Guter Reitunterricht? An der Basis braucht es dafür eine gute Mischung aus Spaß, Disziplin und Eigenverantwortung. Bei Erwachsenen ist vor allem Geduld gefragt.
Wenn Kinder und Jugendliche die Grundlagen des Reitens gelernt und verinnerlicht haben, in Schritt, Trab und Galopp auf ihr Pferd einwirken können, ist es wichtig, sie weiter optimal zu begleiten – mit Unterricht aus spielerischen und altersgerechten Elementen. Der Bedarf ist hoch, Wartelisten in vielen Reitschulen sehr lang. „Das Hobby Reiten boomt – Gott sei Dank“, sagt Pferdewirtschaftsmeisterin Ische Stoltenberg. Die 47-Jährige führt eine Reitschule in dritter Generation in dem elterlichen Betrieb in Schleswig-Holstein. Sie steht täglich in der Reitbahn und gibt Wochenend- und Ferienlehrgänge. Auf fünf Schulpferden oder den eigenen Pferden lernen ihre Schülerinnen und Schüler. „Mir ist es total wichtig, Kinder und Jugendliche zu fördern! Und mir ist es wichtig, dass wir Spaß haben“, betont Ische Stoltenberg und berichtet, sie habe grundsätzlich gute Erfahrungen mit Gruppenunterricht gemacht „Das Unterrichten in der Gruppe klappt bei uns am besten. Die Kinder haben Freude zusammen und sie helfen einander.“
Ische Stoltenberg Pferdewirtschaftsmeisterin Reiten, arbeitet im Familienbetrieb, der Reitschule Stoltenberg, in Schwentinental in der Nähe von Kiel. Hauptaufgabe ist das Unterrichten von Anfängern, der Basis und Fortgeschrittenen. reitschule-stoltenberg.de |
Die Voraussetzungen, die die Kinder mitbringen, haben sich im Vergleich zu früher verändert. Viele kommen nicht mehr aus Familien, die natur- und tierverbunden sind, die Kinder sind länger in der Schule und haben auch andere Hobbys. „Viele unserer Schülerinnen und Schüler kommen nur einmal die Woche zum Unterricht. Einige kommen häufiger und einige wenige haben ihr eigenes Pferd. Auf diese unterschiedlichen Voraussetzungen muss ich gezielt eingehen und mich darauf einstellen“, so die Ausbilderin. „Aber es ist oft erstaunlich, wie gut auch die Kinder reiten, die nur einmal die Woche kommen. Kinder lernen einfach wahnsinnig schnell, wenn sie wirklich Lust haben und man das richtige Konzept hat. Bei allen gehört aber auf jeden Fall das Vorbereiten und Versorgen der Ponys und Pferde dazu. Im Sommer holen wir gemeinsam die Ponys von der Weide und putzen und satteln unter Aufsicht.“
Anschließend geht es zum Unterrichten in die Reithalle oder auf den Außenplatz. Geritten wird in der Abteilung und durcheinander. Die Kinder einer Gruppe sind auf unterschiedlichem Ausbildungsniveau. „Ich nehme schwächere und stärkere Kinder in eine Gruppe. Die Stärkeren können die Schwächeren mitziehen und bestärken, wenn jemand unsicher ist oder Angst hat. Die Stärkeren lasse ich immer mal wieder etwas vorreiten. Das hilft den Schwächeren ungemein. Über die Visualisierung lernen die Kinder sehr schnell und einfacher, als wenn ich es nur erklären würde. Und der positive Nebeneffekt ist: Die Kinder, die vorreiten dürfen, kann ich mit dieser Aufgabe enorm abholen. Sie werden gestärkt und sind stolz. Da geht meistens ein Strahlen über das Gesicht und sie sitzen noch mal gerader auf dem Pferd und halten mehr Körperspannung. Bei Bedarf nehme ich gerne Kinder, bei denen ich weiß, dass vielleicht gerade etwas zu Hause oder in der Schule nicht so gut läuft.“
Was Reitunterricht umfasst: mehr als nur reiten
Ische Stoltenberg achtet auch darauf, dass die Kinder nicht immer dieselben Ponys oder Pferde reiten, es wird getauscht, um zu lernen sich auf unterschiedliche Bewegungsabläufe und Charaktere einstellen zu können. Sie sollen merken, dass Reiten nicht gleich Reiten ist. „Die Kinder sollen auch von Anfang an die Basics verinnerlichen, Abstand halten, rechts herum führen, aufmarschieren mit Zwischenraum usw., allein auf- und absteigen. Und sie sollen lernen, auf Dinge zu achten, wenn beispielsweise ein Zügel eingerissen ist. Ich möchte, dass sie selbst mitdenken. Das Gruppengefühl stärke ich gern, indem die Kinder mir sagen sollen, wer an dem Tag fehlt, wie die Mitreiter und Ponys heißen.“
Beispiel von Reitunterricht für die Basis
Im Reitstall Stoltenberg marschieren die Kinder der Reitstundengruppe, nachdem sie ihre Ponys und Pferde selbstständig fertiggemacht haben, ordentlich auf der Mittellinie auf. Die Ausbilderin unterstützt beim Ausbinder einschnallen und Steigbügel einstellen, danach wird auf einer Hand durcheinander Schritt geritten. Wenn alle aufgewärmt sind, lässt Ische Stoltenberg ihre Reitschüler nach dem Nachgurten Schenkelweichen reiten. In Richtung der Bande, mit der Bande als Hilfe. „Die Kinder sollen nicht ins Ziehen kommen, ich möchte eine weiche, federnde Hand lehren. Sie sollen ein Gefühl für die Geradeaus- und Seitwärts-Bewegung bekommen. Wir üben auch Vorhandwendungen, damit die Kinder lernen, welches Bein wann abfußt. Wir sprechen jede Stunde darüber, was Anlehnung ist und über halbe und ganze Paraden. Beim Halten ist mir wichtig, dass das Pferd geschlossen steht und die Kinder lernen zu spüren, wenn es offen steht.“ Bei allen Erläuterungen versucht Ische Stoltenberg auch Bilder zu benutzen, wie „eine Krone tragen“ für einen aufrechten Sitz.
„Wenn wir das Leichttraben auf dem richtigen Fuß üben, lasse ich die schwächeren Reiter aufmarschieren und eine reitet vor. Die Vorreiterin überlegt sich selbst, ob sie auf dem richtigen oder falschen Fuß leichttrabt und der Rest muss sagen, was es ist. Dasselbe machen wir im Galopp mit Hand-, Außen-und Kreuzgalopp. Auch das Umsitzen lasse ich vorreiten. Über die Visualisierung klappt das am schnellsten.“
Leichter Sitz für mehr Balance
Nach der Trabarbeit kommt die Galopparbeit in kleinen Gruppen mit zwei bis drei Reiterinnen und Reitern. Wer nicht galoppiert, reitet Schritt. Galoppiert wird dann einzeln und auch hintereinander auf dem Zirkel und ganze Bahn. Auch im leichten Sitz. „Der leichte Sitz ist im Halten schwer zu vermitteln (wie das Leichttraben im Schritt auch), ich erkläre das den Kindern und lasse sie es dann in der Bewegung ausprobieren. Im leichten Sitz lernen sie vor allem das Mitfedern und sich auszubalancieren. Wir reiten auch immer wieder ohne Steigbügel, im Trab im Aussitzen und auch im Leichttraben und im Galopp. Den Kindern macht das unheimlich viel Spaß. Und vor allem mit Kindern ohne Körperspannung kann man so super arbeiten. Sie lernen im Pferd zu sitzen, sich auszubalancieren und aufgerichtet zu sitzen.“
Nach dem Galopp auf beiden Händen werden in der Abteilung die Bahnfiguren geübt: aus dem Zirkel wechseln, Schlangenlinien, durch die Länge der Bahn reiten. Und es wird auch das Einzelreiten geübt, das Lösen von der Gruppe, sodass die Kinder ihre Pferde kontrollieren müssen. Zum Schluss lassen die Kinder die Zügel aus der Hand kauen (im Winter etwas vorsichtiger, falls die Ponys zu viel Energie haben). „Beim Trockenreiten dürfen meine Kinder dann gerne zu zweit nebeneinander reiten und sich austauschen“, erzählt Ische Stoltenberg. „Und gerade nach der Corona-Zeit sollten sie dann zum Abschluss ihr Pony nochmal umarmen. Da hat man richtig gemerkt, wie sehr den Kindern das gefehlt hat – und den Ponys auch.“
Motivierend: Abzeichen
Die Ferien und oder auch die Wochenenden sind eine gute Gelegenheit für intensivere Einheiten oder Lehrgänge, bei denen am Ende eine Prüfung zum Reitpass oder Pferdeführerschein stehen kann. „Den Pferdeführerschein bieten wir auch Eltern an, damit sie auch wissen, worum es geht und worauf es ankommt. Das wird sehr gut angenommen. Man soll Respekt haben vor Pferden, aber sie sollen keine Angst machen. In den Ferien haben wir dann auch mal Zeit für kleinere Ausritte. Wir reiten gerne zu einem Turnierplatz im Dorf. Da müssen wir über eine Straße und dort können die Kinder auf einer Galoppbahn reiten. Wir stoppen dann die Zeit. Wer schafft es, genau bei einer Minute durchs Ziel zu reiten zum Beispiel mit bergauf und bergab und einer Stange am Boden. Der Gewinner gibt ein Eis oder Kuchen aus. Oder wir reiten einen Gruppengalopp. Das bringt den Kindern immer unheimlich viel Spaß und es schult das Tempogefühl, die Balance und stärkt vor allem das Selbstbewusstsein. Die Lehrgänge sind wirklich gut, da entwickeln sich die Kinder am meisten – durch viel reiten, wird man gut.“
Alle Kinder tragen einen Helm, manche auch eine Sicherheitsweste. „Ich gestalte meinen Unterricht so, dass eigentlich nichts passiert. Aber ich sage niemandem, er soll die Weste nicht anziehen. Bei bestimmten Bewegungen ist man aber schon eingeschränkt. Und ich sage immer: Wer nicht runterfallen möchte, darf nicht aufsteigen.“
Eine gute Grundstimmung ist Ische Stoltenberg besonders wichtig: „Man darf auch mal lachen“, betont die Ausbilderin. „Ich möchte, dass alle entspannt sind und eine gute Grundstimmung überträgt sich irre gut auf die Ponys. Wenn die Pferde abgeschnaubt haben und die Kinder glücklich absteigen, gehe ich glücklich aus der Reithalle. Dann weiß ich abends, dass es ein guter Tag war.“
Motivation durch Vereinsaktivitäten
Mit Vereinsaktivitäten sorgt die Reitschulleiterin dafür, dass ihre Schülerinnen und Schüler Spaß haben, Erfahrungen sammeln können und das Gemeinschaftsgefühl gestärkt wird. Es gibt Vereinsturniere und Reitertage mit Reiterprüfungen, Führzügelklassen und Paarreiten, für die die Gruppe gemeinsam den Hof auf Vordermann bringt, Zöpfe werden geflochten und die Pferde auf Hochglanz poliert. Am Ende bekommt jeder eine Schleife. Es gibt Faschingsreiten, Mehrkämpfe und Reiterpatrouillen genauso wie Quadrillenreiten und ein Reitmärchen zu Weihnachten.
Aus ihrer Erfahrung kann Ische Stoltenberg berichten, dass man als Ausbilderin nicht nur die Reitlehrerin ist, sondern auch Ansprechpartnerin. Die Kinder haben ab und an Redebedarf und vor allem auch die Eltern. Gegen einen Schnack an der Bande nach der Reitstunde ist auch überhaupt nichts einzuwenden, betont Stoltenberg. Wobei die Corona-Zeit zumindest auch etwas Gutes hatte: „Wir durften ja über Monate keine Zuschauer haben. Das heißt, auch die Eltern durften nicht an der Bande stehen. Das war schade für die Eltern, aber es hat sich gezeigt, dass die Kinder viel offener, zugänglicher waren, als ihre Eltern nicht dabei waren. Sie haben viel mehr gefragt und ich konnte eine bessere Bindung zu ihnen aufbauen, ich war viel intensiver mit den Kindern. Sie lernen unheimlich viel und sie lernen sich durchzusetzen. Wir wollen gerne dabei bleiben, dass der Unterricht ohne Eltern stattfindet und dann bei den Hausturnieren oder an Besuchertagen alle dabei sein können.“
Viele Kinder müssen gleich nach der Reitstunde wieder los, Hausaufgaben machen, zum nächsten Hobby o. ä. Die, die noch bleiben können und wollen, versucht Ische Stoltenberg in die Stallarbeit und die Versorgung der Pferde miteinzubeziehen. „Wenn die Kinder wirklich dafür brennen, bleiben sie meistens länger. Und bei den Kindern die fragen: ,Darf ich heute abäppeln?‘ weiß ich, dass aus denen was wird“, so Ische Stoltenberg lachend.
Wenn die Basis stimmt – in der Gruppe oder im Einzelunterricht erarbeitet –, lässt sich darauf wunderbar aufbauen mit der weiterführenden Ausbildung und den ersten Schritten im Parcours.
10 Tipps für den Basis-Reitunterricht
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Was ist guter Reitunterricht?
Richtig unterrichten kann man erst, wenn man sich eines klargemacht hat: Was ist eigentlich guter Unterricht? Der Sportpädagoge und Begründer der EM-Bewegungslehre Eckart Meyners erklärt: „Guter Unterricht ist der Unterricht, der den Reitschüler von Punkt A zu Punkt B bringen kann und dabei das Ganze auf Nachhaltigkeit basiert. Nachhaltig bedeutet in diesem Fall, dass der Ausbilder die entsprechenden Schritte im Unterricht transparent macht, sodass der Reitschüler sie selbstständig nachmachen kann und mittelfristig unabhängig wird.“
Guter Unterricht ist also nicht anweisungsorientiert – „Sitz‘ gerade!“–, sondern handlungsorientiert – das bedeutet, es wird nicht nur das Ziel formuliert, sondern auch der Weg dorthin. Sodass der Schüler weiß, wie er das gesteckte Ziel erreichen kann. Beispiel: „Aufrechter sitzen, lang machen nach oben und unten, die Beckenstellung verändern sowie die Hals- und Nackenstellung, gleichzeitig die Beine nach unten führen“.
„Der allgemeine Unterrichtsstil muss total verändert werden“, betont Eckart Meyners. „Insgesamt orientieren sich die Bemühungen zu wenig an sportpädagogischen Grundsätzen und der Unterricht ist zu anweisungsorientiert. Bei der Unterrichtsplanung sollten immer Ziele, Inhalte und Methoden festgelegt werden und vorher müssen die Stärken und Defizite von Reiter und Pferd (!) analysiert werden. Dabei muss ich als Ausbilder fragen, wie ich Aufgaben hinbekomme, die dem Schüler klarmachen, ob er sein Ziel erreicht hat. Eine Aufgabe muss einen Rahmen abstecken, in dem der Schüler mithilfe des Ausbilders heraustüfteln kann, wie er das gesteckte Ziel erreichen kann – jeder auf seine Art und Weise.
Gewusst, warum
Und bei allem muss der Schüler wissen, warum bestimmte Dinge gemacht worden sind und warum bestimmte Dinge nicht gemacht worden sind. Lediglich um technische Elemente zu erklären, kann der Unterricht kurzfristig anweisungsorientiert sein. Und die Reitlehre muss allen Parteien bekannt sein. Sie muss dem Schüler vor Augen geführt werden und er muss sie verinnerlichen.“
Die Korrekturen des Ausbilders sollten sich an drei Punkten orientieren: Fehler, Mangel und Abweichung. Bei einem Fehler erkennt die Ausbilderin oder der Ausbilder die angestrebte Lektion nicht mehr. Es ist also eine Überforderung der Reitschülerin oder des Reitschülers gewesen. Der von den Ausbildern benutzte Begriff Fehler ist eigentlich der Mangelbegriff. Dabei ist die angestrebte Lektion zu erkennen, aber Details müssen noch verändert werden, um alle Funktionen der Lektion zu erzielen.
Mit Abweichung ist der individuelle Stil der Reiterin oder des Reiters gemeint. Die äußere Form der Lektion ist nicht optimal, aber die Funktion der Lektion wird weitestgehend erreicht. Die Ausbilderin oder der Ausbilder muss sich überlegen, ob er diese Differenz zur originalen Bewegung verändert.
In den verschiedenen Altersstufen von Reitschülerinnen und Reitschülern gibt es unterschiedliche Voraussetzungen und Schwerpunkte. Bei Kindern kann man sich die Natürlichkeit zu Nutze machen, dass sie spontan sind, nach Gefühl agieren und Lust haben zu spüren, berichtet Eckart Meyners. Und bei Erwachsenen? „Einen Erwachsenen frage ich als erstes: Nehmen Sie wahr, was Sie tun? Der Reitschüler muss sich so von innen sehen, wie ich ihn von außen sehe. Erwachsene müssen meist erst wieder lernen, sich selbst zu spüren. In der Hektik des Alltags ist das bei vielen verloren gegangen. Nicht ohne Grund sind Bewegungsformen wie Pilates und Feldenkrais so populär – das Wahrnehmen und Bewegen muss in den Mittelpunkt rücken. Als Ausbilder muss ich Geduld haben. Erwachsene Reitschüler müssen erst wieder lernen, mit sich und dem Pferd zu experimentieren, weil sie das nicht mehr gewohnt sind, und sie müssen lernen, die Freiheiten, die es in der Reitlehre gibt, auch zu nutzen. Da ist ein langer Atem wichtig.“
Eckart Meyners Jahrgang 1943, war jahrzehntelang Dozent für Sportpädagogik an der Universität Lüneburg, seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte: Bewegungslehre, Gesundheitserziehung, Leichtathletik, Rückschlagspiele und Reitpädagogik, Begründer der EM-Bewegungslehre, Buchautor und gefragter Referent. bewegungstrainer-em.org |
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