Sattel leichter erzeugen.“ Schneider unterstreicht damit, dass die Balance zwischen Respekt, Vertrauen und Zielorientierung in der Pferdeerziehung entscheidend ist – unabhängig von der Methode.

Das 1-Mann-Pferd

St.GEORG

Stefan Schneider bei der Langzügelarbeit.

Stefan Schneiders Liebling im Stall ist ein Lusitano-Hengst, mit dem er auf höchstem Niveau Working Equitation reitet und die Abstimmung auch am Langzügel perfektioniert hat. Dafür braucht es ein Mitdenken vom Pferd, und das fällt dem eifrigen und selbstbewussten Hengst in den Schoß. Während die Kommunikation durch Körpersprache bei dem Lusitano und Stefan Schneider heute problemlos funktioniert, die beiden kennen sich schon seit zehn Jahren, haben die Bereiter auf Gut Rothenkircherhof schon mal ihre liebe Mühe mit dem Hengst.

„Je weiter das Pferd ausgebildet ist, desto feiner ist die Abstimmung“, beschreibt Schneider die Fehleranfälligkeit in der Pferdeerziehung. „Wird er von Fremden geführt, überholt er die meistens schon auf dem Weg zum Roundpen. Er spielt mit denen, fragt nach, fängt an an der Jacke zu ‚kabbeln‘ und verschiebt so immer weiter die Grenzen. Er ist dominant, aber mit konsequenter Körpersprache und richtigem Timing lässt er sich schnell und gut überzeugen. Es ist okay, dass er nachfragt, denn das ist seine Persönlichkeit, die muss ich ihm lassen. Unsere Bereiter schule ich entsprechend für den Umgang mit ihm.“ Trotzdem gilt auch für den Working Equitation-Experten: „Wenn ich länger nichts mit dem Hengst gemacht habe, gehe ich mit ihm auch in den Roundpen, um unsere Rangordnung erstmal wieder zu überprüfen.“

TIPPS: 4 Grundsätze für eine bessere Beziehung

Körper respektieren: Das Pferd darf einem nicht ohne Aufforderung nah kommen! Übungen wie das Rückwärtsrichten an der Hand helfen, sich Respekt zu verschaffen.

Vertrauen schaffen: Klare Regeln und Rituale erzeugen Vertrauen, ohne das Pferd dafür unterwerfen zu müssen. Konzept haben und diesem selbstsicher folgen.

Positive Motivation: Loben durch Pause, ggf. auch Streicheln oder Klopfen am Hals, bei schüchternen Pferden für Stefan Schneider auch mit Leckerli. Gemeinsames Entdecken neuer Herausforderungen.

No-Go: Emotional werden! Im Umgang mit dem Pferd immer sachlich bleiben. Klare Stimme, nicht weinerlich oder anfangen zu schreien, wenn etwas nicht klappt.

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